Das war auch gut so. Doomhammer nickte. Stormwind war eine imposante Stadt gewesen – und ein gewaltiges Hindernis. Eine Zeit lang war er nicht sicher gewesen, ob sie die mächtigen Mauern stürzen und ihre unerschütterlichen Verteidiger würden überwinden können. Obwohl ihnen die Horde zahlenmäßig weit überlegen war, hatten die Menschen mit unglaublicher Entschlossenheit und enormem Geschick gekämpft. Und dafür respektierte Doomhammer sie. Sie waren würdige Gegner gewesen.
Aber sie hatten verloren. Wie letztlich alle vor der Macht seines Volkes kapitulieren mussten.
Die Stadt war dem Erdboden gleich gemacht worden, ihre einstigen Verteidiger waren entweder tot oder geflohen. Das Land gehörte jetzt der Horde. Dieses reiche, fruchtbare Land, das so stark ihrer Heimat vor der Katastrophe glich.
Bevor Gul’dan sie zerstört hatte.
Doomhammer wurde zornig, und er umfasste seinen berühmten Hammer fester.
Gul’dan! Der verräterische Schamane, der zum Hexenmeister geworden war, hatte mehr Ärger verursacht, als er wert war. Und nur die Öffnung des Spalts in diese Welt hatte ihn davor bewahrt, von seinen zornigen Clanbrüdern zerrissen zu werden.
Aber irgendwie hatte es dieser Intrigant geschafft, selbst das zu seinem Vorteil zu nutzen. Blackhand war unter seiner Kontrolle gewesen.
Doomhammer hatte seinen ehemaligen Häuptling über Jahre beobachtet und wusste, dass er schlauer gewesen war, als viele es dachten. Aber er war nicht schlau genug gewesen. Indem er Blackhands Ego schmeichelte, hatte Gul’dan ihn beeinflusst und letztlich vollkommen kontrolliert. Von ihm stammte die Idee, die Clans zur Horde zu vereinen. Dessen war sich Doomhammer sicher.
Und Gul’dans Schattenrat hatte hinter den Kulissen die Fäden gezogen und Blackhand derart manipuliert, dass er nicht einmal begriffen hatte, dass er lediglich Befehlen folgte.
Doomhammer grinste. Das zumindest war jetzt vorbei, auch wenn er Blackhand nur ungern getötet hatte. Blackhand war der Stellvertreter des Kriegshäuptlings gewesen. Er hatte geschworen, mit Doomhammer zu kämpfen, nicht gegen ihn. Aber die Tradition erlaubte es einem Krieger, seinen Häuptling herauszufordern. Doomhammer hatte sich schließlich gezwungen gesehen, diesen Weg zu gehen.
Er hatte gewonnen, weil er es musste. Mit einem Hieb hatte er Blackhands Schädel zerschmettert und die Führung seines Clans und der Horde übernommen.
Danach hatte er sich noch um den Schattenrat kümmern müssen. Und das war ihm eine Freude gewesen.
Er grinste bei dem Gedanken daran. Wenige Orcs hatten überhaupt Kenntnis von der Existenz des Schattenrats gehabt.
Und noch weniger hätten zu sagen vermocht, wer ihm angehörte und wo seine Mitglieder tagten.
Aber Doomhammer wusste, wen er fragen musste. Die Halb-Orc Garona war gefoltert worden, bis sie den Tagungsort des Schattenrats preisgab. Zweifellos machte sie der Anteil an fremdem Blut in ihren Adern zu schwach, um der Folter zu widerstehen.
Die Gesichter der Hexenmeister zu sehen, als er in ihre Versammlung platzte, wäre nicht mit Gold aufzuwiegen gewesen. Und erst das Gefühl, während er sie einen nach dem anderen erschlug… Doomhammer hatte die Macht des Schattenrats an jenem Tag gebrochen. Niemals würde er wie Blackhand kontrolliert werden. Er würde sich seine eigenen Kämpfe aussuchen und seine eigenen Pläne schmieden, die nicht dazu dienten, irgendjemandes Macht zu vergrößern… sondern das Überleben seines Volkes zu sichern.
Als hätte er sie per Gedankenbefehl herbeizitiert, erblickte Doomhammer in diesem Moment zwei Gestalten, die auf ihn zukamen. Die eine war kleiner als ein Durchschnitts-Orc, die andere weitaus größer und hatte einen merkwürdigen Umriss.
Doomhammer erkannte die beiden sofort, und seine Lippen wölbten sich höhnisch um seine Hauer.
»Hast du deine Aufgabe erfüllt?«, fragte er, als Gul’dan und sein Lakai Cho’gall näher kamen. Er behielt den Hexenmeister im Auge, während er seinen massigen Untergebenen ignorierte.
Doomhammer hatte wie die meisten Orcs sein Leben lang gegen Oger gekämpft. Er war angewidert gewesen, als Blackhand ein Bündnis mit diesen Monstern einging – obwohl er zugeben musste, dass sie sich im Kampf bewährt hatten. Aber er mochte sie immer noch nicht, geschweige denn, dass er ihnen traute.
Cho’gall war zudem noch übler als alle anderen. Er war einer der seltenen zweiköpfigen Oger und wesentlich intelligenter als seine brutalen Artgenossen.
Cho’gall war ein echter Magier. Der Gedanke an einen Oger mit derartiger Macht erfüllte Doomhammer mit Schrecken. Außerdem war Cho’gall auch noch der Anführer des Schattenhammer-Clans geworden und legte denselben Fanatismus an den Tag wie seine Gefolgsleute. Dadurch wurde der zweiköpfige Oger zur besonderen Gefahr.
Doomhammer ließ sich seine Vorbehalte nicht anmerken außer vielleicht, dass er seinen Hammer fester umfasste, sobald der Ogermagier in der Nähe war.
»Nein, habe ich nicht, werter Doomhammer«, antwortete Gul’dan und blieb neben ihm stehen. Der Hexenmeister wirkte dürr, fast ausgezehrt, was angesichts seines monatelangen Schlafs jedoch kein Wunder war. »Aber ich habe die allerletzten Nachwirkungen meines langen Schlafs abgelegt. Und ich bringe dir wichtige Nachrichten, die ich aus dieser Ruhephase gezogen habe.«
»Oh? Der Schlaf hat dich weiser gemacht?«
»Er hat mir einen Weg zu großer Macht gewiesen«, erklärte Gul’dan mit gierigem Blick.
Doomhammer wusste, dass es keine normale Gier war, keine nach Frauen, gutem Essen oder Reichtum etwa. Nein, Gul’dan sann nur nach wahrer Macht und war bereit, alles zu tun, um sie zu erlangen. Seine Taten auf ihrer Heimatwelt hatten das allzu deutlich bewiesen.
»Macht für dich – oder für die Horde?«, fragte Doomhammer.
»Für beide«, antwortete der Hexenmeister. Seine Stimme wurde zu einem durchtriebenen Flüstern. »Ich habe einen Ort gesehen – alt, jenseits aller Vorstellungskraft. Älter selbst als der Heilige Berg auf unserer Welt. Er liegt tief im Ozean verborgen. Und in ihm wohnt eine Kraft, die diese Welt verändern kann. Wir sollten sie für uns gewinnen – und niemand wird sich uns je wieder entgegenstellen können!«
»Niemand kann sich uns derzeit entgegenstellen«, knurrte Doomhammer. »Und ich ziehe die ehrliche Macht eines Hammers und einer Axt der verderbten Zauberei vor, die du entdeckt hast. Schau doch nur, was deine Intrigen unserer Welt und unserem Volk angetan haben! Du wirst sie nicht wieder zerstören, kaum dass wir begonnen haben zu erobern!«
»Es geht um etwas viel Größeres als deine Wünsche«, blaffte der Hexenmeister. Sein Temperament ließ ihn jede Vortäuschung von Unterwerfung vergessen. »Mein Schicksal liegt unter dem Wasser, und du kannst nichts tun, um mich daran zu hindern! Diese Horde ist nur der erste Schritt auf dem Weg unseres Volks. Und ich werde es zum Ziel führen, nicht du!«
»Vorsicht, Hexenmeister«, antwortete Doomhammer. Er hob seine Waffe und stieß Gul’dan damit leicht gegen die Wange. »Denk daran, was dem letzten Schattenrat zugestoßen ist. Ich kann deinen Schädel wie eine überreife Frucht zerschmettern. Wo liegt deine Bestimmung dann?« Er schaute den sich aufrichtenden Cho’gall finster an. »Und glaube ja nicht, dass dich diese Abnormität schützen wird«, zischte er, hob den Hammer noch höher und lachte, als der Ogermagier einen Schritt zurückwich. Angst zuckte über seine beiden Gesichter. »Ich habe schon Oger vor dir erschlagen, und auch ein paar Gronns. Ich kann und werde das wieder tun!« Er beugte sich weit vor. »Deine Absichten sind nicht länger von Interesse. Nur die Horde zählt.«
Einen Moment lang sah er Wut in Gul’dans Blick aufflackern und hielt es für möglich, dass der Hexenmeister nicht nachgeben würde – und ein Teil von ihm freute sich darauf.
Doomhammer hatte stets die Schamanen seines Volkes geachtet. Aber diese Hexenmeister waren etwas ganz anderes. Ihre Kräfte stammten nicht von den Elementen oder den Geistern der Ahnen, sondern aus einer anderen, aus einer schrecklichen Quelle. Magie hatte sein Volk von braun nach grün gefärbt und seine Heimatwelt zerstört. Deshalb waren sie gezwungen gewesen, hierher zu kommen und ums Überleben zu kämpfen.