Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Die Geschäfte laufen. Die Stadt bewegt sich. Gehen oder bleiben? Wo soll ich hin? Ich sitze am Fenster, und sie schläft hinter mir. Ich höre sie atmen, mal schnell, mal langsam, als würde sie unruhig träumen. Anderthalb Stunden in diesem Würfel, als wären wir ganz woanders, als wären wir ganz weranders. Was für eine ergreifende Musik. Werde ich alt? Werde ich wahnsinnig? Was tue ich hier? Die Invasion haben wir überstanden. Haben uns die Engel als Teufel geholt. Kommt auf den Standpunkt an, würde Alex jetzt sagen. Meine Leute wandern ab. Verrat geht um. Ich könnte sofort verschwinden, die Geschäfte übergeben. Noch mehr Geld? Darum geht es nicht. Noch mehr Markt? Kontrolle? Macht? Ich blicke in den nächtlichen Himmel. Dreizehntausendachthundert Millionen Jahre sind seit dem Urknall vergangen. Die entferntesten Galaxien leuchten zehn Milliarden Mal schwächer, als das menschliche Auge sehen kann. Das Jahr neunzehnhundertneunzig ist irgendwo da draußen. Genau wie die anderen Jahre. Die Zeit beschleunigt sich, die Grenzen verschwinden. Wo bin ich? In Tokio habe ich einmal die Ladyboys gesehen. Voll Abscheu und Faszination. Den großen Tanz der Kathoeys aus Thailand. Futunari, wie sie die Japaner nannten. Wunderschöne Frauen mit kleinen Schwänzen. Manche hatten auch große Schwänze. Im Verhältnis. Zeigten sie der begeisterten Menge. Einige Kathoeys hatten bereits eingebaute Muschis. Was für Drecksauen, dachte ich damals, meinte das fast als derbes Kompliment, und spürte doch auch eine Faszination, als Vorahnung, die Änderungen des Raumes. Und Schönheiten dabei und geile Stücke dabei und Schönheiten dabei, wie sie in meinen Zimmern und Räumen nur selten sitzen. Oder saßen. Damals. Im Jahre null. Als ich dachte, die Neunziger wären vorbei. Transen waren selten. Es gab keine in der Stadt. In Berlin saßen ein paar Transenhuren, in Hamburg … Jetzt würde ich nicht Transe zu ihr sagen. Wie schön sie ist. Und ihre Augen, fern und tief und wie Sternennebel, das Verschwimmen der Farben, Erinnerungen, Welten. Genug Science-Fiction. Ich weiß, dass es mein Ende sein könnte, dass es mein Ende ist, wenn ich länger mit ihr durch die Stadt gehe, mit ihr hier oben liege. Wo auch immer. Liebe ich sie? Du fehlst mir, alter Bielefelder Graf, du warst kultivierter und gebildeter als die anderen, auch wenn er, der hinterm Zentralbahnhof im Norden der Stadt hinter den Spiegeln sitzt, das sicher bestreiten würde. Ja, ja, wir gehören zur Gesellschaft, sammeln Kunst, gehen in die Oper, lesen …, und demnächst dichten wir auch noch? Der Bürgermeister nickt nur, oder immerhin, die Hand geben? Nein, das nun doch nicht. Wir sind die Vermieter der Nacht, haben wir Blut an den Händen? Nur nicht zu dramatisch werden. Schmutz? Nein. Nicht mehr und nicht weniger als jeder andere, der sich durch irgendeinen Markt bewegt. Nicht mehr oder weniger als der Bürgermeister selbst. Der Oberbulle will ihn herausfordern bei der nächsten Wahl, hört man. Wie soll der die Stadt regieren, wenn er nichtmal die Straßen kontrolliert.
Ich blicke auf die wenigen Lichter im Zentrum der Stadt. Die meisten meiner Mädels schlafen jetzt.
«Mein «ist auch das falsche Wort. Ich habe das immer pragmatisch gesehen, rein geschäftlich. Für das Geld, was ihr mir zahlt, seid ihr unabhängig, sicher, gut gemanagt, gut vermittelt, gut repräsentiert. Unabhängig. Management und Manege, ist das ein Wortstamm? Nein, sicher nicht. Drüben, bei den Gewerbegebieten, wo der Nachthimmel bläulich schimmert, sind das die nächtlichen Raffinerien? diese Fabriken, groß wie kleine Städte und immer erleuchtet und immer in Rauch und Flammen, nein, die sind weiter weg, früher arbeiteten dort Tausende, auch einige meiner Freunde, Bekannte, um die dreißig Jahre her, jetzt natürlich kaum noch Flammen und Rauch und Gifte in der Luft, aber ein modernes Gleißen und Leuchten, dass einem die Augen weh tun, wenn man in der Nacht an diesen stählernen gläsernen Anlagen vorbeikommt, ich bin früher viel allein durch die Nacht gefahren, wenn ich nachdenken musste. Was zieht mich nur zu ihr? Dort drüben, in der Nähe des Gewerbegebietes, wo ich mal ein Büro hatte und Container und Maschinen meiner Baufirma standen, wo ich damals saß und lernte in den Nächten, an den Abenden, BWL, dort drüben machen drei Objekte Nachtschicht, für die Ruhelosen, die Wanderer, die Notgeilen, die Alkoholgeilen, an denen sie sich einen Muskelkater wichsen werden, eine Maulsperre blasen, die feinen Herren, die eben nochmal raus wollen. Die Preisdrücker. Die Perversen. Die Stammgäste, die Einsamen, die Zärtlichkeit Suchenden. Die Hardcore-Ficker. Die Streichler. Die Ungehobelten. Die Schmeichler. Die Irren. Mein Handy ist immer an, und meine Leute sind zuerst und immer erreichbar, aber die Nächte sind ruhig. Die Kanacken sind weg. Was kommt? Ob meine Leute wissen, dass ich hier bin? Übermorgen wird sie wieder arbeiten. Nicht eine Sekunde denke ich, dass sie ein Mann ist. War. Es ist ihre Seele und fast ihr ganzer Körper, der Weib ist. Auch ohne Pussy, auch ohne Fotze. Ich dringe in sie ein. Es muss ein Ende finden. Bevor ich mich ganz verliere. In ihr. Was sagte der Graf einmal, oder war ich das, als ich aus Tokio zurückkam, damals?» Wir müssen diesen ganzen Mythos vollkommen neu erfinden.«