Aber Turalyon schloss beide Hände fest um den Griff des zerbrochenen Schwertes. Er stieß die Klinge in einem grellen Blitz nach vorne…
… und die zerstörte Waffe prallte gegen den massiven Steinkopf des Kriegshammers. Die Erschütterung wanderte den hölzernen Stiel hinab und riss ihn aus den Händen des Besitzers. Der Hammer fiel harmlos zur Seite.
Doomhammers Augen weiteten sich, als er begriff, was geschehen war. Dann schloss er sie und nickte schwach. Er wartete auf den tödlichen Streich, der allem ein Ende machen würde.
Doch Turalyon hatte die Klinge in letzter Sekunde gedreht und traf nun den Orc mit der stumpfen Seite. Doomhammer sank auf die Knie und brach neben Lothar zusammen.
Turalyon konnte sehen, dass er noch atmete.
»Du wirst dich für deine Verbrechen vor einem Gericht verantworten müssen«, sagte er dem bewusstlosen Orc, der vom Licht, das aus Turalyon drang, erhellt wurde. »Du wirst in Ketten geschlagen in der Hauptstadt stehen.« Es war jetzt heller als der hellste Tag, und jeder Orc wandte den Blick ab, um dem Licht zu entgehen. »Die Herrscher der Allianz werden über dein Schicksal entscheiden, und damit wird deine totale Niederlage besiegelt sein.«
Nach diesen Worten blickte er auf und wandte sich an die anderen Orc-Krieger, die bewegungslos zugesehen hatten, wie der vermeintliche Sieg ihres Anführers sich in eine kapitale Niederlage verwandelt hatte.
»Ihr aber werdet so viel Glück nicht haben«, begann Turalyon und zeigte mit dem zerstörten Schwert auf sie. Licht strömte davon aus, von seiner Hand, seinem Kopf, seinen Augen. Der schwarze Fels war bereits weiß gebleicht von der Kraft, die seinen Körper durchfloss. »Ihr werdet hier sterben, mit dem Rest eurer Art, und die Welt wird für immer von eurer Beschmutzung befreit sein!« Er sprang vor, die sonnenhelle Klinge voran. Er erwischte den ersten Orc an der Kehle, bevor dieser auch nur ansatzweise reagieren konnte. Er stürzte. Blut floss aus der Wunde, während Turalyon schon auf den nächsten halbblinden Krieger der Horde zustürmte.
Das riss alle aus ihrer Erstarrung. Die Menschen und Orcs konnten sich wieder bewegen. Uther und die Ritter der Silbernen Hand hatten während Lothars und Doomhammers Kampf ebenfalls in das allgemeine Getümmel eingegriffen. Nun stürmten sie vorwärts, und ihre Auren brachen hervor.
Der Rest der Allianzstreitkräfte folgte ihnen.
Die darauffolgende Schlacht war überraschend kurz. Etliche der Orcs waren Zeuge von Doomhammers Niederlage geworden, und das hatte sie in Panik versetzt. Viele flohen. Andere ließen ihre Waffen fallen und ergaben sich – sie wurden gefangen genommen, trotz anders lautender Ankündigung. Turalyon wollte keine hilflosen Gefangenen töten, ganz gleich, was sie sich zu Schulden hatten kommen lassen.
Viele stellten sich allerdings auch dem Kampf. Doch sie waren unorganisiert, benommen und stellten für die entschlossenen Soldaten der Allianz keine große Herausforderung dar.
»Eine Gruppe, vielleicht vierhundert Krieger, flieht nach Süden in Richtung Rotkammgebirge«, berichtete Khadgar eine Stunde später, nachdem der Kampf geendet hatte.
Im Tal war es still geworden, mit Ausnahme der Geräusche der Männer, dem Stöhnen der Verwundeten und dem Knurren der Gefangenen.
»Gut«, antwortete Turalyon. Er schnitt einen langen Streifen aus seinem Umhang und band ihn um seine Hüfte. Dann steckte er Lothars zerstörtes Schwert in die Schlaufe. »Bildet Kampfreihen und verfolgt sie, aber nicht zu schnell. Wir wollen sie nicht einfangen.«
»Warum nicht?«
Turalyon sah seinen Freund an und erinnerte sich daran, dass der Magier bei allen Fähigkeiten, die er sonst hatte, kein Taktiker war. »Wo ist das Dunkle Portal, das in die Welt der Orcs führt?«, fragte er.
Khadgar zuckte mit den Achseln. »Das wissen wir nicht genau«, gab er zu. »Irgendwo im Sumpfland.«
»Und jetzt hat die Horde eine vernichtende Niederlage erlitten. Wohin werden die wenigen Überlebenden wohl ziehen?«
Der alt wirkende Magier lächelte. »Zurück nach Hause.«
»Genau.« Turalyon richtete sich auf. »Wir werden ihnen bis zu diesem Portal folgen und es ein für allemal zerstören.«
Khadgar nickte, setzte sich in Gang und hielt Ausschau nach den Truppführern. Er blieb jedoch stehen, als Uther eintraf.
»Es gibt keine Orcs mehr außer denen, die wir gefangen genommen haben«, verkündete der Paladin.
Turalyon nickte. »Gute Arbeit. Ein paar sind entkommen, aber wir werden sie verfolgen und ebenfalls vernichten oder festsetzen.«
Uther beobachtete ihn. »Du hast das Kommando übernommen«, sagte er sanft.
»Ja, ich glaube, das habe ich.« Turalyon überlegte kurz, der bislang keinen Gedanken daran verschwendet hatte. Er hatte sich schlicht daran gewöhnt, der Armee Befehle zu erteilen, auf Lothars Anweisung hin und als er Kommandeur im Hinterland gewesen war. Er zuckte mit den Achseln. »Wenn du willst, können wir einen Greifenreiter nach Lordaeron entsenden und König Terenas und die anderen Herrscher fragen, wer das Kommando führen soll.«
»Dazu besteht keine Veranlassung«, sagte Khadgar, der neben ihn trat. »Du warst Lothars Offizier und Stellvertreter. Dir wurde die halbe Armee anvertraut. Du bist die einzige logische Wahl, nun, da er tot ist.« Der Magier sah Uther an, als fordere er ihn auf, zu widersprechen.
Aber zu Turalyons Überraschung nickte Uther. »Das stimmt«, sagte er. »Du bist unser Oberkommandierender, und wir folgen dir wie Fürst Lothar.« Damit trat er näher und legte Turalyon freundschaftlich die Hand auf die Schulter. »Und ich bin froh, dass dein Glaube endlich zu Tage getreten ist, mein Bruder.«
Die Worte waren aufrichtig gemeint. Turalyon lächelte, zufrieden, dass er auch die Unterstützung des älteren Paladins genoss.
»Ich danke dir, Uther Lichtbringer«, antwortete Turalyon. Er sah, wie sich die Augen des anderen angesichts des benutzten Titels weiteten. »Denn so sollst du fortan genannt werden, zu Ehren des Heiligen Lichts, das du heute über uns gebracht hast.«
Uther verneigte sich, sichtlich bewegt, dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort ab und ging zurück zu den anderen Rittern der Silbernen Hand, um ihnen die neuen Marschbefehle zukommen zu lassen.
»Ich habe gedacht, er hätte um die Macht gestritten«, sagte Khadgar.
»Er wollte sie nicht«, antwortete Turalyon, der immer noch Uther beobachtete. »Er will anführen – aber nur als Vorbild. Es reicht ihm, den Orden zu leiten, weil der sich auch aus Paladinen zusammensetzt.«
»Und du?«, fragte ihn sein Freund frei heraus. »Gefällt es dir, uns alle zu befehligen?«
Turalyon dachte darüber nach, dann zuckte er mit den Achseln. »Ich glaube nicht, dass ich es verdient habe. Aber ich weiß, dass Lothar mir vertraut hat. Und ich glaube an ihn und seine Urteilskraft.« Er nickte und blickte Khadgar selbstbewusst an. »Und jetzt lass uns diese verdammten Orcs jagen.«
Es dauerte eine Woche, bis sie eine Gegend erreichten, die, wie Khadgar erklärte, Sümpfe des Elends genannt wurde. Sie hätten schneller dort sein können, aber Turalyon hatte seine Soldaten zur Vorsicht gemahnt. Sie mussten erst den genauen Ort des Portals kennen, dann konnten sie zuschlagen.
Lothars Tod hatte jedermann erschüttert. Aber er hatte sie auch zusammengeschweißt. Männer, die erschöpft gewesen waren, waren jetzt zielstrebig, hart und resolut. Sie alle nahmen den Verlust ihres Kommandeurs persönlich und wollten seinen Tod rächen. Und alle akzeptierten Turalyon als Nachfolger, besonders die, die mit ihm in Quel’Thalas gekämpft hatten.
Sich durch die Sümpfe zu kämpfen, war schwierig und forderte große Opfer, aber niemand beklagte sich darüber. Die Kundschafter behielten die Orcs im Auge, wodurch der Haupttross sich nur langsam bewegen konnte, um nicht Gefahr zu laufen, die Spur zu verlieren.
Die Reste der Horde waren unorganisiert. Alle Orcs zog es in dieselbe Richtung, aber sie marschierten nicht einheitlich. Jeder bewegte sich in seinem eigenen Tempo, mit einer Handvoll Kameraden innerhalb einer größeren Gruppe.