»Mir geht es gut«, versicherte er dem alt wirkenden Magier. »Ich fragte mich nur, was wir als Nächstes tun sollen.«
»Was meinst du?« Khadgar sah sich um und schaute zu den Truppen zurück, die hinter ihnen marschierten. »Du machst das doch schon alles prima. Halte die Männer in Bewegung und hoffe, dass wir die Horde erwischen, bevor sie zuviel Unheil anrichten kann.«
»Ich weiß«, antwortete Turalyon. »Ich wünschte nur, dass es einen Weg gäbe, wie wir die Horde überholen könnten – um Quel’Thalas vor ihnen zu erreichen. Vielleicht hat Alleria Recht, vielleicht sollte ich sie ziehen lassen. Aber wenn sie gefangen genommen wird, wenn ihr auch nur das Geringste zustoßen würde…« Er brach ab und schaute Khadgar an, der jetzt breit grinste. »Was?«
»Oh, gar nichts«, sagte sein Freund lachend. »Nur, wenn du dich um jeden deiner Soldaten derart sorgen würdest, könnten wir gleich aufgeben, weil du sie aus Angst, sie könnten sich verletzen, nicht in die Schlacht schicken würdest.«
Turalyon schlug freundschaftlich nach dem Magier, der sich unter dem Schlag wegduckte und immer noch lachte. So ritten sie weiter, gefolgt von ihrer Armee.
»Wir sind fast da«, versicherte Turalyon Alleria, die um sein Pferd herumlief, als würde es stillstehen.
»Das weiß ich!«, fuhr sie ihn an, ohne aufzusehen. »Dies ist meine Heimat. Ich kenne mich hier besser aus als Ihr!«
Turalyon seufzte. Die zwei Wochen hatten sich lange hingezogen. Eine Armee zu führen war anstrengend, auch wenn er auf anderen Märschen schon etwas Erfahrung gesammelt hatte. Der Unterschied war, dass vorher Lothar für die letztendliche Entscheidung verantwortlich gewesen war. Dieses Mal blieb alles an ihm hängen – was ihn mehrfach um den Schlaf gebracht hatte.
Und dann war da noch Alleria gewesen. Alle Elfen waren die ganze Zeit über gereizt gewesen und sorgten sich um Quel’Thalas. Aber sie waren dennoch ruhig geblieben, um die Belastung nicht noch zu verstärken.
Nicht so Alleria. Sie hatte jede Entscheidung angezweifelt: – warum sie durch das eine Tal zogen und nicht das andere; warum sie Lagerfeuer entzündeten, statt in der Kälte zu schlafen und kalt zu essen; warum sie bereits in der Dämmerung Rast einlegten, statt bis tief in die Nacht hinein zu marschieren.
Turalyon war schon nervös genug, aber Allerias permanente Nörgeleien hatten es zehnmal schlimmer gemacht. Er fühlte sich unter ständiger Beobachtung, und für jede Entscheidung erhielt er neue Missbilligung.
»Wir erreichen bald den Fuß der Hügel«, erinnerte er sie. »Dann sollten wir die Grenze nach Quel’Thalas sehen können und erkennen, wie weit uns die Horde voraus ist. Vielleicht sind sie aufgehalten worden, weil sie über die Berge kamen…« Lothar hatte die Wildhammerzwerge überredet, einen Kundschafter hinüber nach Alterac zu entsenden. Der Zwerg hatte Befehle für Admiral Proudmoore überbracht, der einige Schiffe nahe dem Darromersee stationiert hatte.
Proudmoore hatte die Schiffe den Fluss hinunter geschickt. Sie hatten sich bei Stromgarde mit Turalyon und der Armee getroffen und die Soldaten an Bord genommen. Dann waren sie den Fluss hinauf an den Bergen vorbeigesegelt. Dadurch ersparten sie es sich, die Berge wie die Horde zu Fuß zu überqueren und hatten deutlich Zeit gewonnen.
Turalyon hoffte, dass diese Ersparnis am Ende ausreichen würde. Er wäre lieber direkt bis nach Quel’Thalas gesegelt, aber Alleria hatte ihm versichert, dass das unmöglich war. Ihr Volk würde einem Menschenschiff niemals erlauben, auf seinem Teil des Flusses zu fahren. Deshalb waren die Menschen gezwungen gewesen, nahe Stratholme auszusteigen und den Weg zu Fuß fortzusetzen.
»Sobald ich den Wald sehe, gehe ich schnurstracks weiter«, warnte ihn Alleria. »Versucht nicht, mich aufzuhalten.«
»Ich will Euch gar nicht aufhalten«, antwortete Turalyon, der froh war, ein kleines Lächeln über ihr Gesicht huschen zu sehen, dem Verblüffung folgte.
»Ich möchte, dass Ihr und Eure Waldläufer Eure Leute findet und sie warnt«, erinnerte er sie. »Ich wollte nur verhindern, dass Ihr auf dem Weg dahin der Horde in die Hände fallt. Aber jetzt sind wir nah genug, sodass wir die Horde lange genug ablenken können. Das verschafft Euch die Zeit, an ihr vorbeizuschlüpfen und Euer Volk zu warnen. Danach könnt Ihr sie aus dem Hinterhalt angreifen, wir attackieren sie von vorne. So zerquetschen wir die Horde zwischen uns.«
Alleria nickte. Sie blickte zu ihm auf, sagte kein Wort und legte dann ihre Hand auf sein Bein. Turalyon glaubte einen Moment, die Hitze einer kleinen Sonne würde sein Blut zum Kochen bringen. Seine Glieder prickelten.
»Danke«, sagte sie sanft.
Er nickte, unfähig zu sprechen.
Einer ihrer Waldläufer platzte dazwischen und beendete den Moment. »Die Grenze nach Quel’Thalas liegt direkt vor uns«, sagte er eilig. »Ich kann die Bäume dahinter sehen!«
Alleria sah Turalyon an. Er nickte, beruhigt, dass sie tatsächlich um Erlaubnis fragte. Sie wandte sich um und lief los, der andere Waldläufer folgte ihr. Doch sie kamen nicht weit. Die beiden Elfen waren beide noch in Sichtweite, als sie wie vom Blitz getroffen stehen blieben. Alleria begann zu weinen. Ihr Schluchzen war derart von Kummer erfüllt, wie Turalyon es noch nie gehört hatte.
»Beim Licht!« Er trieb sein Pferd in vollen Galopp, bis er sie erreichte. Und dann sah auch er, warum sie so aufgelöst war.
Die Hügel endeten, und der majestätische Wald von Quel’Thalas erstreckte sich vor ihnen. Seine hohen Bäume schwankten leicht, als tanzten sie zu einer stillen Musik, und ihre mächtigen Kronen warfen tiefe Schatten über das Land. Schatten, die irgendwie friedvoll, nicht bedrohlich wirkten.
Es war ein schöner Anblick, voll erhabener Anmut… und wurde nur durch den grauen Rauch gestört, der von mehreren Stellen gleichzeitig aufstieg. Wie etwa am Waldrand leicht westlich von ihrer Position.
Wütend beobachtete Turalyon dunkle Gestalten, die zwischen den Bäumen herumliefen. Und jetzt entdeckte er auch große Lücken in der grünen Decke und hohe Feuerzungen, die über die Bäume strichen.
Als er den Geruch von brennendem grünem Holz auffing, musste er fast husten.
Die Horde war vor ihnen angekommen. Und sie brannte Quel’Thalas nieder.
»Wir müssen sie daran hindern!«, schrie Alleria. Sie dreht sich zu Turalyon um. »Wir müssen sie aufhalten!«
»Das werden wir«, versprach er und blickte ein zweites Mal hin, überprüfte was er sah. Dann erst wandte er sich an den Herold, der hinter ihm wartete. »Informiere die Truppführer«, befahl er. »Wir werden nördlich durch die Hügel reiten, bis wir mit den Orcs auf einer Höhe sind. Dann greifen wir an und erwischen sie unvorbereitet. Ein Teil der Truppen soll soviel Wasser wie nur möglich sammeln. Andere Einheiten müssen sofort damit beginnen, die Feuer löschen. Wir wollen nicht, dass der Wald um uns herum abbrennt.«
Der Herold nickte, riss sein Pferd herum und ritt zurück, um die neuen Befehle zu überbringen.
Turalyon wandte sich bereits an Khadgar. »Kannst du etwas gegen die Feuer tun?«, fragte er.
Sein Freund grinste. »Würde ein Gewitter ausreichen?«
»Solange die Blitze nicht weitere Bäume entzünden, ja.« Turalyon wandte sich an Alleria. »Alleria.«
Sie antwortete nicht, sondern starrte immer noch auf den Rauch. Ihr Gesicht war bleich.
»Alleria!«
Schließlich reagierte sie und sah ihn an.
»Nehmt Eure Waldläufer und geht. Geht! Eure Leute bekämpfen zweifelsfrei bereits die Horde irgendwo im Wald. Findet sie und lasst sie wissen, dass wir hier sind. Wir müssen unsere Angriffe koordinieren, oder die Horde wird Euer Volk unter den Bäumen vernichten und uns dann überrennen.«
Sie sah ihn an, nickte, stand aber immer noch unter Schock.
»Sofort!«, brüllte er. Er hasste es, derart schroff mit ihr umzugehen, doch er wusste, dass es der einzige Weg war. »Oder seid Ihr zu langsam, um es sicher unter die Bäume zu schaffen?«