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Janine — heißer Betthase! Hallöchen, hast du Lust, dem Alltag zu entfliehen? Suchst du den Kick in Sachen Sex? Hast du unerfüllte Wünsche, oder träumst du von was? Dann bin ich die Richtige. Ganz diskret, privat und ohne jeglichen Zeitdruck möchte ich deine Geliebte auf Zeit sein …

Da drüben, wo auf den Autobahnen und Schnellstraßen nur vereinzelte gelbe Punkte sich bewegen, sitzt die fleißige Janine, bis zwei Uhr morgens. Wir haben nichts neu erfunden. Wir sind alle zu arm. Nicht was das Geld betrifft.

Mein Gott, wie jung du wirkst, du siehst wirklich nicht aus wie dreißig. Deine dunklen Haare, dein schmales Gesicht, deine Brüste, o.k., da hast du natürlich den Vorteil, dass die erst seit knapp zehn Jahren da sind. Ein kleiner Scherz nach Mitternacht. Um mir selbst zu zeigen, wie kühl ich bin, immer noch sein kann. Dort hinten, etwas weiter nach rechts, der Mond ist nicht sehr voll über der dunklen Stadt, dort sitzt du in meiner Wohnung, meinem Objekt, und arbeitest. Zahlst deine Tagesmiete wie alle anderen. Hi, mein Name ist Bella, ich bin eine junge Transsexuelle mit einem femininen und sehr schlanken Body. Süßes Schneewittchen mit einem kleinen Geheimnis. Sei mein Liebhaber, und ich gebe mich dir hin.

In welcher Jahreszeit befinden wir uns überhaupt? Manchmal glaube ich, einfach so zu verschwinden, mich aufzulösen. Aber nein, das könnte dir so passen! Sitzt drüben im Norden der Stadt, nicht weit von hier, hinterm Zentralbahnhof, sitzt dort hinter deinen Spiegeln und wartest, dass ich verschwinde. Es kann nur einen geben. Aber so war es nie. Und waren wir nicht Freunde? Geschäftspartner? Genossen? Kollegen?

«Man kann einen Kampf nur gewinnen, indem man ihn vermeidet. «Solch einen Unsinn habe ich nie gesagt. Natürlich stimmt das hin und wieder. Aber ich habe es viele Jahre mit dem großen Machiavelli gehalten. Könnte mit dem alten Grafen drüber diskutieren. Und höre dich hinter den Spiegeln klirrend lachen. Was sind wir heute wieder kulturvoll, nicht wahr?

«Wir haben gehört, du hast den Verräter S. getroffen?«

«Wie kann das sein, wo er doch tot ist.«

Kein Champagner mehr da, und ich nehme ein 5-cl-Fläschchen Cognac aus der Minibar. Ich werde auf die Outsiders trinken, die sich auflösen werden, weil die Konkurrenz schießt und die Bullen härter werden, die Los Locos sind in der Nachbarstadt und blicken zu uns rüber. Lebt wohl, Outsiders, die hier und dort hinter mir standen und gleichzeitig den Engeln nahestanden. Ach, Machiavelli. Ein blutverschmiertes Auto in der Nähe der Schienen. Das Handy summt mal wieder. SMS. Das Licht des Kühlschranks blendet mich. Man sollte den Cognac nie in die Minibar stellen. Obwohl uns so etwas früher scheißegal war. Ich gieße den Stoff, VSOP, Vronie schluckt ohne Pause (Wer hat mal diesen Scheiß erzählt? Hans?), Very Superior Old and Pale, in den kleinen Schwenker, wärme das bauchige Glas von unten mit meinem Feuerzeug. Buchstaben und Worte auf dem Display. Objekt 11 macht Feierabend. Evelyn — ein aufgewecktes Lustluder. Ich höre dich atmen hinter mir. Ruhig jetzt, ruhig. Als würdest du meine Bewegungen im Zimmer und auf der Bettkante spüren. Und als würde das deine Träume woanders hinführen. Was weiß ich denn schon von dir. Obwohl du erzählst und erzählt hast. Und ich auch. Man schweigt Jahre und Jahrzehnte. Ich wärme den kleinen Schwenker mit meinem Feuerzeug, bis mir fast das Glas aus der Hand fällt, so heiß ist es geworden. Ich stelle es auf den Nachttisch. Dort kühlt es eine Weile. Ich rieche den Cognac. Wenn alles so einfach wäre, wie einen guten Cognac zu erwärmen. Zwei-, dreimal habe ich mit meiner Frau Urlaub in Frankreich gemacht. In Biarritz. Ich will jetzt nicht zählen. … manche Fürsten haben die Herrschaft verloren, sobald sie ein Genießerdasein dem Kriegshandwerk vorzogen … Zu den anderen Übeln, die die Abneigung gegen den Krieg mit sich führt, gehört das, dass sie Verachtung erregt: und sie ist etwas, wovor sich der Fürst am allermeisten hüten muss …

Das Dröhnen eines letzten späten oder frühen Flugzeugs dringt bis zu uns. Fast scheint es mir, die Scheibe würde vibrieren. Das Werk, das wir in unseren gemeinsamen Tagen hörten, dort im Kubus der Musik, war es nicht sein unvollendetes? Seine Unvollendete? Zumindest las ich das im Programmheft. Ich bin kein Kenner seiner Werke, wie sie dachte. Oder wie ich glaubte, dass sie denkt. Es war nur dieses Festival, ein paar Leute haben es mir empfohlen. Hatten Karten. Internationale Orchester, weltberühmte Dirigenten, und dieser alte, seit fast hundert Jahren tote Komponist. Zu viel Bedeutung in allen Dingen. Disney World. Da träume ich wohl schon. Was für eine ergreifende Musik. Ich will mich zu dir legen. Liege ich schon? Was macht diese lange Feder auf dem Nachttisch? Hat sie die mitgebracht? Ich ziehe die Feder über die Knochenkette ihrer Wirbelsäule, hoch zu ihrem Hals, den Haaransatz, kurze schwarze Haare, Pagenkopf. Unschuld, Verlorenheit, tiefe einstige Verletzungen …, oder wie immer man das nennen will. Vielleicht ist es das. Was ich in ihren Augen, ihrem Gesicht … sehe. Ich ziehe die Feder, die mir immer größer und breiter erscheint im Halbdunkel des Zimmers, über ihren Rücken, über ihren Arsch. Ich habe ihr ein Buch geschenkt, eine alte, seltene Ausgabe. Schöne Illustrationen, alte Kupferstiche. Bin selbst in das Antiquariat neben der großen Stadtkirche gegangen, in dem ich noch nie zuvor gewesen bin. Ein Kinderbuch, weil sie mir davon erzählte, wie sie so sein wollte wie das kleine Mädchen im Buch. Nein, nicht Schneewittchen, verdammt nochmal!

Wenn wir schlafen: Hier kriegt das Krähenvieh mich nicht! dachte sie. Es ist viel zu groß, als dass es sich zwischen den Bäumen hindurchzwängen kann. Aber es sollte lieber nicht so heftig mit den Flügeln schlagen, es verursacht ja einen Sturm im Wald. Ich werfe die Feder ins Dunkel, klirrend schlägt sie auf den Boden.

Irgendwann wacht er auf, und die Tür des Zimmers ist offen. Er spürt das sofort. Bevor er es sieht. Der Flur draußen im Dämmerlicht. Er kann die Ziffern auf seiner Uhr nicht erkennen. Er lauscht, aber alles ist still. Er sieht das Handy auf dem Nachttisch blinken. Kein Speicherplatz für neue Mitteilungen.

Nein, sie ist noch da. Sie liegt auf dem Rücken, und er sieht ihre offenen Augen. Sie starrt an die Decke, es scheint so. Er will aufstehen und zur Tür gehen. Wo die Schatten sind. Etwas ist warm unter ihm und um ihn. Da wacht er auf. Son, my son, what have you done.

Champagner zu trinken. Sich zu ihr zu legen. Er blickt auf das Blinken der Straßen, das rote Leuchten der hohen Schornsteine am Stadtrand. Er legt sich zu ihr. Streicht über ihr Gesicht. Ja. Ja. Ja.

Ich möchte ein Pferd, irgendwann mal

Ich küsse nicht.

In all den Jahren ist es nicht einmal vorgekommen, dass ich geküsst habe, mit Zunge. Und auch nicht ohne Zunge, jedenfalls nicht auf den Mund. Nein, das mache ich nicht. Höchstens zum Abschied dürfen sie, aber nur links und rechts auf die Wangen. Wenn sie wollen, aber wenn ich drüber nachdenke, sind’s nur die Stammgäste mit den Abschiedsküssen. Denn die meisten verschwinden still.

Ich hab eine Freundin, die ist im Escort, also Begleitung und sowas, erst essen, dann ficken, manchmal auch erst ficken und dann essen. Feine Restaurants und Hotels, sagt sie. Vier Sterne, fünf Sterne. Manchmal auch nur ficken. Aber immer Champagner. Sagt sie. Ich scheiß auf Champagner. Also die küsst. Küsst sogar gerne. Ist ja nicht so, dass ich nicht gerne küsse. Privat. Hab gerade keinen Freund. Also küss ich auch nicht. Doch, letztens auf ’ner Party hab ich rumgeknutscht. Aber mit ’ner Frau. War schön. War vielleicht das Koka. Hab schon paarmal mit Frauen, ist aber lange her. War so ’ne junge, süße, war ganz verrückt nach meinem Koka. Und natürlich nach mir. Oh ja, vor allem nach mir. Der Hans hat noch gesagt, das ist Verführung Minderjähriger. Schweine-Hans, so nennen wir ihn, aber nicht, weil er so ein Schwein ist oder ständig Schweinereien macht, sondern weil er mal Fleischer war. Hat Riesenhände, wie Teller. War vor Jahren paarmal mit ihm im Bett, und da kann er ganz lieb sein mit seinen Riesenhänden. Hab ja damals angefangen in seinem Club. Oder war der Schlachter? Der kam doch vom Dorf? Ist komisch, dass ich das nicht mehr genau weiß, ist zwar lange her, aber … Das mit der Party, wo ich ihn getroffen hab und mit der Kleinen rumgemacht hab, muss schon paar Monate her sein, vielleicht sogar ’n halbes Jahr, weil sein Club doch zu ist seit ’ner Weile, und keiner weiß was Genaues. Paar Mädels, die ihn auch kennen, meinen, dass er in den Süden abgehauen ist, Mallorca, Rio oder sowas, sich zur Ruhe gesetzt hat. Würde mir auch guttun. In paar Jahren. Ich kann mir nichts mehr merken und vergesse alles Mögliche, und ganze Erinnerungsblöcke sind plötzlich weg, dass mir ganz komisch wird, wenn ich dran denke, wie viel mir verschwindet in letzter Zeit. Wollte schon zum Arzt gehen deswegen, aber was soll ich denn da sagen, guten Tag, ich bin dreiunddreißig und krieg Alzheimer. Ist schon komisch, dass der Hans ausgerechnet Fleischer oder Schlachter war, da haben wir oft Witze gemacht damals, aber wenn da jemand Fremdes kam und ihn drauf angesprochen hat, dann war’n die Riesenhände vom Schweine-Hans gar nicht mehr lieb. Hab ihn zwei-, dreimal in Aktion gesehen, wenn er einen Gast rausschmeißen musste oder jemand Stunk gemacht hat. Da hatte dann wirklich kein Schwein mehr was zu lachen. Ich hab manchmal das Gefühl, wenn ich aufwache, dass ich in der Zeit zurückgesprungen bin, dass plötzlich wieder zweitausendzwei oder zweitausendzehn oder neunzehnhundertneunundneunzig ist, da hab ich angefangen zu arbeiten, da war ich neunzehn. Viele Neunen in dem Jahr.