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Zul’jin war unbesorgt. Er wusste, dass bald weitere Elfen kommen würden. Sie waren darauf vorbereitet.

Es war lange her, dass er Elfenblut vergossen hatte. Doch schon der kurze Kampf hatte seine Lust nach mehr gesteigert.

Seine Brüder fühlten dasselbe. Viele schnappten mit den Zähnen und waren voller Erwartung eines weiteren Kampfs mit den fahlhäutigen Elfen.

Zul’jin ließ keinen Zweifel daran, dass sie bald ihre Chance bekommen würden, so viele Elfen zu töten, wie sie nur wollten. Der Wald würde sich rot färben vor Blut, und die Elfen würden wissen, dass das Ende ihres Reiches gekommen war. So, wie die Trolle es vor Jahrtausenden hatten erleben müssen.

Und er, Zul’jin, würde dafür verantwortlich sein. Er würde den Kopf des Elfenkönigs im Triumph hoch über sich halten… kurz bevor er ihn in einem Stück verschlingen würde.

Er konnte es kaum noch erwarten.

»Ist alles bereit?«, fragte Gul’dan ungeduldig. Unweit von ihm schüttelte Cho’gall beide Köpfe. Der schwere Oger grunzte und schob. Seine massigen Schultern bewegten das letzte Stück des Runensteins über die grasbewachsene Lichtung.

»Jetzt ist es fertig«, rief er, richtete sich auf und rieb sich seine Schulter.

Gul’dan nickte. Es hatte mehrere Stunden gedauert, nur einen einzigen Runenstein auszugraben, den Monolithen in mehrere immer noch riesige Stücke zu zerschlagen und fünf davon auf diese Lichtung zu schaffen. Danach hatten sie weitere Stunden benötigt, um die Steine so anzuordnen, dass sie einen Kreis bildeten und sich gleichzeitig ein Pentagramm dazwischen bildete.

Glücklicherweise hatte Doomhammer ihnen die Hilfe mehrerer Oger zugestanden, und Cho’gall konnte mit seinen tumben Artgenossen leichter kommunizieren als jeder Orc es vermochte.

Die Runensteinstücke waren groß, aber zwei Oger konnten sie anheben, wofür sonst ein Dutzend Orcs nötig gewesen wäre. Gul’dan fragte sich ernsthaft, wie die Elfen die vollständigen Steine an den ihnen zugedachten Ort gebracht hatten. Wahrscheinlich mithilfe von Magie. Oder sie hatten auch mit Sklaven gearbeitet. Die Waldtrolle waren fast so stark wie die Oger und überdies schlauer. Sie hätten selbst detailliertere Anweisungen ausführen können.

Doch jetzt lagen die Steine an Ort und Stelle. Gul’dan gab ein Zeichen, und drei weitere Hexenmeister nahmen ihre Plätze neben drei Runensteinstücken ein. Es war gut, dass Doomhammer sie nicht getötet hatte, denn sonst hätte das Ritual niemals funktioniert.

Gul’dan vermutete, dass es wie geplant ablaufen würde, sicher war er sich aber nicht. Doch selbst wenn es misslingen sollte, würde er es unverletzt überstehen.

Er nickte Cho’gall zu, der die Oger rief, die an der Seite gewartet hatten. Nach einem Moment des Drängelns, Schiebens und Knurrens trat einer von ihnen vor. Cho’gall brüllte einen Befehl, und der Oger zuckte mit den Achseln und trottete zwischen die Steine. Er stand im Zentrum des Pentagramms und wartete bewegungslos. Eine der guten Seiten von Ogern war, dass sie, wenn nötig, völlig still verharren konnten. Wenn sie keinen anderslautenden Befehl erhielten oder hungrig wurden, konnten sie stundenlang warten, so bewegungslos wie eine Statue.

Gul’dan hatte sich schon oft gefragt, ob sie wohl von den Steinen abstammten. Das hätte zumindest ihr dickes Fell und ihre unglaubliche Dummheit erklärt.

Er konzentrierte sich wieder auf seine unmittelbare Aufgabe. Gul’dan hob die Arme und rief die dunklen Kräfte, die sein dämonischer Meister ihm noch auf Draenor verliehen hatte. Die Energieentladungen knisterten um ihn herum, und er leitete sie in das Runensteinstück, das direkt vor ihm lag. Cho’gall hatte den letzten Platz eingenommen, und er und die Hexenmeister steuerten ihre Kräfte bei, jeder in einen eigenen Stein. Als alle fünf Steine vor Energie summten, fast schon vibrierten, sprach Gul’dan eine kurze Formel und konzentrierte sich.

Noch mehr Strom floss von seinen Fingerspitzen in den Runenstein, doch diesmal sprang die Energie auf den Stein zur Linken über. Dort endete sie aber nicht. Sie floss durch den nächsten Stein und von dort zum benachbarten… bis alle fünf Steine in einem Feld aus zuckender Magie eingehüllt waren.

Die Luft schien sich über dem Altar verdunkelt zu haben. Sie war angereichert mit Magie, so ähnlich wie der Himmel vor einem Gewitter. Der Oger bewegte sich immer noch nicht, obwohl Gul’dan einen Hauch von Angst in seinen Augen sah.

Sehr gut, Cho’gall hatte ein schlaues Exemplar ausgesucht.

Jetzt, nachdem die Steine unter Strom standen, lenkte Gul’dan die Energie ins Zentrum auf die hoch aufragende Gestalt zu. Blitze dunkler Energie zuckten vom Stein heran und schlugen dem Oger in die Brust, wodurch er von einer gespenstischen Aura umgeben wurde.

Die anderen Runensteinfragmente verliehen ihm Stärke, und der Oger verschwand fast in dem düsteren Glühen, das den Raum zwischen den Steinen erfüllte. Mehr und mehr Energie tanzte innerhalb dieser Sphäre, die sich irgendwie selbst nährte.

Jetzt konnten sie die Gestalt der Kreatur kaum noch erkennen. Gul’dan war sicher, dass er seine übermüdeten Arme spürte, aber die Erregung ließ ihn zittern.

Nach ein paar Minuten wurde das düstere Leuchten schwächer. Langsam verging es, und die Gestalt darin war besser zu erkennen.

Der Oger überragte sie immer noch alle, bis auf Cho’gall. Aber etwas an ihm hatte sich geändert. Gul’dan wartete ungeduldig, dass das Glühen verschwand, damit er hineinsehen konnte. Schließlich war es verebbt, und Gul’dan warf den ersten Blick auf die Kreatur, die seinem Altar der Stürme entsprungen war.

Es war immer noch eindeutig ein Oger, obwohl größer als zuvor, und irgendwie hatten sich die Proportionen verschoben. Seine Arme waren nicht mehr so lang, seine Beine nicht mehr so krumm, und er wirkte… aufmerksamer.

Und natürlich waren da die zwei Köpfe.

Auf Draenor waren zweiköpfige Oger sehr selten gewesen. Sie waren größer und stärker als andere und koordinierter. Sie wurden verehrt.

Cho’gall war der erste seit Generationen gewesen. Er war intelligent genug gewesen, um ein Magier zu werden. Gul’dan hatte den Oger getroffen, als er noch jung gewesen war und hatte ihn sorgfältig ausgebildet. Cho’gall hatte sich als wertvoller Assistent und mächtiger Hexenmeister erwiesen und war bis heute bei Gul’dan geblieben. Und jetzt, schien es, war Cho’gall nicht mehr allein.

Der neue zweiköpfige Oger schaute Gul’dan an. Er erkannte irgendwie, dass Gul’dan der Verantwortliche war.

»Was bin ich?«, wollte er wissen. Ein Kopf sprach, während der andere sich umsah. Seine Sprachfähigkeit war viel besser als die eines normalen Ogers.

»Du bist ein Oger«, antwortete Gul’dan. »Vielleicht ein Ogermagier.«

»Ein Ogermagier«, wiederholte der andere Kopf des neuen Ogers. »Was ist das?«

Gul’dan erklärte ihm, was Magier, Hexenmeister, Schamanen und andere Magiekundige waren.

»Und? Gehöre ich dazu?«, fragte der neue Oger.

»Schon möglich.« Gul’dans Augen zogen sich zusammen. »Es gibt einen einfachen Test.« Er bückte sich und hob ein einzelnes Blatt vom Boden auf. Er reichte es dem Oger. »Nimm das.«

Der Oger nahm das Blatt überraschend sicher entgegen und bewies, dass sich seine Fingerfertigkeit dramatisch verbessert hatte.

»Nun konzentriere dich auf den Gedanken an Feuer oder Hitze oder eine Flamme«, sagte Gul’dan.

Der Oger runzelte die Stirn und beobachtete das Blatt. Dann nickte er leicht, zuerst mit dem einen Kopf, dann mit dem anderen.

»Gut.« Gul’dan sprach leise, denn er wollte die Konzentration der Kreatur nicht stören. »Jetzt erwecke die Flamme zum Leben. Lass sie das Blatt beanspruchen, das Feuer darüber fließen, die Hitze deine Haut erwärmen, dir fast die Finger verbrennen.«

Er beobachtete, wie ein Funke in der Mitte des Blattes erschien und schnell zu einer Flamme heranwuchs, die sich hungrig ausdehnte. Das Blatt zog sich zusammen, wurde dunkel und binnen Augenblicken vom Feuer verschlungen. Der Wind trug es fort, und der Oger schaute auf. Der Blick seiner vier Augen traf die Augen von Gul’dan.