Wieso lachst du, fragst du. Und ich sage, dass es nur ist, weil ich mich sehr wohl fühle gerade. Und dass du jetzt hier bist, mit mir, dass wir hier oben zusammen liegen, sitzen, trinken, ficken und reden, dass das was Besonderes ist. Dass ich sowas noch nie gefühlt habe, wir sind ja keine Kinder mehr, aber dass das für mich …
Er zieht mich zu sich ran, mein Kopf liegt auf seiner Brust. Champagner zu trinken, sich in die Ruhe zu legen … Und ich renne aus dem Kino, höre das Lachen hinter mir, wieso wissen sie, dass ich hier in dieses kleine Kino gehe, keiner aus meiner Schule oder Klasse geht sonst hierher, kein» Dirty Dancing«, kein» Rocky 5«oder so ein Scheiß, ich bin dreizehn und will Audrey Hepburn sehen. Ich trage Leggins und ein langes T-Shirt drüber und habe mir die Lippen geschminkt und habe mir die Augen gemacht und trage einen BH mit kleinen Schaumstoffpolstern, und ich will allein sein. Im Dunkel des Kinos, im Licht des Films.
Ich habe dir etwas mitgebracht, sagst du. Dein Handy summt irgendwo im Raum, aber du gehst nicht ran, du suchst es nicht, und es wird noch ein paarmal summen, bis du es irgendwann ausschaltest, vorher die Nummern und Nachrichten prüfst. Kurz nur.
Ich weiß, dass du viel zu tun hast. Ich weiß, dass deine Firma, dein Unternehmen sich in einer schwierigen Lage befindet. Ich weiß, dass die letzten Schwierigkeiten, die Kämpfe, die Unruhen, von denen man so viel las in den Zeitungen in den letzten Monaten, Jahren fast, ausgestanden sind. Dass deine Geschäfte wieder gut liefen, störungsfrei, erstmal, und dass nun die nächsten Unruhen beginnen, diese Wellen, diese Bewegungen, in denen du navigieren musst. Ich habe vieles gehört, was man eben so hört, wo immer nur die Hälfte wahr ist, oder die Hälfte halbwahr, und seit wir hier oben sind, hier oben liegen, trinken, ficken, uns ineinanderschieben, redest du. Liegst manchmal wie im Schlaf, wie im Traum, auf dem Rücken, auf der Seite, die Augen geschlossen, dunkle Ringe unter den Augen, deine Bartstoppeln schimmern grau, deine Stimme ist leise und bewegt sich an mir und in mir, die Engel in der Stadt, die Outsiders um die Stadt herum, diese Stadt, die sich seit Jahren langsam in die nächste, kleinere Stadt hineinbewegt und seltsam über die Karten wandert, so hast du es mir erklärt, Flugzeuge blinken in der Einflugschneise. Und du siehst das auch oder hörst es, weil deine Augen geschlossen sind im Dämmerlicht unseres Raumes, und erzählst davon wegzugehen, und dass du einmal in Tokio warst, diesem leuchtenden Metropolis auf und zwischen den Inseln am anderen Ende der Welt, durch das jetzt die Strahlung langsam kriecht, ich bin so froh, dass der Fernseher hier oben schweigt, weil er während der Arbeit und zwischen der Arbeit immer an ist und von Dingen berichtet, die mich nicht interessieren sollten und die mich tatsächlich auch nicht interessieren, aber Ablenkung bringen, aber Bilder zeigen, die mir helfen, auch wenn sie mich nichts angehen, ich lese die Nachrichten in der Zeitung, und es ist nicht so, dass ich Hilfe bräuchte, und du sagst und sagtest es und sagst es immer wieder, oder es hallt immer wieder nach in meinem Kopf, dass ich so stark bin, dass du bewunderst, wie stark ich bin, dass du viele der Frauen, die bei dir arbeiten, die in deiner Firma, in deinem Unternehmen, arbeiten, dass du die bewunderst, wie stark sie sind, und dass das Teil des Geschäfts ist, starke Frauen in dein Unternehmen zu lassen und nicht jedes Lieschen Müller, ich weiß nicht, wo ich diesen Namen herhabe, von dir, aus unseren stillen Gesprächen, aus den zerschnittenen Erinnerungen an meine Kindheit?» Coppenrath & Wiese«, sagst du einmal, und ich weiß genau, was du meinst, dass jedes Lieschen Müller sich wie ’ne Zicke aufführen würde, so in der Art:»Was haben diese blöden Weiber mit mir zu tun?«, sich aufregen würde über dies und das, über die Art, über die Weise, in der du erzählst, über wen du erzählst. Aber das ist das. Weil wir anders sind. Und uns öffnen. Und uns dennoch festhalten und umarmen.
Kann es nur einen geben? fragst du. Und meinst die Unruhen in deinen Geschäften, in deiner Firma. Erwähnst den Mann hinter den Spiegeln, der seit der Abwehr der feindlichen Übernahmen immer mächtiger wird, den Chef der Engel. Ich mag es, wie du meinen Schwanz wie beiläufig streichelst. Obwohl ich das sonst nicht mag. Wie Federn. Während du mich fickst und dann meine Brüste mit beiden Händen umfasst.
Ich renne und renne und höre nicht auf zu laufen und zu rennen, obwohl niemand mehr hinter mir ist. Aber das Lachen weht durch die Straßen, echot zwischen den Hauswänden hin und her. Ich bin auf einen der alten Fördertürme gestiegen, im Brachland vor der Stadt. Das beginnt gleich hinter den Häusern, die alten Zechen, die rostenden Stahlgerippe der alten Fabriken und Fördertürme. Stahl rostet doch nicht? Ich sitze dort oben und schaue übers Land und schaue über die Stadt, wenn ich mich umdrehe. Irgendwo dahinten fließt der Fluss. Irgendwo dahinten geht gleich die Sonne unter. Irgendwo dahinten ist sie bereits untergegangen, fast, blassrosa im Wolkendunst. Wie ein Nebel dahinten überm Fluss. Spätsommer, Ende September. Ich wische mir übers Gesicht, und meine Hände sind nass, und meine Wimpern färben aus, und meine Schminke zieht Schlieren über meine Handflächen. Ich schäme mich. Ich will keine Tucke sein. Nur eine Frau, nur ein Mädchen, nur Audrey Hepburn. Da muss ich lachen, denn das ist natürlich kein nur. Und» Dirty Dancing «fand ich auch gut, obwohl der schon vor Jahren im Kino war und jetzt nur nochmal kommt, weil’s da einen zweiten Teil von gibt, und alle tun so, als wäre Patrick Swayze jetzt der Star der Neunziger, dabei wollen sie nur die Achtziger nachholen, in denen wir noch Kinder und viel zu klein für sowas waren, und dann fällt mir ein, dass» Dirty Dancing 2«doch erst viele Jahre später, zweitausendvier, ins Kino kam oder kommen wird, und ich sitze oben auf dem alten Förderturm und lache. Ich gehe zum Friseur und lasse mir die Haare so schneiden, wie sie die Mädchen und die jungen Frauen in den Achtzigern trugen. Ich färbe sie mir auch schwarz. Das hält prima, auch wenn’s regnet. Ich darf so nicht nach Hause kommen, sonst dreht mein Alter durch. Ich bin ihm heute dankbar, dass ich Italienisch spreche. Ich habe ein paarmal Urlaub gemacht in der Toskana. Ich mag das Meer. Und bin zum Meer gefahren. Die Kerle, die Jungs um mich herum wie ein Rudel junger Hunde. Meine schwarzen Haare vorne verstrubbelt und hinten und an den Seiten etwas länger, aber immer noch relativ kurz, so wie das die Frauen und Mädchen in den Achtzigern trugen.
Dass mein Vater mich zu schlagen pflegte. Das stimmt nun nicht. Nur einmal. Dass er zeitig schon gesehen haben muss, dass ich nicht der Junge war, den er sich wünschte. Was die Entwicklung betrifft. Aber Vater, mein Vater, ich war schon immer so. Und die Jungs um mich herum, Toskana, Meer, und ich stolz und Champagner trinkend, nein, Prosecco war es wohl, stolz und unnahbar, aber scherzend mit ihnen, unter ihnen, in den Cafés, am Strand, in der Ebene der Toskana.
Was lachst du, fragst du, worüber lachst du? Und wachst auf wie aus den Tiefen eines Traums. Die Augen offen jetzt. Deine Bartstoppeln schimmern grau in dem gedimmten Licht unter der Zimmerdecke. Dass ich mich an dich und auf dich lege. Dass du mich wegschiebst, aber nur, um dich wieder an mich zu drängen. Mit deiner Kraft, mit deiner Ungeduld, mit deiner Geduld. Dass ich dich bewundere, dass du mit mir hier oben liegst. Dass du mich bewunderst, sagst du, oder sagtest es in den Minuten und Stunden zuvor. Für was? mein kalter Mann, dessen Kühle und Fremdheit mich immer wieder an dich ziehen. Als wär’s ein Teil von mir. Als wär’s kein Teil von allem da draußen.