Die meisten Menschen aus der Umgebung waren nur mit wenig mehr als den Kleidern am Leib und dem, was sie gerade in der Hand hielten, angekommen. Ihre Häuser würden mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Horde zerstört werden, und Terenas wusste, dass es einige Zeit dauern würde, bis alles wieder neu errichtet sein würde. Wobei er davon ausging, dass sie die Orcs besiegen würden.
Er schaute entlang der Verteidigungsanlagen, wo Wachen und Soldaten bereitstanden.
So wenige Streiter, um solch gewaltige Mauern zu verteidigen!
Aber die meisten Soldaten waren mit Lothar gezogen, und Terenas bereute die Entscheidung nicht. Die Horde hatte gestoppt werden müssen, und Lothar hatte jeden Kämpfer gebraucht, den Terenas erübrigen konnte.
Natürlich hatte Terenas nicht erwartet, dass die Horde die Hauptstadt angreifen würde. Und schon gar nicht, dass die Streitkräfte der Allianz hinter die Orcs zurückfallen würden. Aber auch wenn die Hauptstadt fiel, war ihm das recht, solange am Ende die Allianz siegreich sein würde.
Was nicht bedeutete, dass er sich ergeben würde. Terenas blickte wieder nach unten und schätzte, dass die Orcs jetzt nah genug heran waren. Er konnte ihre Hauer von hier oben aus erkennen. Und die Zöpfe, die Knochen und die Medaillen, die vielen um den Hals hingen – fraglos Trophäen aus vorherigen Schlachten.
Nun, sie würden diesen Kampf als schwieriger erleben als jedes vorhergegangene Gefechte. Ganz egal, wie alles ausging, die Horde würde sich dieses Kampfes erinnern.
»Siedendes Öl!«, rief Terenas.
Morev und die anderen nickten. Sie kippten die großen Kessel über die Mauern und ließen das kochende Gebräu jenseits der Mauer hinunterlaufen. Die ersten Orcs hatten zu diesem Zeitpunkt fast schon die Mauern erreicht. Das Öl durchtränkte sie vollständig. Viele schrien vor Schmerz, als es ihre Haut Blasen werfen ließ und wegbrannte. Die gesamte Frontreihe brach zusammen.
Ein paar Krieger wandten sich noch taumelnd zur Flucht, aber die meisten standen nicht wieder auf.
»Bereitet mehr Öl vor!«, befahl Terenas.
Bedienstete beeilten sich, den Befehlen Folge zu leisten. Sie benutzten dicke Stangen, um die schweren Kessel anzuheben und abzutransportieren. Es würde eine Weile dauern, bis sie nachgefüllt, neu erhitzt und zurückgebracht worden waren.
Aber die Horde würde nicht einfach wieder verschwinden. Dies würde kein schnelles Gefecht werden.
Terenas richtete sich auf eine lange Belagerung ein, und er dankte dem Heiligen Licht, dass sie ausreichend Wasser und Nahrung für Wochen hatte. Das Öl jedoch würde ihnen nach ein, zwei weiteren Einsätzen ausgehen. Aber es war auch nur der Eröffnungszug ihrer Verteidigungsstrategie. Terenas hatte noch andere Tricks auf Lager, mit denen er diesen unbändigen Orcs, die es wagten, sein Heim anzugreifen, zusetzen würde.
Thoras Trollbane bewegte sich leichtfüßig durch die Berge. Dabei fanden seine genagelten Schuhe sicheren Halt auf dem rauen, grauen Granit. Seine Männer befanden sich hinter ihm, jeder ein erprobter Gebirgsjäger.
Stromgarde war ein Bergkönigreich. Und bereits die Kinder lernten, wie man Felsen erklomm und Gipfel bestieg.
Vor ihm lag der erste von Alteracs Gebirgspässen. Trollbane konnte bereits einige Gestalten durch den fallenden Schnee erkennen. Große, klobige Wesen, die sich zwar etwas linkisch, aber stetig vorwärts bewegten.
Die Orcs der Horde waren eindeutig nicht an die Höhe gewöhnt. Aber die Pässe waren für solch ungeübte Kletterer aus dem Berg gehauen worden – damit Alterac und Stromgarde mit ihren tiefer gelegenen Nachbarn Handel treiben konnten.
Trollbane und seine Leute brauchten solche Erleichterungen nicht. Sie kletterten mit unnachahmlichem Geschick selbst entlang steiler Flanken und waren nicht auf die engen Wege angewiesen, die man allzu leicht blockieren und als Hinterhalt nutzen konnte.
Trollbane ging in die Hocke, die Axt lag kampfbereit in seiner Hand. Über Gesten kommunizierte er mit seinen Männern: noch nicht, noch nicht… jetzt!
Er sprang über die Begrenzung und landete sicher auf dem Boden des Passes zwischen zwei Orcs, die von dem Angriff völlig überrascht wurden.
Seine Axt blitzte auf, trennte einen Kopf vom Körper und erwischte den anderen an der Kehle. Beide Gegner fielen um.
Die Orcs auf der anderen Seite gerieten in der aufkommenden Hektik ins Straucheln und verfingen sich ineinander. Dann aber schafften sie es doch noch, ihre Waffen ziehen.
Vier weitere von Trollbanes Kriegern sprangen in den Pass, zwei zu jeder Seite, und attackierten die Grünhäute. Weitere Männer folgten, griffen an. Binnen Minuten waren zwei Dutzend Orcs tot und der Pass mit Leichen übersät.
Trollbane und seine Männer stapelten die aufgrund der Kälte schon steif werdenden Orcs auf einen Haufen. Dann ließ er zehn Mann als Wache an der improvisierten Barrikade zurück und nahm den Rest der Krieger mit sich.
»Gut«, sagte Trollbane, als sie unterwegs nach Norden waren. »Einen haben wir befreit.«
Der nächste Pass lag weniger als eine einstündige Kletterei entfernt. Auch hier trafen sie auf durchmarschierende Orcs und griffen sie auf dieselbe Art und Weise an.
Trollbane erkannte, dass die Grünhäute furchtlose Krieger waren. Groß, stark und hartgesotten. Aber sie hatten keine Erfahrung mit der Kälte der Berge und kamen nicht mit Feinden zurecht, die aktiv gegen sie vorgingen.
Den zweiten Pass eroberten sie ebenso leicht wie den ersten, und auch am dritten erging es ihnen so. Der vierte Pass bereitete jedoch ein paar Schwierigkeiten, weil er deutlich breiter war. Vier Männer konnten bequem nebeneinander hergehen – oder drei Orcs. Deshalb sprang Trollbane mit dreien seiner Männer gleichzeitig in den Pass, und schnell waren auch hier alle Feinde beseitigt. Danach errichteten sie eine Barrikade aus Felsen, um den Weg unpassierbar zu machen.
Der folgende Pass war frei, zumindest frei von Orcs. Trollbane traf auf fünf Krieger, die hier stationiert waren. Es handelte sich um Menschen, die das Orange von Alterac trugen und hier stationiert waren.
»Halt«, rief einer der Alterac-Soldaten und richtete seinen Speer gegen Trollbane. »Nennt Euren Namen und Euer Begehr!« Mehrere seiner Gefährten eilten hinzu.
»Thoras Trollbane, König von Stromgarde«, antwortete Trollbane knapp. Er starrte die Soldaten durchdringend an, obwohl er wusste, dass sie nur Befehle ausführten. »Wo ist Perenolde?«
»Der König ist im Schloss«, antwortete derselbe Soldat hochmütig. »Und Ihr befindet Euch auf unserem Grund und Boden.«
»Und die Orcs?«, fragte Trollbane. »Sind sie Gäste – oder nur auf der Durchreise?«
»Die Orcs kommen an uns nicht vorbei«, erklärte ein anderer Soldat. »Wir werden diesen Pass mit unserem Leben verteidigen.«
»Gut«, sagte Trollbane, »nur dass die Grünhäute nicht an diesem Pass zu finden sein werden. Sie halten die vier Durchgänge im Süden besetzt.«
Der Soldat blickte verwirrt. »Uns wurde gesagt, dass wir hier Wache halten sollen«, sagte einer. »Die Orcs sollen hier durchkommen.«
»Nun, tun sie aber nicht«, schnappte Trollbane. »Glücklicherweise kontrollieren meine Männer und ich die Pässe jetzt. Aber viele Feinde sind schon nach Lordaeron durchgekommen.«
Einer der Soldaten war älter, eindeutig ein Veteran. Sein Gesicht wurde bleich, als er verstand, was passiert war. Trollbane wandte sich an ihn. »Wo ist Hath?«
»General Hath befindet sich beim nächsten Pass. Dort befindet sich auch die Hauptstreitmacht unserer Armee«, antwortete der Soldat. Er dachte eine Sekunde lang nach, bevor er anbot: »Ich kann Euch hinbringen.«
Trollbane kannte den Weg, aber er wusste auch, dass er leichter mit Hath sprechen konnte, wenn er mit einer Eskorte ankam. Deshalb nickte er und bedeutete seinen Männern, ihm und dem Alterac-Soldaten zu folgen.