Noch immer sprühte die heiße Gischt und traf schmerzhaft brennend die ungeschützten Hautpartien der Menschen. Jacobs rechte Wange brannte wie Feuer. Aber er kümmerte sich nicht weiter darum. Die Zugochsen seines Wagens lenkten Jacobs Aufmerksamkeit auf sich.
Sie wurden von Panik ergriffen. George Kelley, obwohl ein für sein Alter recht kräftiger Junge, hatte große Mühe, sie am Ausbrechen zu hindern.
Jacob hatte Billy gerade die Zügel des Grauen überreicht, um George beizuspringen, als der Junge das Gleichgewicht verlor, zu Boden stürzte und über den Rand der Brücke rutschte.
»Neeeiiin!« hörte Jacob von hinten einen langgezogenen Schrei. Ausgestoßen hatte ihn Sam Kelley.
Jacob wollte schon seinen Entschluß verfluchen, den Treck ins Tal der heißen Wasser zu führen, als er die dunklen Hände sah, die sich am Brückenrand festklammerten.
George Kelleys Hände!
»George, ich komme!« rief Jacob und kniete sich rasch auf den Boden, um den Jungen heraufzuziehen.
Er sah noch Georges Gesicht, seine weit aufgerissenen Augen, als der Dreizehnjährige den Halt verlor. Die dunklen Hände rutschten über die Felskante.
Aber George stürzte nicht in die heiße Tiefe. Genau an der Stelle, wo er von der Brücke gefallen war, reckte sich einer der Felspfeiler in die Höhe. Nicht gerade und glatt wie ein von Menschenhand gebauter Pfeiler, sondern krumm wie ein schiefgewachsener Baum und mit vielen Vorsprüngen. Das war Georges Glück. Auf einem dieser Vorsprünge fand er Halt und kam mit dem Oberkörper darauf zu liegen.
Er bewegte sich kaum, preßte Gesicht, Arme, Brust und Bauch ganz eng an den glitschigen Fels, seinen einzigen Halt. Die Beine des Jungen hingen frei in der Luft.
Die heiße Fontäne, die das Unglück ausgelöst hatte, wurde langsam kleiner und fiel dann ganz in sich zusammen. Die Tiere, beruhigten sich wieder.
»Wir müssen etwas unternehmen«, stieß Sam Kelley, der vom Bock seines Schmiedewagens gesprungen und an Jacobs Seite geeilt war, aufgeregt hervor und rief dann nach unten: »Halte aus, Sohn! Wir helfen dir!«
Jackson Harris, Sams Schwager, brachte ein dickes Hanfseil heran und fragte, wo er es festmachen sollte.
»An meinem Wagen«, antwortete Jacob, nachdem er sich rasch umgesehen hatte. Einen besseren Halt konnte er nicht entdecken.
Harris schlang ein Ende des Seils um die Kupplungsdeichsel und zur Sicherheit noch um die eiserne Vorderachse.
Sam Kelley wollte sich das andere Ende umbinden, doch Jacob sagte: »Lassen Sie mich das machen, Sam. George hat meine Ochsen geführt, als das passierte.«
»Er ist mein Sohn!«
»Aber ich bin ein paar Pfund leichter als Sie. Außerdem habe ich mittlerweile Erfahrung in solchen Aktionen.«
Jacob spielte darauf an, wie er sich abgeseilt hatte, um den an einer Steilwand hängenden Andrew Zachary zu retten.
»Also gut«, sagte der schwarze Schmied und half dem Deutschen beim Verknoten des Seils.
Eine Menge Männer hatten sich mittlerweile um die Unglücksstelle versammelt und seilten ihren Captain nun langsam ab. Es war nur eine kurze Distanz bis zu George, etwa dreißig Fuß.
Mondauge kniete am Rand der Brücke und beobachtete das Brodeln in der Tiefe.
Auf einmal rief er: »Der Adler möge sich beeilen! Der Feuergott spuckt wieder seinen heißen Atem aus!«
Jacob hatte den Ausruf gehört. Er schaute nach unten und sah, was der Indianer gemeint hatte. Eins der harmlos aussehenden Wasserlöcher hatte zu brodeln begonnen. Immer aufgewühlter wurde das Wasser, bis es plötzlich kerzengerade in die Höhe stieg.
»George, spring!« rief der Mann am Seil und streckte seine Arme nach dem auf gleicher Höhe befindlichen Jungen aus.
Der zögerte. Eine Entfernung von etwa eineinhalb Fuß trennte ihn von seinem Retter. Das war nicht viel. Aber ein Fehlsprung war trotzdem möglich. Und der würde für George den sicheren Tod bedeuten.
Aber wenn die heiße Fontäne den Felspfeiler erreichte, würde das genauso sicher sein Ende sein. Der Junge würde auf dem vom Wasser glattgeschliffenen Gestein mit Sicherheit den Halt verlieren.
»Spring schon, George!« wiederholte Jacob seine Aufforderung. »Ich halte dich!«
»Tu es, Sohn!« brüllte von oben Sam Kelley. »Spring!«
Und George sprang. Jacob erkannte den Entschluß des Jungen, als es in dessen Augen plötzlich aufflackerte. George spannte sämtliche Muskeln seines Oberkörpers an und stieß sich ab. Er wußte, daß er schnell sein mußte. Bevor sein Körper Zeit fand, am glitschigen Fels abzurutschen. Bevor ihn die neue Fontäne erreichte.
Der Körper des Jungen fiel in Jacobs Arme. Gleichzeitig wurden die beiden Menschen von heißem Dampf eingehüllt.
Instinktiv schloß Jacob die Augen und hoffte, daß George es ihm gleichtat. Er hätte es dem Jungen gesagt, wenn er gekonnt hätte. Aber der Dampf raubte ihm den Atem und tat an seinem ganzen Körper so höllisch weh, daß er bald an nichts anderes mehr denken konnte.
Es schien Jacob eine Ewigkeit zu sein, während der er und George in der Fontäne hingen. Dabei waren es nur Sekunden. Die Männer oben auf der Brücke zogen aus Leibeskräften an dem Seil und hievten die beiden Menschen aus dem Atem des Feuergottes, wie es Mondauge genannt hatte. Zum Glück war diese Fontäne nicht so hoch und ausdauernd wie die vorangegangene.
Jacob registrierte mit Erleichterung, wie erst sein Kopf, dann sein Oberkörper und endlich auch seine Beine aus der sengenden Hitze befreit wurden. Noch immer war es ihm unmöglich, die Augen zu öffnen. Er spürte, wie die schwere Last - George - aus seinen Armen genommen wurde. Dann packten kräftige Hände nach ihm selbst und zogen ihn auf festen, felsigen Untergrund. Auf die Brücke.
Begann Jacob erst jetzt wieder zu atmen? Er wußte es selbst nicht. Jedenfalls genoß er die frische Luft in seinen Lungen, die - obwohl noch immer für eine Oktobernacht in den Rockies unnatürlich warm - ihm kühl und belebend erschien. Kein Vergleich zu der alles verschlingenden Hitze der Dampffontäne.
Als er die Augen öffnete, sah er die besorgten Gesichter seiner Kameraden. Melvin Freeman hielt einen großen Eimer in den Händen und entleerte ihn über Jacob. Eiskaltes Wasser ergoß sich über den jungen Deutschen.
Als die kühle Dusche überstanden war, schnappte Jacob prustend nach Luft - und fühlte sich viel besser als zuvor. Naß war er schon durch den Dampf gewesen. Aber die Dusche linderten das Brennen ein wenig.
Er sah Jackson Harris mit einem zweiten Eimer neben George stehen.
Auch der Junge hatte seine Dusche erhalten.
»Wie geht es George?« erkundigte sich der Treck-Captain mit schwacher Stimme.
»Ähnlich wie Ihnen, Jacob, nicht besonders«, antwortete Custis Hunter. »Aber viel besser, als wenn er jetzt da unten wäre.«
Mit leichtem Schaudern sah der aus Missouri stammende Sohn eines Plantagenbesitzers in die Tiefe.
Jacob und George wurden von hilfreichen Händen entkleidet und abgetrocknet, damit sie sich keine Lungenentzündung holten. Daß ihnen Frauen zusahen, störte sie in dem Moment kein bißchen. Sie hatten am ganzen Körper Verbrennungen davongetragen. Nur ihre Kleidung hatte sie vor dem Schlimmsten bewahrt. Wären sie dem Dampf länger ausgesetzt gewesen, hätte es sicher anders ausgesehen. Butter wurde herbeigeschafft, mit der die schlimmsten Wunden zur Schmerzlinderung eingestrichen wurden. Jacob und George zogen trockene Kleidung an.
Dann ging es weiter. Langsam, zögerlich, vorsichtig. Jedesmal, wenn sich eine neue Fontäne erhob, zuckten die Menschen erschrocken zusammen. Aber obwohl der Treck immer tiefer kam, der Quelle der fast unerträglichen Hitze entgegen, geschah kein weiteres Unglück. Die Fontänen schossen in gebührender Entfernung von der Steinbrücke empor.
Die Auswanderer hatten es schon fast geschafft und atmeten auf, da entstand hinten bei der Viehherde Unruhe. Niemand vermochte hinterher zu sagen, was der Grund für die Unruhe war. Die hinteren Tiere drängelten, vielleicht weil sie das Ende des gefahrvollen Wegs ahnten. Die vorderen Tiere wurden zusammengeschoben und verloren den Halt.