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Er hatte niemandem gesagt, dass er die wertvollsten Bände an sich genommen hatte, bevor er den Turm verließ.

»Nun gut…« Also erzählte er es ihnen. Dankbar nahm er den Platz an, den der beleibte Mann ihm auf einem Stuhl anbot. Khadgar schilderte haarklein, was geschehen war, seit er Dalaran vor zwei Jahren verlassen hatte. Er berichtete von der merkwürdigen Lehrlingszeit bei Medivh, über den Zauberer und seine launenhaften Stimmungen und dessen immer wieder merkwürdiges Verschwinden. Er erzählte vom ersten Gefecht mit den Orcs, von den Morden des Zauberers, von Medivhs Verrat und wie er und Lothar das Leben des Magiers beendet hatten.

Dann erzählte er von der Horde und den Schlachten gegen sie, von der Belagerung Stormwinds, Llanes Tod, dem Fall der Stadt und ihre darauf folgende Flucht.

Die Meistermagier hörten aufmerksam zu. Nur gelegentlich stellte einer eine Frage. Dabei legten sie eine überraschende Zurückhaltung jemandem gegenüber an den Tag, der so viel jünger war. Ihre wenigen Fragen waren kurz und prägnant. Als er mit der Gründung der Allianz und den Paladinen geendet hatte, holte Khadgar Atem und wartete ab, was die Magier als nächstes von ihm wissen wollten.

»Ihr habt den Orden von Tirisfalen nicht erwähnt«, führte Kel’Thuzad aus, was Antonidas ein scharfes Husten entlockte. »Er ist wichtig, wenn wir über Medivh reden!«

»So ist es«, antwortete Khadgar. »Und ich entschuldige mich für den Fehler. Aber…« Er schaute sich um, versuchte, das Wissen der Magier anhand ihrer Gesichter abzuschätzen… und entschied sich für Zurückhaltung. »Ich weiß nur wenig von den wahren Taten des Ordens. Medivh gehörte ihm an, und ein oder zweimal sprach er davon. Doch er nannte keine Mitglieder oder gab mir Einblick in ihre Aktivitäten.«

»Natürlich nicht«, stimmte ihm die Frau zu, und Khadgar bemerkte die Enttäuschung in ihrem Blick, als sie Kel’Thuzad ansah.

Er hatte richtig entschieden, erkannte er. Sie wussten nichts über den Orden und hatten nur versucht, ihm dessen Geheimnisse zu entlocken. Nun, sie hatten es nicht geschafft und würden die Sache nicht weiter verfolgen.

»Aber ich bin besorgter über Medivh selbst und was ihm passiert ist«, fuhr sie fort. »Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr Sargeras in ihm gesehen habt?«

»Absolut.« Khadgar beugte sich vor. »Ich hatte den Titan bereits in einer Vision erlebt und erkannte ihn sofort wieder.«

»Also war es Medivh, beziehungsweise Sargeras durch ihn, der den Weltenspalt für die Orcs geöffnet hat«, vermutete der dickliche Mann. »Und wie, sagtet Ihr, nannten sie ihre Welt noch gleich?«

»Draenor«, antwortete Khadgar und schauderte. Denn er dachte an die andere Vision in Medivhs Turm, mit ihm selbst als altem Mann – oder zumindest alt aussehendem Mann – der eine kleine Gruppe Krieger gegen eine Übermacht der Orcs anführte. Auf einer Welt mit einem blutroten Himmel… Garona hatte ihm gesagt, dass sich das nach Draenor anhörte, was bedeutete, dass ihm bestimmt war, dorthin zu gehen – und er es wahrscheinlich nicht überleben würde.

Er schüttelte die unguten Gedanken ab

»Was wissen wir darüber?«, fragte Krasus. »Von dieser Welt. Ihr habt uns den Himmel beschrieben, aber wisst Ihr noch mehr darüber?«

»Ich war noch nie dort«, antwortete Khadgar und dachte: zumindest bis jetzt noch nicht. »Aber eine Begleiterin, eine Haibork, verriet mir viel über diese Welt und über die Orcs.« Er konnte Garona fast vor sich sehen und wandte sich schnell von der schmerzhaften Erinnerung ab. »Die Orcs waren auf ihrer Welt friedvoller. Sie stritten untereinander, doch bekämpften sich nicht. Ihre einzigen echten Feinde waren die Oger. Allerdings sind die Orcs diesen zahlenmäßig hoch überlegen.«

»Was ist passiert?«, fragte Kel’Thuzad.

»Sie wurden korrumpiert«, erklärte Khadgar. »Sie kannte nicht alle Details, wusste nichts über das Warum und Wie, aber die Hautfarbe der Orcs änderte sich allmählich von braun nach grün, und sie begannen Magie zu praktizieren, die sich von ihrer alten Schamanenkunst unterschied. Sie wurden wilder, brutaler. Es gab eine große Zeremonie und irgendeinen Kelch. Die Häuptlinge und die Krieger tranken daraus, zumindest die meisten. Ihre Haut wurde daraufhin hellgrün und ihre Augenfarbe rot. Sie wurden stärker, machtvoller und barbarischer. Und alle ergaben sich dem Blutrausch. Sie töteten jeden Feind, auf den sie trafen – und sie wandten sich plötzlich auch gegeneinander. Derweil hatte ihre Magie das Land unfruchtbar gemacht, das Getreide wuchs nicht mehr. Sie waren dabei, sich selbst auszurotten oder Hungers zu sterben. Doch dann wandte Medivh sich an Gul’dan, den obersten Hexenmeister der Horde. Er bot ihm Zugang zu dieser Welt an, unserer Welt. Gul’dan akzeptierte, und gemeinsam schufen sie ein Portal. Sie schickten ein paar Clans auf einmal hindurch und wurden allmählich immer mehr. Dann mussten sie eigentlich nur noch abwarten, ihre Streitkräfte aufbauen, unsere Verteidigung auskundschaften – und schließlich angreifen.«

»Und jetzt kommen sie in voller Stärke?«, fragte Kael’thas mit sorgenvollem Blick.

»Ja.«

Khadgar wartete ab, aber niemand anders ergriff das Wort, und schließlich blickte er zu dem unsichtbaren Stuhl. »Wenn es nichts weiter gibt, ehrenwerte Meister, werde ich jetzt gehen«, sagte er. »Es war ein langer Tag, und ich bin sehr müde.«

»Was für Pläne habt Ihr nun?«, fragte die Frau, als er sich vom Stuhl erhob.

Khadgar furchte die Stirn. Er hatte sich dasselbe gefragt, seit er in Lordaeron angekommen war. Ein Teil von ihm wollte die Kirin Tor um Schutz bitten – vielleicht konnte er ja in seinen alten Beruf als Bibliothekar zurück? Er würde keinen Ärger machen, und er wäre in Sicherheit hinter den stärksten magischen Schutzeinrichtungen dieser Welt. Ein anderer Teil von ihm hingegen sträubte sich, vor dem bevorstehenden Konflikt zu flüchten.

Er war immerhin einem Dämon gegenüber getreten – und hatte überlebt. Wenn er das schaffen konnte, brauchte er sich gewiss nicht vor einer Armee von Orcs zu verstecken.

Außerdem galten ihm Freundschaft und Respekt noch etwas.

»Ich werde bei Fürst Lothar bleiben«, sagte Khadgar schließlich betont gelassen. »Ich habe ihm meine Unterstützung zugesagt, und er verdient sie wirklich – nach dem Krieg, vorausgesetzt, ich überlebe ihn…« Er zuckte die Achseln.

»Ihr seid immer noch mit Dalaran verbunden«, merkte die Frau an. »Wenn wir Euch zurückberiefen und Euch eine wichtige Aufgabe zuteilen würden, würdet Ihr dem Ruf folgen?«

Khadgar dachte kurz darüber nach. »Nein«, antwortete er langsam. »Ich könnte nicht zurückkehren. Wenn wir den Krieg überleben, werde ich mich weiter meinen Studien widmen. Ob ich das hier oder in Medivhs Turm mache oder sonst wo, steht noch nicht fest.«

Die Ratsmitglieder musterten ihn und er sie. Krasus brach schließlich die Stille. »Als Ihr gegangen seid, wart Ihr noch ein Jüngling, ein rechter Grünschnabel«, sagte er. »Aber Ihr seid als Meister und Mann zurückgekehrt.«

Khadgar nickte, um das Kompliment anzunehmen, erwiderte allerdings nichts.

»Euch wird nichts befohlen«, versicherte ihm Antonidas. »Wir respektieren Eure Wünsche und Eure Unabhängigkeit. Wir würden nur gern auf dem Laufenden gehalten werden, besonders über alles, was Medivh, die Totenbeschwörer, den Orden und das Portal betrifft.«

Khadgar nickte. »Darf ich dann gehen?«

Antonidas lächelte angespannt. »Ja, Ihr dürft gehen«, sagte der Erzmagier. »Möge das Licht Euch beschützen und Euch Stärke schenken.«

»Haltet uns auf dem Laufenden«, bekräftigte der dicke Mann noch einmal. »Je eher wir die Pläne der Orcs kennen, desto schneller können wir Soldaten dorthin entsenden, wo sie auftrumpfen wollen – und natürlich auch magische Hilfe gewähren.«