Dort, Richtung Gangway zum Zoo, zu den Tieren, rennen sie jetzt, die Meisterdiebe. Aber in die andere Richtung, also vom Zoo weg. Am grauen Beton des Hotels vorbei, die Fensterfront funkelt rot jetzt am Abend, die letzte Sonne, die Lichter der Stadt, eine Frau (30) steht an der Scheibe, presst beide Hände gegen das Glas und lässt sich von hinten ficken von einem Kerl, der noch das Hemd anhat und die Socken, und sie weiß nicht, über was sie nachdenken soll, ist das nicht asozial, Socken beim Ficken nicht auszuziehen, aber sie kann sich ja die Stadt angucken, fünfundzwanzigste Etage, da hat man ja mal eine Aussicht, der Sonnenuntergang macht sie etwas traurig, und sie spürt, wie der Typ in ihr rumfuhrwerkt.
Und da sind sie schon außer Atem an der Kreuzung. Die Meisterdiebe. Quer über die Straße, zwischen den Autos. Da flattert das Geld aus den Taschen. War alles ein paar Tage oder Wochen vorher. Kanacken? Nee. Zombies. Und denen flattert das Geld aus den Taschen und den Plastikbeuteln. Der größte Bruch des Jahres. Alles geplant und bis auf die Sekunde getimed. Rein ins Wettbüro, Schreckschussknarre raus, rumschreien, Maske verrutscht, Gesicht klatschnass unter der Wolle bei dreiunddreißig Grad im Schatten, Geld in die Plastiktüten, sind nur zweitausendsechshundert, da riskiert keiner was, denn die Wumme sieht echt aus, und die Typen drehen am Rad, wenn sie keinen Stoff haben, nix zu fixen, kein Kristall. Da sitzen die Alten auf ihren Hockern, an ihren Tischen, während die Rennen aus Übersee und England über den Bildschirm flimmern. Sehen, wie die Boxen sich öffnen in Belmont Park, New York, bumm, und die Pferde über die Bahn galoppieren. Und die Scheine flattern im Wind, und die Alten meckern, als die Bullen kommen, weil sie weiterzocken wollen.
Und die Profis der letzten Tage und Wochen fliehen gemeinsam zu Fuß und auf Fahrrädern, atemlos der Marathon durch die Stadt, drei Raubüberfälle am Wochenende, der Mann aus Ghana taumelt mit blutendem Hals durch die große Straße im Osten, wo die Türken und Araber ihre Reviere haben, betagter Tourist aus der Schweiz hinterrücks überfallen, wer kommt denn auf die Idee, dass der schwarze Mann genug Geld einstecken hat? ein Schwarzer aus der Schweiz? aber die Zeiten sind schlecht, vor zehn, fünfzehn Jahren hätten ihn höchstens paar Glatzen attackiert, jetzt heißt es alle gegen jedermann, und besser mit Messer, die Musketiere tagen im Zoo, die Jackpötte schrumpfen gewaltig im Sommer null-neun.
«Wir brauchen noch Kuchen für morgen.«
«Ich sitz gut hier. Du sagst doch morgen.«
«Du faules Schwein, komm endlich vom Balkon runter.«
«Nu mach mal halblang. Hier draußen ist’s besser als Fernsehen.«
Weil die beiden Bullen sich endlich den Zombie geschnappt haben und ihn jetzt über die Wiese schleifen, die Acht (8) klickt, mitnehmen,»Kopf runter, du Aas!«, Hausordnung durchgehen im Hauptquartier 2.»Wenn du uns was Schönes singst, mein lieber Kai, bist du morgen wieder frei!«
Der Mond ist aufgegangen. Und schimmert durchs Glas der Bahnhofshalle. Noch ist es nicht ganz dunkel, die Tage ziehen sich oft bis nach Mitternacht und berühren sich fast noch am Morgen. Die Winter neun, zehn, elf werden hart und dunkel, zweiunddreißig Penner erfrieren, insgesamt. Davon fünf auf dem Weg nach Hause. Einen zu viel in der Kneipe. Sperrstunde gibt’s nicht in der Stadt. Die Diskos, Puffs und Clubs rüsten sich für die Nacht. In den Wohnungen gehen die Schichten langsam zu Ende,»Endlich Feierabend, kommst du mit auf die Kleinmesse?«, nur wenige Frauen arbeiten bis nach Mitternacht, hohe Schuhe klappern im Treppenhaus,»Nee, lass mal, ich lass mir jetzt ’ne Massage«,»Pass auf dich auf«,»Du auch«, ab acht werden die Türen gesichert, die Securities schließen sich kurz, man muss wissen, wo der Feind steht. Auch Hans instruiert seine Leute in seinem kleinen Club, die Diskos sind nur der Anfang. Wie hat mal jemand zu ihm gesagt?» Der Kuchen ist groß genug, aber wer tot ist …«Nee, das ging doch anders. Ist schon Jahre her. Er spürt, dass er alt wird. Etwas muss passieren, und zwar schnell.
Zwei Männer stehen am Kaffeestand, direkt vor den Bahnsteigen. Links der Zug nach Berlin, rechts der Zug nach Hannover. Waren noch kurz bei» WC Weiß«, die von der Schweiz bis weit nach Deutschland expandierten, einmal pissen für 50 Cent.»Scheißen 1 Euro, Duschen 2,50«. Noch fünfzehn Minuten. Als wenn der Planet sich rückwärts dreht.
«Bei ›WC Weiß‹ ist’s immer schön kühl.«
«Die machen im Moment mehr Geld als wir.«
«Mhm. Geniales Konzept, das muss man zugeben.«
«Ich mag die Scheißhauskabinen. Immer sauber. Und kein Spaltbreit nach draußen. Man ist für sich.«
«Den Laden sollten wir übernehmen.«
«Und uns zur Ruhe setzen.«
«Geschissen wird immer.«
«Gebumst wird immer.«
«Aber denen macht keiner Stress.«
«Und wenn ich hier mein Billig-Pissoir aufmache, ›Mister Piss‹?«
«Wirste keine Lizenz für kriegen. Und selbst wenn, was willste anbieten. Und ›WC Weiß‹ ist einfach gut. Teuer, aber gut!«
«Dann biete ich Flatrate-Scheißen.«
«Du weißt aber, dass dieses ganze Flatrate-Gebumse nur den Markt und die Preise kaputt macht auf Dauer.«
«Die sollten an die Börse gehen. ›WC Weiß‹, mein ich.«
«Wir auch.«
«Wann kommt der Alte nach?«
«Hannover, Berlin. In der Reihenfolge. Ich denke, am Montag.«
«Montag ist ein guter Tag für Geschäfte.«
«Wird Zeit, dass was passiert.«
«Wird Zeit. Die Diskos sind nur der Anfang.«
Und der Driver, der jetzt ein anderer ist, spürt und sieht die Lichter, die an ihnen vorüberrasen, da geht er in die Eisen. Die Blitzer werden durchgesagt, und er fährt von der Stadtautobahn, fährt eine Weile hinter der Müllabfuhr her, biegt dann ab, sieht kurz die alten leeren Hafenspeicher am Kanalbecken, hinter denen der Himmel dunkelrot wird, biegt wieder ab, hört weit weg die Gewitter donnern, die Frau steht schon vorm Haus und raucht. Sie wirft die Zigarette weg und steigt ein. Sie fahren. Die Bullen stehen neben ihm an der Ampel. Golf 2. Sparprogramm, oder was? Ein dürres Gesicht auf der Rückbank, struppige Haare, gelbe Augen,»Kopf runter, du Aas«, er hört die Schreie und das Kreischen von der Achterbahn. Im bunten Chinatown, den großen Hallen am anderen Ende der Stadt, stürmen die Bullen die letzten Depots, Kristall im Tausch gegen Ware, Technik, Taschen, Geld und Brot vom Bäcker, Autoreifen, Autoradios, was die Zombies kriegen auf ihren Wegen durch die Nacht, die olympischen Ringe werden durchfahren, kopfüber, kopfunter, berühmte Achterbahn aus München, er sieht die Frau im Rückspiegel, dunkle Haare mit blonden Strähnchen drin, jetzt summt sie ein Lied, das kennt er, ist ein schönes Lied, hat seine Mutter ihm oft vorgesungen, als er ein Kind war. Kurz vor Mitternacht gibt es das große Feuerwerk, zwischen Riesenrad und Achterbahn, sie fragt sich, ob sie das sehen kann nachher, hoch oben über der Stadt, die Bullen beschlagnahmen elf Tonnen Pyrotechnik in Chinatown, gelb, grüne Wellen. Sie fahren, und sie hält die Hand in den Fahrtwind, alle Fenster offen.»Machst du das Radio an, bitte?«