Turalyon hoffte, dass das auch so blieb. Er vermutete, dass Doomhammer Krieger und einen Offizier beim Portal zurückgelassen hatte. Und wenn dieser Anführer stark genug war, konnte er die verbliebenen Orcs vielleicht wieder zu einer ernst zu nehmenden Armee zusammenschweißen.
Turalyon wies seine Offiziere an, die Männer alarmbereit zu halten, damit sie nicht selbstzufrieden wurden. Wenn sie diesen Gegner zu leicht nahmen, konnten sie immer noch unterliegen.
Sie verbrachten eine weitere Woche in den Sümpfen, bevor sie schließlich eine Gegend erreichten, die Der schwarze Morast genannt wurde. Und hier wurde selbst Khadgar überrascht.
»Das verstehe ich nicht«, sagte der Magier und überprüfte den Boden. »Das alles sollte Sumpf sein! Es sollte genauso sein wie das Land, das wir gerade durchquert haben: morastig, feucht und stinkend.« Er berührte den roten Fels zu ihren Füßen und runzelte die Stirn. »Hier stimmt definitiv etwas nicht.«
»Es sieht aus, als würde der Boden glühen«, sagte Brann Bronzebart, der neben ihm stand. Die Zwerge hatten darauf bestanden, sie zu begleiten.
Turalyon war für ihre Kampferfahrenheit und Gesellschaft dankbar. Er mochte die beiden Brüder mit ihrem breiten Lächeln und ihrem Sinn für einen guten Kampf, wohlschmeckendes Bier und schöne Frauen. Brann war offensichtlich der Gebildetere von beiden. Er und Khadgar hatten mehrere Abende damit verbracht, über obskure Texte zu diskutieren, während die anderen weniger akademische Dinge beredeten.
Und alle Zwerge von Eisenschmiede waren Experten für Mineralien und Edelsteine. Deshalb war es beunruhigend, dass ihm die Beschaffenheit des Bodens unter ihren Füßen nicht bekannt war.
»Aber kein Feuer könnte so etwas anrichten.« Er kratzte mit dem Fingernagel darüber. »Und ganz sicher nicht auf einer so großen Fläche.« Der rote Stein erstreckte sich, so weit sie blicken konnten. »Ich habe so etwas noch nie gesehen.«
»Unglücklicherweise habe ich das aber«, antwortete Khadgar, der sich wieder aufgerichtet hatte. »Aber nicht auf dieser Welt.« Er erklärte es nicht weiter, und etwas in seinem Gesichtsausdruck warnte die anderen davor, ihn deshalb zu bedrängen.
Muradin wollte trotzdem fragen, aber sein Bruder stoppte ihn. »Weißt du, was dein Name auf zwergisch bedeutet, Kumpel?«, fragte Brann, an Khadgar gewandt. »Er bedeutet ‘Vertrauen’.« Der Magier nickte. »Wir vertrauen dir. Sag uns einfach, wenn du dazu bereit bist.«
»Es ist auf jeden Fall an die Orcs gebunden«, erläuterte Turalyon, »und es fällt leichter, sie über Fels zu verfolgen als durch Sumpfland. Deshalb habe ich nichts gegen diese Veränderung der Landschaft.« Die anderen nickten, obwohl Khadgar immer noch gedankenvoll schaute, als sie aufsaßen und weiterritten.
Ein paar Nächte später blickte Khadgar vom Lagerfeuer auf und sagte plötzlich: »Ich glaube, wir haben ein Problem.« Die anderen verstummten und wandten sich dem Zauberer zu. »Ich habe mit den anderen Magiern gesprochen, und wir glauben zu wissen, was den Boden verändert hat«, erklärte er. »Es ist das Dunkle Portal selbst. Seine Anwesenheit beeinflusst unsere Welt. Es fängt an mit dem Land, das es unmittelbar umgibt. Und ich glaube, dass es sich ausbreitet«
»Warum sollte das Portal eine solche Veränderung bewirken?«, fragte Uther. Der Anführer der Silbernen Hand war nie mit den Magiern warm geworden. Er vertrat die weit verbreitete Auffassung, dass ihre Magie unheilig sei, möglicherweise sogar dämonisch. Aber er hatte gelernt, sie zumindest zu akzeptieren, und vielleicht würde er Khadgar sogar im Laufe des langen Krieges respektieren lernen.
Doch der Zauberer schüttelte den Kopf. »Ich muss es erst sehen, um sicherzugehen. Ich glaube, dass dieses Portal zwei Welten miteinander verbindet. Diese Welt – und Draenor, die eigentliche Heimat der Orcs. Das Tor macht mehr, als nur eine Brücke zu schlagen. Irgendwie verschmilzt es beide Welten – jedenfalls dort, wo der Übergang geschaffen wurde, wo es zur Berührung kommt.«
»Und deren Heimat besteht aus rotem Stein?«, fragte Brann nachdenklich.
»Nicht vollständig«, antwortete Khadgar. »Vor einiger Zeit hatte ich eine Vision von Draenor. Was ich sah, war ein öder Ort mit viel Boden wie diesem hier. Dort ist nur wenig Fruchtbares übrig geblieben, weil die Natur selbst dem Land entzogen wurde. Ich glaube, es waren ihre Magier, die das Land befleckten. Diese Befleckung breitet sich nun durch das Portal aus. Und jedes Mal, wenn die Orcs ihre Magie nutzen, wird es schlimmer.«
»Noch ein Grund mehr, das Portal zu zerstören«, verkündete Turalyon. »Und je eher, desto besser.«
Sein Freund nickte. »Ja, das sehe ich auch so. Je eher, desto besser.«
Es dauerte länger als drei Tage, bevor die Kundschafter zurückkehrten und berichteten, dass die Orcs eine Rast eingelegt hatten. »Sie befinden sich alle in einem großen Tal direkt vor uns«, sagte einer von ihnen. »Und in der Mitte steht eine Art… Tor.«
Khadgar tauschte Blicke mit Turalyon, Uther und den Bronzebart-Brüdern. Das musste das Dunkle Portal sein!
»Sagt es den Männern«, sagte Turalyon leise. Er zog Lothars zerbrochenes Schwert, und in der anderen Hand hielt er seinen Hammer. »Wir greifen sofort an.« Khadgar wunderte sich erneut, wie sehr sein Freund sich in den letzten Monaten verändert hatte. Turalyon war ernster geworden, befehlsgewohnter, sich seiner selbst sicherer. Er war vom unerfahrenen jungen Mann zu einem erfahrenen Krieger und Anführer gereift.
Aber seit Lothars Tod umgab ihn auch eine Aura der Ruhe, Weisheit… fast etwas Majestätisches. Bei Uther und den anderen Paladinen war es ähnlich, doch sie wirkten abgeklärter, als stünden sie über den Problemen dieser Welt. Turalyon hingegen schien mehr eins mit der Welt zu sein, die ihn umgab. Es war eine Magie, die Khadgar nicht verstand, der er aber großen Respekt zollte. In vielen Bereichen war sie genau das Gegenteil seiner eigenen, die die Elemente und andere Kräfte kontrollieren wollte.
Turalyon kontrollierte gar nichts, doch indem er sich denselben Kräften öffnete, bekam er die Möglichkeit, sie anzuzapfen. Er tat das mit weniger Kontrolle, dafür mit mehr Raffinesse als jeder Magier.
Die Soldaten waren bereit und schritten neben ihren Pferden, um auf dem harten roten Stein weniger Lärm zu verursachen.
Der Boden stieg zunächst leicht an… und fiel dann abrupt in ein tiefes Tal ab, dessen gegenüberliegende Wände noch viel höher reichten.
Im Zentrum des Tales befand sich, wie der Kundschafter berichtet hatte, ein massives Tor – nicht in eine Wand oder ein Gebäude eingelassen, sondern völlig frei stehend.
Khadgar keuchte, als er es sah. Das Dunkle Portal – es konnte sich um nichts anderes handeln – war mindestens dreißig, fünfunddreißig Meter hoch und fast genauso breit. Es bestand aus grünlich-grauem Stein. Schroffe, wirbelnde Muster waren auf jeder Seite eingraviert, jedes um einen finster blickenden Schädel angeordnet. Das Mittelstück wies unten geschmückte Bänder auf, oben war es leer.
Vier breite Stufen führten zum eigentlichen Portal, das grünlich und düster glühte und vor Energie strotzte, die durch ein leichtes Pulsieren sichtbar war.
Für Khadgar war es wie ein Mahlstrom, der Macht ausstrahlte und eine merkwürdige Ahnung von großer Entfernung, die dahinter lauerte. Er konnte spüren, wie es sich ausdehnte, in das Land vordrang und sich daraus Energie einverleibte.
Die Orcs sammelten sich vor dem Portal, vermittelten aber den Anschein, als wüssten sie nicht genau, was sie tun sollten. Es waren mehr als diejenigen, die sie verfolgt hatten. Turalyon behielt offensichtlich recht. Doomhammer hatte Orcs zurückgelassen, um diesen Ort zu bewachen.
Aber die Allianz war immer noch in der Überzahl. Und die Orcs waren in kleine Gruppen zersplittert, als hätten sie nicht länger Grund, einander zu trauen, weshalb sie sich wieder ihren eigenen Familien und Jagdstämmen angeschlossen hatten. Sie bildeten keine in sich geschlossene Armee mehr, sondern waren mehr eine Ansammlung kleinerer Banden.