»Uther!« Lothar erhob sich und reichte dem Paladin seine Hand, die dieser fest umschloss.
»Mein Fürst«, antwortete Uther. Er schüttelte auch Turalyon die Hand und nickte den anderen zu. »Wir sind so schnell gekommen, wie wir konnten.«
»Ist Lordaeron befreit?«, fragte Khadgar.
Uther setzte sich auf einen Stein neben ihm. Er wirkte müde. »Ja, ist es«, antwortete er. Stolz schimmerte in seinen leuchtenden blauen Augen. »Meine Leute und ich haben dafür gesorgt. Kein Orc ist zurückgeblieben – das gilt auch für die Berge«
Eine Sekunde lang spürte Turalyon einen merkwürdigen Schmerz, als hätte er eigentlich mit seinem Orden zusammenbleiben müssen. Doch er war von Faol persönlich mit einer anderen Aufgabe betraut worden, und er erfüllte seine Pflicht ebenso gut wie Uther und die anderen.
»Ausgezeichnet.« Lothar lächelte. »Und Ihr seid zur rechten Zeit gekommen, Sir Uther. Wir haben gerade erfahren, wohin die Orcs sich zurückgezogen haben. Wir erreichen diesen Ort in…?« Er wandte sich an die Zwergenbrüder, die neben ihm standen, sie kannten sich in dieser Region am besten aus und konnten die Entfernungen am ehesten einschätzen.
»Fünf Tagen«, antwortete Brann, nachdem er einen Moment nachgedacht hatte. »Falls sie uns unterwegs keine Überraschung hinterlassen haben.« Er schaute seinen Bruder an und nickte. »Wenn Ihr zum Blackrock geht, kommen wir natürlich mit. Wir werden Euch nicht im Stich lassen.«
»Mir sind keinerlei Hinterhalte aufgefallen«, sagte Kurdran, als hätte jemand seine Kundschafterfertigkeiten infrage gestellt. »Die gesamte Horde bewegt sich gemeinsam zur Bergspitze.« Er schaute Lothar an, als würde er dessen nächsten Einwand bereits erraten. »Ja, die Wildhammerzwerge werden auch mitkommen. Zusammen sind wir ihnen zahlenmäßig überlegen, wenn auch nicht großartig.«
»Wir brauchen keine riesige Übermacht«, antwortete Lothar. »Nur einen fairen Kampf.« Sein Gesicht war ernst. »Dann also fünf Tage«, teilte er den anderen mit. »In fünf Tagen beenden wir das alles.«
Für Turalyons Geschmack klang das, was am Ende dieser Frist auf sie wartete, etwas zu stark nach Hölle und ewiger Verdammnis. Und er hoffte nur, dass seine Vorahnung sich nicht erfüllte… oder die Verdammnis wenigstens nicht ihnen galt.
21
»Die Menschen kommen!«
Doomhammer blickte geistesabwesend auf und ärgerte sich über die Angst in Tharbeks Stimme. Wann war sein barbarischer Stellvertreter derart schwach geworden?
»Das weiß ich«, knurrte er als Antwort und blickte an dem Orc vorbei. Sie standen hoch über der Felsenebene auf einer schroffen Platte, die aus der Spitze herausgetrennt war. Hinter ihnen erhob sich die Festung.
Von ihrer Position aus konnte Doomhammer die Horde, die dort unten lagerte, erkennen. Beim letzten Mal, als er diesen Anblick genossen hatte, hatten seine Krieger die Ebene darunter verdeckt. Es hatte keinen freien Platz mehr gegeben. Jetzt konnte man große schwarze Bodenstellen erkennen, sowie grüne und braune. Er konnte jede Familie einzeln sehen, wie ihre Angehörigen sich umeinander gruppierten, klar von den jeweils anderen Sippen abgegrenzt.
Wann war seine Horde derart geschrumpft? Wohin hatte er sie nur geführt? Warum hatte er nicht früher auf Durotan gehört und die Worte seines alten Freundes beherzigt? Alles, wovor er ihn gewarnt hatte, war eingetroffen!
»Was sollen wir tun?«, fragte Tharbek und trat hinter ihn. »Wir sind nicht mehr zahlreich genug, um sie zurückzuschlagen.«
Doomhammer sah seinen Stellvertreter so aufgebracht an, dass der andere zurückzuckte. Es stimmte, sie waren jetzt weniger Orcs. Sie konnten nicht mehr die ganze Welt besetzen. Aber sie waren immer noch Orcs, bei den Ahnen!
»Was wir tun werden?«, blaffte er seinen Offizier an und zog seinen Hammer. »Wir werden natürlich kämpfen!«
Er wandte sich von dem zitternden Tharbek ab und trat weiter auf die Felsplatte hinaus. »Mein Volk, hört mich an!«, brüllte er und riss seinen Hammer hoch.
Einige schauten auf, aber andere taten es nicht, und das erzürnte ihn. Er führte einen mächtigen Schlag gegen die Klippe. Das Krachen sicherte ihm augenblicklich die volle Aufmerksamkeit der gesamten Horde.
»Hört mich an!«, brüllte er erneut. »Ich weiß, dass wir Niederlagen hinnehmen mussten und dass unsere Zahl schmerzlich gesunken ist. Ich weiß, dass uns Gul’dans Verrat teuer zu stehen kommt. Aber wir sind immer noch Orcs! Wir sind immer noch die Horde! Und diese Welt soll unter unseren Schritten erzittern!«
Jubel brandete unter den Kriegern auf, aber er klang nicht halb so überzeugend, wie Doomhammer es erhofft hatte.
»Die Menschen haben uns hierher verfolgt«, fuhr er fort, wobei er jedes Wort förmlich ausspuckte. »Sie glauben, sie haben uns geschlagen! Sie glauben, wir wären vor ihrer Stärke hierher geflohen wie ein geprügelter Hund… aber sie irren sich!« Er hob erneut seinen Hammer an. »Wir sind hier, weil das hier unsere Festung ist, unser Ort der Stärke. Wir sind gekommen, weil wir von hier aus erneut losschlagen und das Land mit unserer Stärke unterwerfen können. Wir sind hierher gekommen, um wieder auszuschwärmen, auf dass die Menschen beim Klang unseres Namens aufs Neue erzittern!«
Diesmal war der Jubel bereits beträchtlich lauter, und Doomhammer ließ ihn über sich hinwegbranden, badete darin. Die Krieger standen auf und schwangen ihre Waffen. Er hatte eine Aufgabe für sie, und das war gut.
»Wir warten nicht darauf, dass sie zu uns kommen«, sagte er. »Wir werden hier nicht ausharren und sie die Schlacht diktieren lassen. Nein. Denn wir sind Orcs! Wir sind die Horde! Wir bringen den Kampf zu ihnen. Sie werden bereuen, dass sie uns hierher gefolgt sind! Und wenn wir sie vernichtet haben, werden wir über ihre Leichen steigen und dieses Land wieder für uns in Besitz nehmen!«
Er hielt den Hammer mit beiden Händen hoch, wirbelte ihn über seinem Kopf. Der Jubel brachte den Stein, auf dem er stand, zum Erzittern. Doomhammer lächelte und freute sich darüber.
Dies war sein Volk! Es würde nicht heulend untergehen! Wenn sie untergehen mussten, dann im Kampf und mit Blut an ihren Händen.
»Mach die Krieger unseres Clans bereit«, befahl er dem wie versteinert dastehenden Tharbek. »Meine Leibwächter und ich werden den Angriff selbst anführen. Der Rest der Horde wird uns folgen.« Doomhammer schaute auf die stämmigen Gestalten, die in den Schatten standen und warteten. Jeder von ihnen straffte sich und nickte, als er seinen Blick spürte. Doomhammer nickte zurück. Das war seine Leibwache, allesamt Oger.
Doomhammer war ein richtiger Orc und hatte, während er aufwuchs, die Oger hassen gelernt. Aber diese hier waren anders. Sie waren intelligenter als die meisten ihrer Art, und zugleich doch Krieger, keine Hexenmeister. Außerdem waren sie nur ihm persönlich treu ergeben. Er wusste, dass sie seine Stärke und Tapferkeit schätzten. Sie schienen ihn selbst für einen kleinen Oger zu halten und hatten sich seinem persönlichen Befehl unterstellt. Er wiederum respektierte ihre Stärke und verließ sich auf sie. Er wusste, dass sie für ihn sterben würden – und erstaunlicherweise war er ebenfalls bereit, im Ernstfall sein Leben für sie zu geben.
Und jetzt würden sie alle ihr Leben in die Waagschale werfen – weil der Sieg der Horde auf dem Spiel stand.
Zumindest war das Portal in Sicherheit. Rend und Maim hatten den Kampf gegen Gul’dan und einen Angriff der Flotte der Allianz überlebt, mit einigen ihrer Stammesangehörigen. Sie hatten einen Kundschafter zu Doomhammer geschickt, und er hatte ihnen befohlen, sich mit dem Rest ihres Clans zum Portal zu begeben. Er traute den Brüdern immer noch nicht, aber sie hatten sich der Horde gegenüber als loyal erwiesen. Und er brauchte starke Kämpfer, die den Übergang nach Draenor sicherten. Auch wenn er niemals eine Flucht in Erwägung zog, nicht einmal für den Fall, dass sie die Schlacht verlieren sollten.
Er nickte seinen Ogern erneut zu. Dann verließ er das Felsplateau und stellte sich dem Kampf, der ihn erwartete.