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Achtzehn Uhr, die Nachrichten. Der Erste war scheiße. Der Zweite ganz o.k. Muss man so sehen, sonst wird man blöd. Also ich zumindest. Die Superhits der Achtziger. Höre ich gerne. Bin neunzehnhundertneunundsiebzig geboren, und meine Musik ist eher aus den Neunzigern, Techno, Scooter, Hyper-Hyper, wegen den Rolling Stones bin ich fünfundneunzig mit meiner Mutter nach Berlin gefahren, Voodoo-Lounge-Tour, durfte keiner wissen von meiner Technoclique, aber meine erste Schuldisko war neunzehnhundertachtundachtzig, kurz vor der Wende. Da liefen diese ganzen Kracher. Live is life. Küss die Hand, schöne Frau, Ihre Augen sind so blau. Da Da Da.

Das Telefon klingelt. Ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht. Jaaaa? Hm. Jaaa. Natürlich. Sofort. Rotkäppchenweg 12. Bei Bose. Ja, wie diese Elektrofirma. Hmmm. Ja. Ich freu mich auf dich. Bis gleich. Da Da Da.

Es ist siebzehn Uhr fünfundfünfzig. Die Stadt und die Welt. Immer fünf Minuten früher informiert. Da bin ich wohl kurz weggenickt. Ich bin ständig müde in letzter Zeit. Muss am Wetter liegen. Liegt immer am Wetter. Wie so vieles. Kaum mache ich die Augen zu, fange ich an zu träumen. Von wegen Rotkäppchenweg. Den gibt’s hier schon in der Stadt, das ist drüben im Süden, da gibt’s ein ganzes Märchenviertel, wo die Straßen und Wege nach den Märchen heißen. Den Grimms. Meine Mutter hat mir manchmal welche vorgelesen. Nicht oft. Aber an ein paar kann ich mich erinnern. Ich meine jetzt nicht die üblichen, die man so kennt. Und nach denen auch die Straßen in diesem Viertel im Süden heißen. Dornröschenstraße. Froschkönigweg. Schneewittchenweg. Aschenputtelstraße. Frau-Holle-Platz. Schneeweißchen und Schneerosenrot. Ich weiß das wegen Sabine, die hat da gewohnt, ist dort aufgewachsen, hat sie mir erzählt. Und auch zur Schule gegangen, zu Zonenzeiten, sie ist zwei oder drei Jahre älter als ich. Die Schule hieß aber nicht» Rumpelstilzchen POS «oder so. An die Märchen kann ich mich noch genau erinnern, wie an das Lied» Der Mond ist aufgegangen«, und tatsächlich steht er drüben hoch über den Häusern, ganz klein in der kalten, klaren Nacht, und ich gehe zum Couchtisch und setze mich auf einen der beiden Sessel, denn aufs Bett habe ich grad keine Lust. Die Jalousie bewegt sich noch und macht Geräusche am Fensterglas.»Der Eisenhans «hieß eins von den Märchen. Und» Frau Trude«. Und an den» Fischer und syne Fru «kann ich mich auch noch erinnern.»Manntje, Manntje, Timpe Te / Buttje, Buttje in der See / myne Fru, de Ilsebill / will nich so, als ik wol will. «Oder so ähnlich. Oma und Opa kamen von der Küste. Bad Doberan. Und meine Mutter kann ganz gut Platt. Wir sind oft hochgefahren, als ich klein war. Was heißt Manntje, Omi? Und was ist eine Timpe? Als ich acht geworden bin, haben mir Oma und Opa das Märchenbuch geschenkt. Das war grün, und seltsame Bilder waren drin, die haben mir manchmal Angst gemacht. Ich weiß nicht, wo es jetzt ist. Mutti wohnt noch in derselben Wohnung in Jena, und mein altes Zimmer gibt es auch noch. Bestimmt liegt es dort irgendwo im Regal. Ich habe mir ja vorgenommen, dass ich jetzt öfters hinfahre. Der Erste hat gut Geld gebracht heute, und da bin ich froh drüber. Für Januar-Verhältnisse. Und so ein Idiot war’s nun auch wieder nicht, hätte sich nur mal die Fingernägel schneiden können, und saubermachen sowieso. Weil ich finde, dass es nichts Schlimmeres gibt als Männer mit richtig Dreck unter den Nägeln. Klar sage ich:»Wasch mal die Pfötchen«, aber ich kann ihm ja kaum ’nen Spachtel geben. Gibt natürlich Schlimmeres. Blumenkohl zum Beispiel. Das geht auf keine Vorhaut, sagte Magda immer. Also die Schweinerei. Sabine war seltsam, die hat sich nie beschwert. Ich habe sie wirklich sehr sehr gemocht, aber sie war schon seltsam.

Ich hab ja so ’ne Art Skala, dreckige Nägel und fauliger Atem ganz oben, nimmt sich aber alles nichts. Nicht viel. Und bei Atem gibt’s auch noch ’ne Unterskala. Wenn sie dich dann anjapsen, muss man sich so gekonnt wegdrehen, also den Kopf, dass es nicht unhöflich wirkt. Ich habe ’ne Flasche Mundwasser im Bad stehen, aber das ist eher selten, also nie, dass die mal einer benutzt. Na ja, selten. Natürlich sage ich, wenn sie für ’ne Stunde bleiben wollen, und auch so, dass sie vorher ’ne Dusche nehmen können. Beziehungsweise sollen. Und ich sag das so charmant, dass sie’s auch machen. Mach dich frisch für mich, Süßer, damit ich dich ablecken kann. Sind nicht alle so diplomatisch, das weiß ich. Vielleicht jetzt gerade, wegen Januar. Die große Depression. Aber für mich gelten die Januar-Regeln das ganze Jahr. Obwohl das so Zickenkram ist, von wegen» Ich kann’s besser «und so. Weiß ich eigentlich. Muss jede selbst wissen, wie sie’s anstellt. Ich bin die Beste, ich bin die Schärfste, na ja, bin ich auch, ich schau dir in die Augen …, aber schön duschen vorher. Die meisten Mädels wissen schon genau, wie’s geht. Denn wer zufrieden ist, kommt wieder. So einfach ist das manchmal. Oder eben schwierig. Wie man’s nimmt. Das mit diesen ganzen» mans «hat meine Freundin Sabine gesagt, wie die jetzt richtig hieß, hab ich grad vergessen, obwohl wir uns alle mit unseren richtigen Namen ansprechen, Jenny heißt ja wirklich Jenny, nur in der Annonce nennt sie sich» Lola«, ich finde das blöd, weil das glaubt doch keiner, aber sie sagt, dass sie ein großer Fan von Franka Potente ist, der Schauspielerin. Meinetwegen.»Jenny rennt«. Katrin, heißt sie, also Sabine. Ich wollte schon diese Kunstzeitschrift raussuchen, die ich hier irgendwo haben muss, wo was über die drinsteht. Sabine ist viel schöner als Katrin, also der Name, denn sie sind ja ein und dieselbe, und sie hat mir mal gesagt, dass sie sich auf dem Amt umbenennen will, also den Antrag darauf stellen, für den Ausweis, Künstlername sozusagen, das war noch bevor sie sich mit Fotos und Videos und Zeichnungen versuchte, aber sie hat auch schon damals immer gesagt:»Beruf: Liebeskünstlerin«. Das fand ich gut. Aber ich geh mit der ganzen Sache pragmatischer um, wie die meisten von uns. Aber Geld machen ist ja auch ’ne Art Kunst. (»Pragmatischer? Quasi sozusagen? Hätteste mal weiterstudiert, Mädchen!«Magda im Gespräch mit Lilli, Februar 2003) Bisschen hat’s mich schon genervt, dass sie immer so getan hat, als wäre sie zig Jahre älter als ich, also Magda, große große Schwester, dabei war sie nur dreieinhalb vor mir, obwohl wir in der Annonce damals fast gleichaltrig waren. Hallo? Hallo? Der größte Baumarkt Deutschlands! Immer diese bescheuerte Werbung. In den Baumarkt geh ich ganz bestimmt nicht. Mit der Sabine, das habe ich verwechselt, die war nämlich ein oder zwei Jahre jünger als ich, also fast gleichaltrig.