Выбрать главу

»Das glaube ich nicht, Jacob. Nicht, seitdem sich das Phantom der Rocky Mountains als Wahrheit herausgestellt hat.«

»Sie glauben, daß der alte Anderson wirklich das Phantom war?«

Der Schwarze nickte.

»Wenn er bei Indianern hier in den Bergen gelebt hat - aus welchen Gründen auch immer -, hat es ihn bestimmt zu den durchziehenden Trecks hingezogen. Der eine oder andere Auswanderer wird ihn bemerkt haben. Ich könnte mir vorstellen, daß so die Geschichte vom Phantom entstanden ist.«

Die Männer stimmten ab. Zu Jacobs Überraschung waren etwa zwei Drittel dafür, weiterzufahren und das Tal der heißen Wasser zu suchen.

Er fühlte sich danach keineswegs erleichtert. Die Verantwortung, die auf ihm lastete, blieb, ob er den Wagenzug in die eine oder in die andere Richtung führte. So beständig wie der Gedanke an die Toten, die zerschmettert im Geistercanyon lagen. Sie hatten die falsche Richtung gewählt.

Daniel Anderson wurde unter einem Steinhaufen begraben, was in der hektischen Aufbruchsstimmung des Trecks fast unterging. Um das schlichte, aus Brettern errichtete Holzkreuz hängte Urilla das Medaillon ihres Vaters.

Sie verließ das Grab erst, als Jacobs Stimme laut über die Wagenkolonne schallte und das Kommando zur Fortsetzung der Reise gab.

*

Erneutes Schneetreiben hatte eingesetzt, als der einsame Wanderer am späten Nachmittag die Stelle erreichte, wo der Treck gelagert hatte.

In dem zerwühlten Schneefeld blieb der Mann stehen und sah sich sorgfältig um. Die Auswanderer waren am Morgen dieses Tages aufgebrochen, wie er an den Spuren im Schnee erkannte, die nur ganz allmählich vom unablässig fallenden Neuschnee zugedeckt wurden. Die Chancen, den Treck bald einzuholen, standen gut.

Er war zwar nur zu Fuß, doch kam er in dem unwegsamen Gebirge schneller vorwärts als die schwerfälligen Wagen, mochten sie auch von acht, zehn oder zwölf kräftigen Ochsen oder Mulis gezogen werden. Der Schnee, durch den sich Zugtiere und Wagenräder mühsam quälen mußten, machte es ihm noch einfacher. Er lief auf den Schneeschuhen, die er in weiser Voraussicht auf den Oregon-Treck mitgenommen hatten. Das Schicksal schien gewußt zu haben, weshalb sie nicht von der Lawine zerstört worden waren.

Plötzlich erstarrte der Mann für eine halbe Minute. Er hatte den Steinhaufen entdeckt, der unter ein paar hohen, weißgezuckerten Kiefern aufgeschüttet war. Ein Steinhaufen mit einem Holzkreuz. Ein Grab.

Zwar nur ein einfaches, behelfsmäßiges Grab, aber doch viel würdevoller als der große Geröllhaufen im Geistercanyon, unter dem so viele Tote lagen.

Der Mann ging zu dem Grab und nahm die um das Kreuz geschlungene Kette in die Hand. Ein Medaillon. Er öffnete es. Die beiden Fotografien, die er darin sah, kannte er nicht. Die Menschen waren ihm unbekannt.

Hätte er genauer hingesehen, wäre ihm die Ähnlichkeit eines der Mädchen mit Urilla Andersen, die er nur als Frau kannte, aufgefallen. Aber so sagte ihm das Medaillon gar nichts. Er machte sich noch nicht einmal die Mühe, es wieder zu verschließen. Er schleuderte es einfach hinaus in den Schnee.

Er hatte keine Ahnung, wer der Tote war. Vielleicht der Dutch namens Martin Bauer, der beim Kampf mit dem Berglöwen schwer verwundet worden war.

Letztlich war es unwichtig für ihn, wer der Tote war. Wichtig war nur, daß er tot war.

Denn dies war das Ziel des einsamen Mannes: den Tod zu bringen über die Menschen, die ihn und seine Angehörigen im Stich gelassen hatten. Die ihn lebendig begraben im Geistercanyon zurückließen. Jetzt würde er sie begraben, einen nach dem anderen.

Bei einem war es nicht mehr nötig, wie er mit einem Blick auf das Grab dachte. Fast bedauerte der einsame Wanderer, daß er nicht persönlich den Tod über den Verstorbenen gebracht hatte.

Er zog die Riemen fest, an denen Ausrüstung und Waffen auf seinem Rücken hingen, und setzte mit grimmigem Gesicht seinen Weg fort. Die unübersehbare, breite und tief in den Schnee gegrabene Spur des Wagenzugs war für den Rächer der beste Führer.

Der Tod würde die Auswanderer nicht verfehlen.

*

In neuer Marschordnung wand sich der scheinbar endlose Wurm aus Wagen, Menschen und Tieren Meile um Meile über Höhenzüge, Pässe, durch Täler und Wälder der urwüchsigen Rockies.

Nach dem Verlust der sieben Wagen im Geistercanyon war der Treck auf zweiundzwanzig Fahrzeuge zusammengeschmolzen. Das hatte eine Neueinteilung der einzelnen Züge erforderlich gemacht. Jeweils vier oder fünf Wagen bildeten einen Zug. Der Treck bestand nun aus drei Zügen zu vier und zwei Zügen zu fünf Wagen.

Die Angehörigen eines Zuges halfen untereinander beim Auf- und Abbau des Mittags- und Nachtlagers, beim Herbeischaffen des Feuerholzes, beim Kochen und beim Versorgen der Tiere. Nicht jede Auswandererfamilie mußte bei jeder Rast alle Aufgaben erledigen. Das bot den Leuten Gelegenheit, sich etwas zu erholen.

Der leichte, von vier Ochsen gezogene Planwagen, in dem Jacob, Martin, Urilla und Irene mit Jamie reisten, führte den Treck jetzt an. Als Captain hatte Jacob das Recht und die Pflicht zugleich, seinen Wagen an der Spitze fahren zu lassen. Seinem Wagen folgten die anderen Prärieschoner von Jacobs Zug: Sam Kelleys schwere, mühsam von zehn Ochsen gezogene fahrbare Schmiede, der alte Kastenwagen der Millers und der gemeinsame Wagen von Custis Hunter und Melvin Freeman.

Der etwa einen Fuß hoch liegende Schnee erschwerte Menschen und Tieren das Vorankommen. Immer wieder blieb ein Wagen in einer Schneeverwehung stecken und mußte von zehn, fünfzehn Männern herausgeschoben werden. Manchmal reichte die menschliche Kraft nicht, und zusätzliche Zugtiere wurden vor den betreffenden Wagen gespannt. Das hielt jedesmal den ganzen Treck auf.

Als Jacob den Treck zur Mittagspause halten ließ, hatte er nicht einmal vier Meilen zurückgelegt. Die Tiere mußten aus den Futterreserven versorgt werden, da sie unter der Schneedecke kein Gras fanden.

Am Nachmittag wurde die Stimmung der Auswanderer noch schlechter, als der stärker werdende Wind ihnen Schneeflocken ins Gesicht trieb. Bislang hatten sie sich der Hoffnung hingegeben, der Schneefall der vergangenen Nacht wäre ein einmaliger Vorgang gewesen und der richtige Winter noch weit entfernt. Aber ihre Hoffnung schmolz dahin, nicht der Schnee.

Was Billy Calhoun bereits am Morgen angedeutet hatte, bewahrheitete sich: Die zurückgelegte Wegstrecke am Ende des Tages betrug gerade mal acht Meilen, und die Himmelsnadel - oder der Skyladder Rock - war noch nicht erreicht, noch nicht einmal in Sichtweite.

Der Schnee fiel während der ganzen Nacht. Nicht kontinuierlich, aber in immer neuen Schüben. Am nächsten Morgen betrug die Höhe der weißen Decke fast zwei Fuß.

Ein paar der Auswanderer, angeführt von Toby Cullen, sprachen ernsthaft vom Umkehren.

Jacob ließ gar nicht erst eine Diskussion darüber aufkommen. Am Morgen zuvor hatten sich die Männer entschieden. Jetzt mußten die Menschen einfach durchhalten, mit Mut, Zähigkeit und dem nötigen Vertrauen.

Der beschwerliche Weg zurück wäre einfach Wahnsinn gewesen. Es hätte einen Zeitverlust von zwei ganzen Tagen bedeutet. Wenn es mit dem Schnee so weiterging, vielleicht zwei tödliche Tage.

Am Vormittag fiel kein Schnee. Doch nach der Mittagsrast begann das weiße Treiben von neuem. Die Menschen wurden immer mürrischer und ließen Jacob ihre Abneigung deutlich spüren.

Bis auf einmal der vorausreitende Scout rief: »Die Himmelsnadel!«

Ungläubig hoben die Auswanderer ihre zum Schutz gegen den scharfen Wind gesenkten Häupter und blickten angestrengt nach vorn. Nur schemenhaft konnten sie durch das Schneetreiben die Umrisse des schlanken Felsens erkennen, der sich rechts des Trails erhob. So hoch, daß seine Spitze von einem Dunstschleier verdeckt lag.

Aber er war da!

Je weiter die Wagen rollten, desto deutlicher wurden die Umrisse. Auf einmal brach lauter Jubel aus. Diejenigen der Auswanderer, die zu Fuß neben den Wagen hergingen, führten einen wahren Freudentanz im Schnee auf. Jacob hielt sich allerdings zurück.