Und das hatte sich jetzt vielleicht ausgezahlt.
Doomhammer beobachtete, wie die beiden Boote an der nördlichen Küste der Insel anlegten. Rend sprang an Land, gefolgt von einem langsameren Troll, dessen Haar zu Zöpfen geflochten war. Ein langer Schal war um seinen Hals und die untere Gesichtshälfte geschlungen.
Doomhammer freute sich. Es war Zul’jin höchstpersönlich!
»Sie waren zusammengepfercht und angekettet«, berichtete Rend. Er blieb wenige Schritte von Doomhammer entfernt stehen. »Die Menschen waren achtlos, weil sie annahmen, dass die einzige Bedrohung im Wald die gewesen sei, die sie selbst eingefangen hatten.« Der Häuptling des Black-Tooth-Grin-Clans lachte. »Keiner, der uns gesehen hat, lebt noch.«
»Gut.«
Sie warteten, während der Häuptling der Trolle sich näherte. Er sah noch genauso aus wie bei der letzten Begegnung. Von seinem Gesicht konnte Doomhammer ablesen, dass er sich an diese Begegnung ebenfalls noch erinnerte.
»Deine Krieger uns gerettet haben«, sagte der Waldtroll, trat zu Doomhammer und nickte ihm anerkennend zu. Eine Begrüßung unter Gleichrangigen. »Zu viele es waren, und hatten Fackeln, um zurückzuhalten uns.«
Doomhammer nickte. »Ich freue mich, dass ich einem Krieger helfen konnte«, sagte er. »Als ich hörte, dass du gefangen genommen wurdest, schickte ich meine Leute sofort los.«
Zul’jin grinste. »Dein Häuptling dich geschickt?«
»Ich bin jetzt der Häuptling«, antwortete Doomhammer und grinste nun selbst breit.
Der Troll blickte nachdenklich drein. »Deine Horde immer noch die Welt erobern will?«, fragte er schließlich.
Doomhammer nickte stumm und voller Anspannung, wie Zul’jins nächste Reaktion aussehen würde.
»Wir euch dann helfen«, verkündete dieser nach einem nicht enden wollenden Moment. »So wie ihr uns geholfen – Verbündete!« Er streckte seine Hand aus.
»Verbündete!« Doomhammer ergriff sie. In seinem Kopf schwirrten bereits die Ideen, wie es weitergehen würde.
Mit den Trollen, der Horde und den neuen Streitkräften, die Zuluhed dem Oberbefehl der Horde unterwarf, konnte sich ihnen nichts mehr in den Weg stellen.
5
Zwei Tage nach ihrem ersten Treffen befand sich Lothar zusammen mit den Herrschern des Kontinents im Thronsaal von Lordaeron. Khadgar begleitete ihn erneut, und Lothar war dankbar für die Anwesenheit seines Freundes. Terenas war ein freundlicher Gastgeber und ein guter Mann, genauso wie einige der anderen Monarchen. Aber der junge Zauberer war der Einzige, den Lothar noch von Azeroth her kannte. Selbst wenn dieser gar nicht in Stormwind geboren war, so erinnerte seine Gegenwart Lothar doch an sein Zuhause. An seine Heimat.
Heimat… ein Ort, den es nicht mehr gab. Lothar wusste, dass er sich damit abfinden musste. Dennoch erschien es ihm immer noch unwirklich. Er erwartete jederzeit, dass er Liane lachen hörte oder ein paar Greifen über seinen Kopf hinwegflogen. Oder dass seine Männer im Hof exerzierten.
Doch all das war nun vorbei. Ihre Freunde waren tot. Ihre Heimat war gefallen. Und er schwor sich, dass er dieses Land davor bewahren würde, in die Dunkelheit zu stürzen, selbst wenn er dafür sein Leben geben musste.
Gerade jetzt fühlte er sich eher so, als würde er seine geistige Gesundheit verlieren. Lothar hatte für Politik nie genug Geduld aufgebracht. Er hatte über die Jahre fasziniert dabei zugesehen, wie Liane erst diesen Adeligen beruhigte und dann jenen, Streitigkeiten schlichtete und dabei nie einen Einzelnen bevorzugte oder seine persönlichen Interessen die Staatsgeschäfte beeinflussen ließ.
Es war ein großes Spiel, hatte ihm Liane immer wieder erklärt. Ein Spiel, bei dem es um Positionierung, Einfluss und subtile Manöver ging. Niemand gewann jemals, zumindest nicht für lange. Das Ziel war es, die stärkste Position einfach so lange wie möglich zu halten.
Soweit Lothar es beurteilen konnte, waren die Herrscher dieses Kontinents Meister in diesem Spiel. Und weil er gezwungen war, sich mit ihnen auf gleicher Stufe zu messen, trieb ihn das an den Rand des Wahnsinns.
Nach dem Essen des ersten Tages waren sie in den Thronsaal zurückgekehrt, um weiter zu diskutieren. Jedermann schien inzwischen zu akzeptieren, dass die Horde angreifen würde. Selbst der aalglatte Perenolde.
Jetzt stellte sich die Frage, was dagegen getan werden sollte.
Es hatte den Rest des Tages gedauert, jedermann davon zu überzeugen, dass nur eine vereinigte Armee Sinn zur Lösung dieser Frage machte. Terenas hatte glücklicherweise sofort zugestimmt, ebenso Trollbane. Proudmoore musste erst ein wenig geschmeichelt werden.
Perenolde und Graymane waren um einiges schwieriger. Lothar war nicht überrascht gewesen, dass Perenolde Widerstand leistete. Er hatte ähnliche Männer in Stormwind erlebt, glatt und geschmeidig, gemein und immer auf ihren Vorteil aus. Häufig hatten sie sich als Feiglinge erwiesen.
Perenolde hatte vielleicht Angst, selbst in den Krieg ziehen zu müssen, und erweiterte diese Furcht auf seine Untergebenen… die jedoch ohne Zweifel tapferer als er waren.
Graymanes Zaudern hingegen war eine Überraschung, denn der Mann wirkte wie der personifizierte Krieger, er war kräftig gebaut und trug stets eine schwere Rüstung. Er hatte sich auch nicht direkt gegen das Kämpfen ausgesprochen. Aber er hatte stets auf andere Optionen gedrängt, wenn sich das Gespräch dem Thema Krieg näherte.
Perenolde hatte natürlich darauf bestanden, jeden der vorgebrachten Alternativvorschläge im Detail zu prüfen. Erst nachdem Proudmoore und Trollbane kurz davor standen, Graymane Feigheit vorzuwerfen, stimmte der stämmige Mann endlich darin überein, dass die Armee ihr einziger Rückhalt war.
Am zweiten Tag war es ähnlich weitergegangen. Sie hatten sich auf den Krieg verständigt, doch nun mussten sie die logistische Zusammenarbeit koordinieren. Welche Armee würde welche Truppen bereitstellen? Wo wurden sie stationiert, wie wurden sie versorgt?
Alles Fragen, mit denen Lothar sich seit Jahren auseinandersetzte, allerdings nur auf eine Armee bezogen. Doch jetzt musste er fünf unter einen Hut bekommen. Und dabei waren die Überlebenden von Stormwind noch gar nicht berücksichtigt.
Jeder König hatte eigene Vorschläge und eigene Vorgehensweisen. Und natürlich war die wichtigste Frage, wer das Kommando übernehmen sollte.
Jeder König schien sich selbst für den besten Anführer einer vereinigten Armee zu halten. Terenas führte an, dass Lordaeron das größte Königreich mit den meisten Soldaten sei. Außerdem sei er es gewesen, der sie alle zusammengerufen habe.
Trollbane war der Meinung, dass er über die größte Kampferfahrung verfügte. Und wenn Lothar sich den rauen Bergkönig betrachtete, glaubte er ihm das sogar.
Proudmoore erwähnte die Macht seiner Marine und die Bedeutung von Schiffen als Truppen- und Nachschubtransporter.
Graymane gehörte das südlichste Königreich. Er war der Ansicht, dass er das Kommando führen sollte, weil sein Land das erste sein würde, das die Orcs angriffen, wenn sie über Land kamen – auch wenn das nicht ganz stimmte, denn Stromgarde lag noch eher auf dem Weg der Horde, falls diese von Khaz Modan nach Dun Modr vorrückte.
Perenolde führte aus, dass reine Gewalt allein nicht ausreichen würde, sondern dass der Oberkommandierende auch über Klugheit, Weisheit und Weitsicht verfügen sollte – was er natürlich im Überfluss vorweisen konnte.
Und dann gab es da noch die beiden, die eigentlich keine Könige waren, aber echte Anführer: Erzbischof Faol, dessen Glaubensanhänger die meisten Menschen in allen Königreichen umfassten, und Erzmagier Antonidas, der zwar nur über eine Stadt herrschte, aber deren Bewohnern Kräfte innewohnten, die es an Stärke mit jeder Armee aufnehmen konnten.
Glücklicherweise waren die beiden Männer – der eine klein und freundlich, der andere groß und ernst – nicht am Oberkommando über die vereinigte Armee interessiert. Beide nutzten ihren Einfluss dankenswerterweise vielmehr, um mäßigend auf die anderen Parteien einzuwirken. Dabei machten sie klar, dass die Horde kommen würde, ganz egal, ob eine Armee bereitstand, gegen sie anzutreten oder nicht. Und sie erinnerten die Monarchen daran, dass eine Armee ohne Anführer völlig nutzlos war, ganz egal, wie groß sie war.