Und da rollen wir langsam über die große Hauptstraße, die durchs Zentrum führt, die Stadt scheint hellblau zu leuchten, Schnee auf den Dächern, und da ist schon das große Hotel. Siebenundzwanzig Etagen und ’n paar noch oben drauf. Wieder stehen wir an einer Kreuzung, die Straße runter geht’s in den Zoo, dort bin ich als Kind ein paarmal mit meiner Mutter gewesen, wir sind extra von Jena gekommen deswegen, weil’s so ein großer und berühmter Zoo ist, das war in den Sommerferien, ich erinnere mich ganz gut daran, ich hatte so einen Ferienpass, mit dem man fast überall umsonst reinkam, und die großen Ferien gingen damals noch zwei Monate, das war wirklich eine lange Zeit, was wohl die Tiere bei dieser Kälte machen? Aber heute ist der Zoo ganz anders als früher, als die großen Raubtiere in den alten Käfigen hin und her tigerten, Sommer und Winter, sie taten mir leid als Kind, das weiß ich noch, vielleicht tun sie mir aber auch nur jetzt leid, wenn ich mich an sie erinnere, aber den Affen in diesem alten Affenhaus ging es wohl ganz gut, so wie sie spielten und Bananen fraßen und die Hände ans Glas legten. Und heute sind sie alle in riesigen Freiluftgehegen, Löwen, Tiger, Affen, natürlich nicht zusammen, das würde ja Mord und Totschlag geben, auch die verschiedenen Affenarten haben jede ihr eigenes Gehege, ist wirklich ein riesiger Zoo, fast wie eine kleine Stadt, und ich muss mal wieder hingehen, wenn ich eine Tochter habe, werde ich mit ihr ganz oft in den Zoo gehen und ihr alle Tiere zeigen, die Fische fand ich als Kind immer langweilig, dabei hatten die die schönsten Farben. Den neuen Zoo, also so wie er jetzt ist, denn es ist ja natürlich derselbe Zoo, aber trotzdem ganz anders, kenne ich nur aus dieser Fernsehsendung» Tiger und Äffchen«. Wir Mädels gucken das alle. Kennen jedes Tier. Mit Namen. Und finden den oder diesen Pfleger gut. Oder süß. Ich guck’s nur ab und zu beim Durchzappen. Ich zahle und steige aus.»Pass auf dich auf.«
«Dank dir. Bis bald. «Und ich winke und sehe, wie er wegfährt. Es ist saukalt, ich rücke meinen Schal zurecht, cremefarben, Kaschmir, tut gut auf der Haut, ich trippele durch die große Drehtür, durch die anderen Türen, links und rechts, ziehen Leute riesige Rollkoffer, die Portiers halten die Türen auf, Taxis kommen und fahren wieder, ich schiebe meine kleine Tasche auf die Schulter, eine Hand auf dem Gurt, dann trippele ich an der Rezeption vorbei durch die große Lobby. Ein Springbrunnen plätschert. Es gab ein Bassin mit Fischen drin, im Zoo, das war voll mit Münzen. Links neben den Fahrstühlen die Bar, dort habe ich schonmal gesessen, war mit einem Gast verabredet, ich dachte erst, der kommt nicht, obwohl ich ihn ja auf seiner Zimmernummer zurückgerufen habe, aber wenn er sagt» unten an der Bar«, kann ich ja schlecht hochgehen und klopfen, und ich hab das alles schon erlebt, dass man dann vor ’ner Tür steht, Hotel oder Wohnung, und keiner macht auf. Weil sie plötzlich Schiss gekriegt haben oder sich einen von der Palme gewedelt oder was weiß ich. In Wohnungen gehe ich ja nicht so gerne, und das ist auch eher selten, dass da einer anfragt. Weil bei vielen ja die Frau zu Hause wartet. Aber da war ich schon in Buden gewesen, da wollte ich rennen, nur noch rennen. Da denkt man, dass die sich nicht schämen. Also ich würde mich schämen. Und da nicht noch jemanden reinholen. Hotel ist dann doch schon was anderes. Da stehen wir zu dritt im Fahrstuhl. Ich drücke die Fünfundzwanzig. Ein junger Mann und eine Frau, die gehören wohl zusammen. Da muss ich an meinen letzten Freund denken. Und krieg sofort Gefühl. Weil ich mit dem auch mal in ’nem schicken Hotel war. Auch wenn’s inzwischen anderthalb Jahre her ist. Ist jetzt keine Zeit für sowas. Wir fahren. Die kleinen blauen Ziffern über der Tür flimmern, in der Fünfzehn halten wir, in meinem Ohr knackt es, ’n alter Knacker steigt zu, sieht müde aus, müde Augen, altes kleines Gesicht, ich bin jetzt einunddreißig, die meisten denken Mitte zwanzig, so steht’s in der Zeitung, so steht’s in meiner Sedcard, ich habe Pläne, noch einen Winter, noch einen Sommer, ich bin ein Profi, cool wie Sharon Stone mit schwarzgefärbten Haaren, wir sind die erste Liga, wir ziehen den Männern das Geld aus den Eiern (Klappe, Magda! Zwinker, zwinker!), und wir fahren, der Alte steigt in der Achtzehn aus, Ding! zieh ’n Finger, Alterchen, ich muss zum Honeymoon! die beiden wollen bestimmt hoch in die Siebenundzwanzig, da ist eine Bar über den Dächern der Stadt, dort bin ich noch nie gewesen, aber heute, wenn ich die Scheinchen ins Dekolleté stecke, natürlich kommen sie ins Portemonnaie, heute werde ich dort oben eine Margarita trinken an der Bar, mit Blick auf die Stadt. In der Fünfundzwanzig steige ich aus, nicke den beiden kurz zu, bevor sich die Tür schließt. Ich sehe die Zimmernummern. Ich laufe den langen Gang entlang. Eine Frau kommt mir entgegen, sieht aus wie ein Zimmermädchen, weißer Kittel.»Guten Tag«, sage ich. Es war einmal ein kleines Mädchen, das war eigensinnig und vorwitzig. Ich habe mich immer gefragt, was das sein soll. Vorwitzig. Als Kind. Als meine Mutter mir die» Frau Trude «vorgelesen hat. Und wie die Frau Trude dann am Ende das Mädchen in ein Holzscheit verwandelt und ins Feuer wirft und sich an ihr wärmt. Wer denkt sich so etwas aus. Und wer liest so etwas vor. Manchmal denke ich, dass ich’s vielleicht selbst gelesen habe in dem grünen Buch, und weil meine Mutter mir auch einige Märchen vorgelesen hat … Gehirnfasching, Erinnerungen im Winter, Januar zwo-elf. Ist doch auch schon lange her. Ich bleibe vor der Tür stehen. Ich warte kurz und bin ganz still. Musik von drinnen. Ich lächele. Lege die Hand auf die Tür. Fühle mich stark. Na, dann wolln wir mal.
II (Und in den Straßen, hoher Schuh, schlankes Bein.)
Menschen schieben schweigend das Leben und die Nacht und den Tag vor sich her,»Sechshundertfünfundfünfzigtausend sind sicher keine große Sache, kein Weltstadtniveau, aber wir expandieren! Die Million ist das Ziel!«(Ich sagte schweigend!), Farben flimmern durch die Stadt, Baumaschinen auf zerrissenen Straßen, Wetterleuchten weit im Norden, drei Zeppeline kreisen über den Häusern.»Nimm deine scheiß Zunge aus meinem Mund! Und komm mir nicht mit deinem Das hat der und der und die und die. Ich habe gesagt, dass ich nicht …«
Grüne Wellen, Straßenbahnen quietschen in den Kurven, S-Bahnen auf Brücken, Bahndämmen, in Tunneln, Bahnhöfen, Gelenkbusse winden sich durch den Verkehr, Nummer 60, Zehnminutentakt, 76, 69, Rotstopp, am Güterring kreuzen sich S-Bahnen und Güterzüge, mehrere Ebenen, ein steinernes Viadukt hinterm Sportplatz, Kleingärten rauchen, Ostvorstadt, Angrillen, Abgrillen, Westvorstadt, badamm, badamm, badamm,»Die Züge rattern heutzutage anders, klingt anders als früher«, sagt ein Alter zu seiner Frau, die neben ihm auf dem Balkon …, graue Häuser oberhalb der Schienen, die Züge fahren durch Felsenschluchten, Vorstadtzüge, rostbraune Waggons, verfallene Güterbahnhöfe, die großen Seen am Rand der Stadt verdunsten ganz langsam, auf dem Grund liegen die alten Bagger, Braunkohlereste in den Schaufeln. Das Restaurant am Pier ist gut besucht, die Leute starren aufs Wasser und warten …
Wo bleibt der Regen, wir warten auf den Regen, nehmen Sie sich Urlaub und fahren Sie ans Meer … auf zweiundneunzig Komma drei … Und die Sonne wandert schnell.
«Das war, weil das Stampfen der Fabriken«, sagt der Alte unterm Sonnenschirm, den sie mit Draht fixiert haben an der Wand, gegen die Stürme, weil es ja bald gewittern soll, ah, ah, ah, jemand bumst laut, offene Fenster im Hinterhof, Frauenstimmen, Tachometer,»Ich brauche ’ne Taxe, sofort!«, die Sommerluft leitet die Geräusche, Elektrosound,»das war, weil …«