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»Zieht der schwarze Mann den Tod im Schnee einem Leben im Tal der heißen Wasser vor?«

»Ich laufe lieber auf zwei Beinen herum, als zwei Fuß unter der Erde zu liegen«, entgegnete der Schmied.

»Aber ich entscheide gern selbst, wohin ich gehe. Meine schwarzen Brüder und Schwestern mußten lange genug auf das hören, was ihnen die Weißen befohlen haben. Viele müssen es heute noch.«

Er sah seinen Schwager Jackson Harris an.

»Der Bruder meiner Frau war vor wenigen Monaten noch ein Sklave der Weißen. Sollen wir jetzt alle Sklaven der Roten werden?«

Mondauge nickte verstehend und sagte: »Das ist wirklich ein Problem. Vielleicht kann Mondauge beim Stammesrat erreichen, daß ihr weiterziehen dürft, wenn der Schnee geschmolzen ist. Schließlich ist Grauhaars Tochter bei euch. Und Grauhaar war Mondauges Bruder.«

»Besitzt Mondauges Wort beim Stammesrat großes Gewicht?« erkundigte sich Jacob.

Wieder nickte der Indianer.

»Das tut es. Mondauge ist der Häuptling seines Stammes.«

*

Am nächsten Morgen verließ der Treck den Oregon Trail und vertraute sich Mondauges Führung an.

Als die zweiundzwanzig Wagen den Lagerplatz an der Himmelsnadel verließen, bemerkte niemand den einsamen Mann, der zwischen den Felsen verborgen lag und dem Treck aus zusammengekniffenen Augen nachstarrte.

Der scharfe Wind hatte sich etwas beruhigt, und nur ganz sacht schwebten einzelne, flauschige Schneeflocken aus dem aufklarenden Himmel hernieder. Unter den Auswanderern wuchs die Hoffnung, den frühen Wintereinbruch hinter sich zu haben.

Aber die Hoffnung war trügerisch. Es war weiterhin sehr kalt, und von Norden schob sich eine neue Wolkenfront über die Berge.

Kurz nach dem Aufbruch lenkte Toby Cullen seinen stämmigen Braunen, der mit seinem kleinen Wuchs gut zu dem Barbier paßte, neben Jacobs Grauschimmel und fragte: »Wollen Sie sich wirklich in die Hände dieses Indianers begeben, Captain? Vielleicht lockt er uns in eine Falle.«

Jacob blickte nach vorn, wo der Indianer auf Schneeschuhen, die er zuvor unter seinem Bärenfell auf dem Rücken getragen hatte, vor dem Treck herlief. Jacobs Angebot, ein Pferd aus der Remuda zu nehmen, hatte er abgelehnt. Wie der Deutsche Mondauges Worten entnommen hatte, gingen die Angehörigen seines Volkes lieber zu Fuß. In der unwegsamen Berggegend war das sicher kein Nachteil.

»Ich halte Mondauge nicht für einen Verräter«, erwiderte Jacob scharf. »Sie sollten so etwas nicht sagen, wenn Sie keine Beweise dafür haben, Cullen. Dasselbe haben die O'Rourkes auch über Billy Calhoun gesagt. Haben wir jemals Grund gehabt, an Billys Treue zu zweifeln?«

»Ich wollte weder Billy noch dem Indianer etwas unterstellen. Ich finde nur, daß es vielleicht unnötig ist, dieses Tal der heißen Wasser aufzusuchen. Immerhin scheint man dort Fremde nicht unbedingt zu mögen. Das Wetter klart auf. Vielleicht schmilzt der Schnee schon bald. Weshalb also den Umweg in Kauf nehmen?«

»Das Wetter klart nicht auf«, sagte Jacob kopfschüttelnd und zeigte nach Norden. »Jedenfalls nicht auf Dauer. Dort kommt schon die nächste Wolkenschicht heran.« Seine Stimme wurde leiser. »Martin ging es während der Nacht sehr schlecht. Mondauge sagt, die Heilerin seines Stammes könnte ihm helfen. Auch das ist ein Grund, möglichst schnell zum Tal der heißen Wasser zu kommen. Wir haben schon genug Gräber hinter uns zurücklassen müssen, seit wir Kansas City verlassen haben.«

»Hoffentlich finden wir nicht alle in diesem Tal unser Grab«, knurrte der Barbier, bevor er seinen Braunen barsch antrieb und zurück zu seinem Wagen lenkte.

»Das hoffe ich auch«, seufzte Jacob und blickte gedankenverloren wieder Mondauge an, der mit einer Schnelligkeit über den Schnee lief, mit der die schweren Wagen kaum mithalten konnten.

Der junge Zimmermann war so sehr in seine Gedanken vertieft, daß er die Stimme, die zu ihm sprach, erst nach einer Weile bemerkte. Es war Irene, die neben ihm durch den Schnee stapfte und sich am Sattelzeug des Grauschimmels festhielt.

Martin schlief im Wagen. Der kleine Jamie ebenso. Mit steinernem Gesicht saß Urilla auf dem Bock und hielt die Zügel in der Hand. Sie schaute weder nach rechts noch nach links. Fast schien sie sich damit abgefunden zu haben, mit Martin den letzten Menschen zu verlieren, der ihr etwas bedeutete.

»Träumst du, Jacob?« fragte Irene zum wiederholten Mal, zupfte an seiner wollenen Nadelstreifenhose und sah verwundert zu ihm auf.

»Äh... nein«, stotterte der Reiter. »Das heißt, eigentlich doch. Wenn man es so nennen kann. Ich habe nachgedacht.«

»Worüber?«

»Über den Treck. Und über mich. Ob es richtig ist, Mondauge zu vertrauen.«

»Wir müssen ihm vertrauen, wenn wir den Treck retten wollen.«

»Ich frage mich nur, ob ich wirklich den Treck retten will oder nur Martin«, sagte Jacob mit einem langen Blick auf die hinter ihm durch den Schnee pflügenden Planwagen. »Bringe ich den Treck in eine große Gefahr, nur um Martin zu helfen? Bringe ich das gleiche Verderben über die Menschen, die mir ihr Leben anvertraut haben, in das die sieben Wagen im Geistercanyon gefahren sind?«

»Jetzt weiß ich, was dich bedrückt. Du gibst dir insgeheim die Schuld für das, was im Geistercanyon geschehen ist.«

»Ich hätte es verhindern müssen. Ich bin der Treck-Captain.«

»Du warst es nicht mehr für diese Wagen, Jacob. Die Leute hatten sich gegen dich entschieden, für die O'Rourkes. Wenn jemand die Schuld an diesem Unglück trifft, dann die Iren. Und natürlich Jed Harper und seine Männer.«

»Mag sein, daß du recht hast«, meinte Jacob, ohne wirklich überzeugt zu klingen.

»Sicher habe ich das!« sagte Irene mit ungewohnter Strenge.

»Trotzdem bleibt die Frage, ob ich jetzt das Richtige tue. Oder ob ich zu sehr an Martin denke und zu wenig an das Leben der anderen.«

»Das eine schließt das andere nicht aus. In diesem Fall deckt es sich sogar. Nur im Tal der heißen Wasser sind wir vor dem Schnee sicher. Und nur dort gibt es noch eine Hoffnung für Martin.«

»Steht es so schlimm um ihn?«

Irene blickte betreten zu Boden, wo ihre Füße und die Hufe des Grauschimmels den Schnee zerteilten.

»Schlimmer. Er hat heute morgen nichts zu sich genommen, nicht einmal einen Schluck Wasser. Er scheint sich selbst aufgegeben zu haben. Ich fürchte, er überlebt den Tag nicht.«

Die junge Frau sah wieder auf, in Jacobs grünbraune Augen, und fügte mit fester Stimme hinzu: »Führ uns in das Tal der heißen Wasser, Jacob! Tu es für uns alle!«

Sie ließ das Sattelzeug los und ging zurück zum Wagen, um Urilla Trost zuzusprechen.

Jacob schnalzte mit der Zunge, machte eine forsche Bewegung mit den Zügeln und veranlaßte sein Pferd, zu Mondauge aufzuschließen.

»Meinem Freund geht es ziemlich schlecht. Er wird bald sterben.«

Der Indianer sah Jacob mit seinen seltsam gelben Augen an.

»Mondauge weiß das.«

»Erreichen wir das Tal der heißen Wasser noch rechtzeitig, um ihm zu helfen?«

»Das weiß Mondauge nicht.«

»Warum nicht?« fragte Jacob.

Vielleicht hatte er eine Spur zu scharf geklungen, denn in den gelben Augen blitzte es auf.

»Allein würde Mondauge das Tal der heißen Wasser erreichen, lange bevor die Sonne versinkt. Aber die Wagen der Weißen und Schwarzen sind langsam. Sie fürchten den Schnee. Mondauge kann nicht sagen, wie lange es dauert.«

Damit war das Thema für den Indianer erledigt. Er wandte seinen Blick von dem Reiter und ging schneller, ließ den Treck-Captain hinter sich zurück.

Jacob fühlte sich auf einmal sehr einsam.

Martin, sein bester Freund, lag im Sterben.

Irene, in die Jacob insgeheim verliebt war, wollte nach Oregon, um dort Carl Dilger, Jamies Vater, zu heiraten.

Lousia Vogel, Jacobs einstige Verlobte, hatte Bertram Arning geheiratet und mußte jetzt schon dessen Kind geboren haben.