»Die Todesritter werden unsere Kavallerie und unsere Vorhut sein«, verkündete Doomhammer. »Sie sind geborene Streiter und gebieten überdies über dunkle Magie, mit deren Hilfe sie die Verteidigung unserer Feinde umgehen können.« Er machte eine Pause. »Vielleicht haben wir noch weitere Verbündete«, sagte er dann. Er hatte gehofft, dass sie auch schon bereit wären. Aber Zuluhed hatte mehr Zeit gefordert, um die Vorbereitungen abzuschließen. »Doch dazu später mehr. Zunächst einmal wenden wir uns nach Norden, gehen über Land nach Khaz Modan, in die Heimat der Zwerge. Die dortigen Gebiete sind reich an Erz und Öl. Wir nehmen uns die Ressourcen und benutzen sie, um eine mächtige Flotte zu bauen. Mit diesen Schiffen werden unsere Streitkräfte nach Lordaeron übersetzen. Denn die Menschen werden nicht erwarten, dass wir über das Wasser kommen. Wir werden im Westen landen, dann zurückmarschieren und aus dem Hinterhalt angreifen. Wir werden sie vernichten. Dann beherrschen wir das Land, und die ganze Welt gehört uns!«
Die Horde jubelte wieder. Ihr Geschrei schwoll immer lauter an, bis es von den umgebenden Felsen zurückhallte.
Doomhammer spürte das Echo unter seinen Füßen. Die Bergspitze vibrierte. Er blickte auf Zuluhed, der hinter ihm stand. Das Gebrüll und die Kriegsrufe seiner Leute konnten doch wohl nicht den Berg selbst geweckt haben?
Aber der alte Schamane nickte. »Der Vulkan spricht«, sagte Zuluhed leise. Er trat vor, damit Doomhammer ihn besser verstehen konnte. »Die Geister in diesem Berg sind zufrieden.« Er lächelte. »Sie gewähren uns ihren Segen!«
Doomhammer nickte. Die Steine vibrierten immer noch, als er den Hammer hochriss und über seinem Kopf wirbeln ließ. Die Menge begann, seinen Namen zu skandieren.
»Doomhammer!« Sie riefen nach ihm, immer wieder, und schließlich ertönte ein lauter Knall. Der Himmel wurde schwarz.
»Doomhammer!«, jubelten sie weiter, und die Luft schien zäher zu werden, war plötzlich voller Rauch.
»Doomhammer!!«
Und mit einem lauten Krachen explodierte der Berg hinter ihnen, spie Lava, Steine und Asche aus. Die Rufe der Horde wurden noch lauter. Aber nicht aus Furcht. Wie Zuluhed betrachteten sie das Geschehen als Segnung der Erde selbst, die ihr Vorhaben gut hieß.
Doomhammer ließ den Tumult eine Weile zu. Er akzeptierte die Begeisterungsstürme als Zeichen des Respekts und der Loyalität, die seinem Volk zu neuen Höhen verhelfen würde.
Dann aber zeigte er mit seiner Waffe in Richtung Norden. »Wir ziehen los!« Er übertönte die Horde fast mühelos. »Lasst die Menschen bei unserer Ankunft erzittern!«
7
»Erzählt uns alles!«
Khadgar nickte, schaute sich aber gar nicht erst um, da es ohnehin zwecklos gewesen wäre. Er war vor den Rat der Kirin Tor zitiert worden, und dessen Mitglieder waren nur dann sichtbar, wenn sie es wollten.
Er hatte schon früher einmal in der Ratskammer gestanden. Damals, als ihm mitgeteilt worden war, dass er der Schüler Medivhs werden sollte. Seinerzeit war er von dem Raum, der den Anschein erweckte, als würde er irgendwie in der Luft hängen, beeindruckt gewesen.
Nur der Boden war schwach sichtbar, während die Welt ringsum abwechselnd dunkel und wieder heller wurde und sich viel schneller bewegte, als es in der Wirklichkeit der Fall war.
Die Ratsmitglieder hatten ihn ebenso fasziniert. Sie waren verhüllte Gestalten, Aussehen und Geschlecht lagen verborgen hinter Kleidung und Magie. Das war sowohl effektvoll als auch von praktischem Nutzen. Die Anführer der Zauberergemeinschaft wurden in geheimer Abstimmung gewählt, um sie vor Bestechung, Entführung und anderen Versuchen der Einflussnahme zu schützen. Die Ratsmitglieder kannten sich untereinander, aber sonst wusste niemand um ihre Identität.
Viele Mitglieder amüsierten sich darüber, dass jeder, der eintrat oder ging, von dem Gesehenen in Verwirrung gestürzt wurde. Oftmals wusste der Betreffende nicht mehr, was er gehört und erlebt hatte.
So war es damals auch Khadgar ergangen. Er hatte die Kammer mit aufgewühltem Herzen verlassen, beeindruckt von der Macht, die die Meister beherrschten. Auch er hatte sich nicht mehr genau daran erinnern können, was während des Empfangs genau passiert war.
Vieles war seitdem anders geworden. Obwohl nur ein paar Jahre verstrichen waren, hatte Khadgar viel Wissen und Macht hinzugewonnen. Sein Aussehen hatte sich ebenfalls geändert. Er lächelte innerlich, als er sich vorstellte, dass diesmal einige Ratsmitglieder von ihrem Besucher verwirrt sein würden. Immerhin war er als junger Mann gegangen… und nun deutlich gealtert zurückgekehrt. Er war jetzt älter als viele von ihnen, obwohl er weniger lange gelebt hatte.
Khadgar hatte keine Lust mehr, Spielchen zu spielen. Er war müde, denn er war nach Dalaran teleportiert. Und wenn seine Magie es ihm auch ermöglichte, die Strecke zu überwinden, so blieb es doch eine gewaltige Entfernung. Außerdem hatte er gestern Abend noch spät mit Lothar diskutiert, in Vorbereitung auf ihre offizielle Strategiebesprechung in der nächsten Woche.
Khadgar schätzte das Interesse seiner ehemaligen Lehrer an den Ereignissen. Und ihm war klar, dass sie erfahren mussten, was in Azeroth geschehen war. Aber das konnte er ihnen besser ohne das ganze Brimborium drumherum erklären.
Deshalb hob er schließlich den Kopf und schaute zu der vermummten Gestalt zu seiner Linken. »Ich werde mich gern der Dinge erinnern, Prinz Kael’thas«, sagte er freundlich, »aber ich fände es weitaus leichter, wenn ich mein Publikum richtig sehen könnte.«
Er hörte, wie jemand nach Luft schnappte, doch die vermummte Gestalt, die er ansprach, lachte. »Du hast Recht, junger Khadgar«, antwortete der Magier. »Ich fände es auch anstrengend, zu solchen Schattengestalten zu sprechen.« Mit einer schnellen Geste ließ der Elfenprinz seine Tarnung sinken. Jetzt konnte Khadgar ihn in seinen violetten und goldenen Gewändern erkennen. Sein langes goldenes Haar reichte über die Schultern. Die scharfen Gesichtszüge zeigten Anteilnahme. »Ist es so besser?«
»Erheblich«, sagte Khadgar. Er sah sich nach den anderen Ratsmitgliedern um. »Und was ist mit Euch? Darf ich Eure Gesichter nicht sehen? Lord Krasus? Lord Kel’Thuzad? Lord Antonidas hat keine Verkleidung nötig. Und Prinz Kael’thas hat sich entschlossen, sie abzulegen. Wird der Rest dasselbe tun?«
Antonidas saß vor Khadgar auf einem unsichtbaren Stuhl und lachte. »In der Tat, junger Mann, in der Tat«, stimmte er zu. »Diese Angelegenheit ist viel zu ernst für solche Tricks. Und Ihr seid nicht länger mehr ein Welpe, der sich solche Taschenspielereien bieten lässt. Legt eure Verkleidungen ab, meine Freunde, und lasst uns zum Thema kommen, bevor es noch später wird.«
Die anderen Magier gehorchten, obwohl ein paar fluchten. Sekunden später sah sich Khadgar von sechs Gestalten umringt. Er erkannte Krasus an seinem Körperbau; grazile Gesichtszüge und das silberne Haar, das immer noch von rot durchzogen war. Kel’Thuzad war ihm ebenfalls vertraut; ein charismatischer Mann mit dunklem Haar, einem Vollbart und merkwürdig glasigen Augen, als würde er nicht wirklich in die Welt blicken, die ihn umgab. Die beiden anderen, ein dicklicher Mann und eine große Frau, kannte Khadgar nicht, obwohl ihm ihre Züge vage vertraut vorkamen. Wahrscheinlich hatte er sie schon einmal in der Violetten Zitadelle gesehen, als er dort studiert hatte. Er war damals einfach nicht wichtig genug gewesen, als dass man ihn direkt angesprochen hätte.
Das war heute anders. Sie alle musterten ihn aufmerksam.
»Wir haben getan, was Ihr verlangtet«, sagte Kel’Thuzad. »Jetzt berichtet, was passiert ist!«
»Was wollt Ihr denn wissen?«, fragte Khadgar den älteren Magier.
»Alles!« In seinen Augen konnte er lesen, dass er es auch so meinte. Er hatte immer als Träumer und Forscher gegolten. Jemand, der stets auf der Suche nach Informationen war, besonders, was die Magie betraf, ihre Quellen, ihre Möglichkeiten. Von allen Kirin Tor war er am meisten daran interessiert gewesen, Zugang zu Medivhs geheimnisvoller Bibliothek zu erhalten. Und, so vermutete Khadgar, er war einer derjenigen, der ihre Zerstörung am meisten bedauerte.