»Nun, Kriegshäuptling?«, fragte ein in der Nähe stehender Orc-Krieger, der die Axt bereithielt.
Doomhammer nickte, und der Krieger ging zu dem Baum neben sich. Der Stamm war altersdick und glatt wie Seide, die Blätter grün und saftig. Sie rochen nach Natur, Leben, Schönheit und Beute… Mit einem kräftigen Hieb schlug der Orc große Splitter Baumrinde und Holz aus dem Stamm. Dann schwang er die Axt erneut und vergrößerte damit die Kerbe.
»Nein! Stopp, nein!« Doomhammer riss dem verblüfften Krieger die Axt aus der Hand und stieß ihn zurück. »Nicht in einem solchen Winkel zuschlagen, sondern gerade«, wies er ihn an. Er schwang die Axt über seinen Kopf, spannte seine Muskeln an, schlug mit aller Kraft zu und trieb die Klinge ein gutes Stück durch den Stamm. Mit einem kräftigen Ruck riss er sie sodann zurück und schlug wieder auf dieselbe Stelle ein. Dadurch vertiefte er die bestehende Wunde weiter. Ein dritter Schlag brachte das Beil fast bis auf die andere Seite, nur eine hauchdünne Trennschicht aus Holz und Rinde blieben noch übrig.
Doomhammer zog die Axt zurück, und als sie den Stamm abermals traf, kippte der Baum um. Der Boden bebte, als der Stamm aufschlug. Blätter und Beeren wirbelten durch die Luft.
»So geht das.« Er gab dem Krieger die Axt zurück. Der nickte und marschierte zum nächsten Baum. Ein zweiter Krieger wandte sich derweil dem gefällten Baum zu und begann, ihn mit seiner Axt in kleinere Stücke zu hacken.
Hinter ihm machten sich mehrere Krieger an dieselbe Aufgabe. Vorräte für eine Armee von der Größe der Horde mitzunehmen, war ein hoffnungsloses Unterfangen. Stattdessen holten sie sich, was sie brauchten, aus dem eroberten Land. Das Holz dieser Bäume würde die Feuer der Horde wochenlang brennen lassen. Vielleicht sogar über Monate.
Dass jeder fallende Baum auch den Lebensraum den Elfen dezimierte, motivierte sie nur noch um so mehr.
Doomhammer stützte sich auf seinen Hammer und schaute den Arbeiten zu, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Ein kleiner, schwer gebauter Orc mit einem dichten Bart kam auf ihn zu. Sein erhitztes Gesicht zeigte einen Ausdruck, der Doomhammer gar nicht gefiel. Gul’dan wirkte einfach zu gut gelaunt.
»Was ist los?«, wollte Doomhammer wissen, als der Hexenmeister ihn erreichte.
»Da ist etwas, das du dir ansehen solltest, mächtiger Doomhammer«, antwortete Gul’dan und verneigte sich. Cho’gall lachte und äffte die Geste hinter Gul’dans Rücken nach. »Etwas, das der Horde sehr nützen könnte.«
Doomhammer nickte und schwang seinen Hammer über die Schulter. Er bedeutete Gul’dan, ihm zu folgen. Der Hexenmeister wandte sich um und führte Doomhammer und Cho’gall etwas abseits. Vor einem Felsen, der eine Lücke in den Bäumen erzwang, kam er schließlich zum Stehen. Die raue Oberfläche des Steins war mit Runen überzogen, und selbst Doomhammer, der kein sonderlich ausgeprägtes Gespür für spirituelle Dinge hatte, konnte die Kraft fühlen, die von dem kruden Monolithen ausging.
»Was ist das?«, wollte er wissen.
»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Gul’dan und strich sich über den Bart. »Aber es ist sehr mächtig. Ich glaube, es gibt hier noch einige weitere Runensteine. Sie dienen als magische Barriere.«
»Uns haben sie nicht aufgehalten«, gab Doomhammer zu bedenken.
»Nein, weil wir nichts anderes als unsere Hände, Füße und Klingen benutzt haben«, antwortete Gul’dan. »Diese Runensteine verhindern wahrscheinlich den Einsatz von Magie. Wahrscheinlich erlauben sie nur den Elfen, Zauberei zu benutzen. Ich habe versucht, meine Magie hier zu wirken, konnte es aber nicht. Doch wenn ich zehn Schritte weg gehe, klappt es wieder.«
Doomhammer betrachtete den Felsklotz mit mehr Respekt als zuvor. »Wenn wir die also nähmen und um unsere Feinde herum auslegten, könnten sie keine Magie mehr wirken«, vermutete er.
Gleichzeitig überlegte er, wie viele Orcs wohl nötig waren, um diese Monolithen zu bewegen.
»Das wäre ein Ansatzpunkt, ja«, stimmte ihm Gul’dan zu. Sein Tonfall verriet jedoch, was er von dem Vorschlag hielt. »Aber ich habe eine andere Idee, Kriegshäuptling. Wenn du mich für einen Moment entschuldigst.«
Doomhammer nickte. Er traute Gul’dan nicht, doch der Hexenmeister hatte sich als nützlich erwiesen, als er die Todesritter erschuf. Er war neugierig, was der untersetzte Orc vorhatte.
»Diese Steine enthalten immense Magie«, erklärte Gul’dan. »Ich glaube, dass ich diese Kraft für uns nutzbar machen kann.«
»Was meinst du?«, fragte Doomhammer. Er war nicht so naiv, dass er Gul’dan freie Hand ließ. Nein, er wollte stets im Bilde sein und alle Details eines Vorhabens kennen.
»Ich kann sie benutzen, um einen Altar zu errichten«, antwortete Gul’dan. »Einen Altar der Stürme. Indem ich die Energie aus diesen Steinen kanalisiere, vermag ich Kreaturen zu verändern. Ich kann sie mächtiger und gefährlicher machen, allerdings kann es dabei auch zu einigen… Entstellungen kommen.«
»Ich bezweifle, dass sich dir auch nur ein einziger Orc noch einmal freiwillig als Experimentieropfer zur Verfügung stellt«, merkte Doomhammer scharf an. Er erinnerte sich noch gut an den sogenannten Kelch der Wiedergeburt, aus dem jeder Häuptling der Horde und jeder für würdig erachtete Krieger getrunken hatten. Doomhammer hatte dem Hexenmeister schon damals misstraut, und als Blackhand ihn aufforderte, daraus zu trinken, hatte er abgelehnt. Er hatte behauptet, er wolle dem Häuptling nicht ebenbürtig werden, indem er dessen Macht teilte. Aber er hatte gesehen, was die Flüssigkeit Freunden und Clanbrüdern angetan hatte.
Sie hatte sie größer und stärker gemacht. Das stimmte. Doch sie hatte auch die Augen rot erglühen lassen und ihre bereits grünliche Haut in ein helles, wässriges Grün verwandelt – das Zeichen dämonischer Verseuchung. Und sie hatte sie alle verrückt vor Blutdurst gemacht, vor Wut, vor Hunger. Sie hatte die einst ehrenhaften Orcs in Tiere verwandelt, in wahnsinnige Mörder. Ein paar hatten ihre Verwandlung später bereut. Aber da war es schon zu spät gewesen.
Gul’dan lächelte, als ahnte er, was der Kriegshäuptling dachte. Und vielleicht tat er das ja auch. Wer wusste schon, über welche merkwürdigen Kräfte der Hexenmeister verfügte. Doch er antwortete nur auf Doomhammers Worte, nicht auf seine Gedanken.
»Ich werde keine Orcs verwenden, um diese Altäre zu testen«, versicherte ihm Gul’dan. »Ich werde eine Kreatur aussuchen, die am meisten von größerer Stärke profitiert, dabei aber auch keinen sonderlichen Intelligenzverlust befürchten muss.« Er grinste. »Ich werde es mit einem Oger versuchen.«
Doomhammer dachte darüber nach. Sie hatten nicht viele Oger, aber die wenigen, die bei ihnen waren, wogen das Zehnfache normaler Krieger auf. Sie noch stärker zu machen, wäre sicherlich ein Risiko wert.
»Gut«, sagte er schließlich. »Du darfst einen dieser Altäre bauen. Lass uns dann sehen, was passiert. Wenn es funktioniert, werde ich dir weitere Oger zur Verfügung stellen oder Angehörige jedes anderen Volkes, die du haben willst.« Gul’dan verneigte sich tief, und Doomhammer nickte. Im Geiste beschäftigte er sich bereits mit logistischen Problemen.
12
»Schneller, verdammt! Bewegt euch schneller!« Alleria schlug sich mit der Faust auf den Oberschenkel, als könnte sie mit dieser Bewegung die Truppen zu erhöhtem Tempo antreiben.
Sie lief etwas langsamer, wurde dann wieder schneller, unfähig, sich über einen längeren Zeitraum derart gemächlich zu bewegen. Binnen Minuten war sie an der langen Reihe von Männern vorbei und hatte wieder zur Kavallerie aufgeschlossen. Automatisch schaute sie sich um und suchte nach dem kurzgeschorenen blonden Haar ganz vorne.
Da!
»Ihr müsst mehr Tempo machen«, zischte sie Turalyon zu, als sie zwischen die anderen Pferde glitt. Der junge Paladin war verwirrt und errötete. Aber diesmal hatte sie keinerlei Spaß daran, ihn dazu gebracht zu haben. Jetzt war keine Zeit für solche Narreteien!