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»Wir sind fast da«, verkündete der Steuermann. Rend sah an ihm vorbei. Die Konturen der Insel zeichneten sich bereits ab. Rend konnte anhand der Schiffe abschätzen, dass das neue Land groß war, größer als die meisten Inseln, die er auf dieser Welt gesehen hatte.

Aus den winzigen Flecken am Horizont waren mittlerweile vollwertige Boote geworden. Er konnte klar erkennen, wie die Orcs aus ihnen kletterten oder sprangen und auf die dunkle Küste zuliefen.

Rend unterdrückte ein Knurren, das tief in ihm lauerte und heraus wollte. Er befahclass="underline" »Bereitet euch auf die Landung vor! Zielt auf die Hexenmeister. Und tötet jeden, der sich euch in den Weg stellt!«

»Wir haben Gesellschaft bekommen«, sagte Cho’gall zu Gul’dan. Ihr Boot war schließlich auf den Sand des Strandes aufgelaufen. Die Insel bebte immer noch, sonderte Dampf ab, spie Feuer und Lava.

Gul’dan folgte der Geste seines Assistenten und erspähte eine Flotte von Schiffen, die sich der Insel von der anderen Seite her näherte.

Seiner Insel.

An der Art, wie das Führungsboot sich bewegte, konnte Gul’dan erkennen, dass es gerudert wurde, statt von Segeln bewegt. Das bedeutete normalerweise nur eines: Es wurde von Orcs gelenkt.

Doomhammers Truppen hatten sie gefunden.

»Verdammt soll er sein!«, murmelte Gul’dan. »Warum trifft er seine Entscheidungen immer so schnell? Nur ein Tag mehr, und wir wären fertig gewesen, bevor sie angekommen wären…« Und lauter fügte er hinzu: »Du wirst sie eine Weile beschäftigen müssen, während ich in den Tempel gehe und nach der Gruft suche.«

Cho’gall grinste mit beiden Köpfen. »Aber gerne doch.« Der riesige zweiköpfige Oger war ebenso fanatisch wie der Rest seines Clans und glaubte daran, dass er das Ende der Welt einleiten könnte. Vorzugsweise mit Gewalt und Blutvergießen.

Alle Orcs des Schattenhammer-Clans teilten denselben Glauben und würden mit Freude jeden bekämpfen, wenn es die Welt ihrem Untergang näher brachte. Dabei war es nicht von Schaden, dass das Dämonenblut, das sie auf Draenor getrunken hatten, ihre natürliche Gewaltbereitschaft noch gesteigert hatte.

»Sie werden nicht an uns vorbeikommen«, versprach der Oger und zog sein langes Krummschwert.

Gul’dan nickte. »Gut.« Er marschierte vorsichtig über die Insel, von der vielerorts Rauch aufstieg.

Drak’thul und die anderen Totenbeschwörer und Ogermagier folgten ihm.

»Angriff!«, brüllte Rend, die Axt in der Hand, während er mit seinen Kriegern vorwärts stürmte. »Tötet die Verräter!«

»Tod den Verrätern!« Maim griff die Losung neben ihm auf.

»In den Kampf!«, rief Cho’gall. Er hielt seine sensenähnliche Klinge erhoben, sodass ihre scharfe Schneide im schwachen Nachmittagslicht glänzte. »Tränkt dieses Land mit ihrem Blut, auf dass ihr Tod das Ende aller Zeiten einläute!«

Die beiden Armeen trafen auf dem lavaumfluteten steinigen Strand mit Urgewalt aufeinander. Orc gegen Orc. Waffen blitzten, Äxte, Hämmer, Schwerter und Speere verkeilten sich, wurden geschwungen und droschen voller Leidenschaft und Kraft aufeinander ein. Blut floss allenthalben, erfüllte selbst die Luft mit einem roten Sprühnebel und färbte die Wellen dunkel. Der unebene Boden wurde rutschig. Viele Krieger verloren das Gleichgewicht… und wurden erschlagen, während sie sich noch bemühten, wieder auf die Beine zu kommen.

Die Schlacht wogte wild hin und her. Cho’galls Krieger kämpften ohne Rücksicht auf die eigene Sicherheit. Das einzige Ziel war, soviel Schaden wie nur möglich anzurichten.

Doomhammers Soldaten stritten für Rache und Gerechtigkeit. Sie rächten Gul’dans Verrat. Die Schlacht hatte ihnen bereits einen hohen Blutzoll abverlangt. Denn beide Seiten glaubten an ihre Ziele, und keine wollte nachgeben.

Der Hauptunterschied war die Anzahl der Kämpfer. Gul’dan gebot über zwei Clans: seine eigenen Sturmrächer und Cho’galls Schattenhammer-Clan. Seine Sturmrächer waren der kleinste Clan, und setzte sich ausnahmslos aus Hexenmeistern zusammen. Jeder Einzelne von ihnen war jetzt bei Gul’dan. Damit blieb nur der Schattenhammer-Clan, um Doomhammers Streitkräfte abzublocken.

Rend und Maim hatten den Großteil ihres Black-Tooth-Grin-Clans mitgebracht, einen der größten der Horde. Der Schattenhammer-Clan war zahlenmäßig unterlegen, und sie wussten es.

Als der Kampf weiterging und beide Seiten schwere Verluste hinnehmen mussten, begann sich aber der Unterschied auszuwirken.

Die fanatischen Orcs weigerten sich aufzugeben und kämpften bis zum Schluss. Sie nahmen viele von Doomhammers Kriegern mit sich in den Tod. Cho’gall selbst schlug einem der besten Black-Tooth-Grin-Kriegern den Arm ab, bevor er selbst fiel. Beide Äxte des Orc-Kriegers steckten in seiner Brust.

Ein anderer Streiter verlor ein Auge durch einen gut gezielten Schlag mit einer Kriegsaxt. Aber am Ende war der Strand von Leichen übersät, und nur die Truppen des Blackhand-Clans waren noch übrig.

»Und nun…«, Rend wischte seine Axt an der Brust eines gefallenen Orcs ab, und Blut troff aus einer langen Wunde, die quer über seine Brust verlief, »… jagen wir Gul’dan. Der Hexer ist mir einige Antworten schuldig!«

Gul’dan stand am Fuß des alten Tempels. Seine äußeren Mauern waren kaum noch erkennbar unter der jahrhundertealten Schicht aus Moos, Pilzen, Korallen und Entenmuscheln. Aber er konnte immer noch die Spuren einer Architektur ausmachen, die zu dem passte, was er in Quel’Thalas gesehen hatte. Sowohl was die Größe anging, als auch den Stil.

Elfen hatten diesen Bau entworfen, und einst war er prächtig verziert gewesen, dessen war Gul’dan sich sicher. Jetzt allerdings waren die Wände ramponiert, und das Gebäude erinnerte eher an eine willkürliche Ansammlung von Schmutz, Seegras und Verkrustungen als an etwas, das nach einem ausgetüftelten Plan errichtet worden war.

Aber das Aussehen interessierte Gul’dan nicht. Was ihn interessierte, ja erregte, war das Pulsieren, das er in seinem Geist spüren konnte. Eine Kraft, die ihn so stark anzog, dass er sie beinahe greifen konnte.

»Hinein«, sagte er zu Drak’thul und den anderen. »Wir müssen hinein.«

Er hatte mit ihnen vereinbart, sie in den Tempel zu bringen. Er wusste, dass die Gruft, die das Auge des Sargeras beherbergte, darin lag. Das Auge, das ihm gottgleiche Fähigkeiten verleihen würde. Aber konnte er das allein schaffen, oder musste er das Potenzial mit dem Rest des Schattenrats teilen?

Schließlich war er zu dem Schluss gelangt, dass er nicht absehen konnte, was der Tempel noch alles enthielt. Deshalb hielt Gul’dan es für das Beste, seine Diener mitzubringen. Falls nötig, konnte er sie immer noch töten, sobald sie die Gruft erreichten.

Er trat vorsichtig ein und erschuf eine Kugel aus grünem Licht, um besser sehen zu können. Die Hallen und Räume hier waren so verschmutzt und lädiert wie das Äußere, der Boden war von Sand, Kies und Seegras überzogen. An den Wänden wucherten Pflanzen und Muscheln verschiedener Größe und Art. Selbst die Durchgänge hatten sich verändert, waren deformiert worden von Kreaturen, die hier all die Jahre gelebt hatten.

»Schnell, ihr Dummköpfe«, ermahnte er seine Clanbrüder ungeduldig. »Los doch, vorwärts, sucht den Hauptdurchgang! Wir müssen die Kammer des Auges erreichen, bevor der Wächter der Gruft erwacht!«

»Wächter?«, fragte einer der Zauberer, Urluk Wolkentöter, zögerlich. »Du hast nie vor Wächtern gesprochen!«

»Rückgratlose Feiglinge!«, rief Gul’dan und schlug dem sich duckenden Urluk ins Gesicht. »Ich habe vorwärts gesagt.«

Seine Wut mobilisierte sie und überlagerte zumindest zeitweise ihre Angst vor dem seltsamen Ort und den Schrecken, die hier lauern mochten. Die Hexenmeister begannen, das Gebäude zu durchsuchen. Schließlich fanden sie den Hauptkorridor und folgten ihm.