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Sam Kelley lenkte seine alte Mähre neben Jacobs Grauschimmel und sagte: »Sie scheinen sich über Ihren Erfolg gar nicht zu freuen, Captain.«

»Über meinen Erfolg?«

»Yeah. Sie haben recht behalten, Jacob. Wir haben die Himmelsnadel gefunden.«

»Erstens habe nicht ich recht behalten, sondern allenfalls Daniel Anderson und Billy Calhoun. Und zweitens ist das Auffinden dieses Felsens noch lange kein Grund zum Feiern. Falls wir nämlich nicht diesen geheimnisvollen Mann namens Mondauge finden, nützt uns der spitze Felsen rein gar nichts.«

Sam nickte bedächtig und meinte dann: »Schätze, Sie haben recht. Aber die Leute freuen sich wie die Kinder.«

»Sollen Sie. Das kann der allgemeinen Moral nur nützlich sein. Ich befürchte allerdings, daß die Freude sehr rasch ins Gegenteil umschlägt, sollten wir diesen Mondauge nicht finden.«

»Und was tun wir jetzt?«

»Den Indianer suchen.« Jacob zeigte auf ein von kleineren Felsen begrenztes Halbrund. »Da ist ein guter Platz für das Nachtlager. Die Felsen bieten Schutz gegen den Wind. Außerdem müssen wir nicht alle Wagen zur Burg zusammenfahren, sondern nur ein paar, um die Öffnung zwischen den Felsen zu verschließen. Während unsere Leute das Lager vorbereiten, suchen wir mit ein paar Männern Mondauge.«

Der junge Zimmermann ritt am Treck entlang und rief die nötigen Befehle. Dann kehrte er zum vordersten Wagen zurück und beugte sich zur Seite, in die Richtung von Urilla, die auf dem Bock saß und die Zügel in der Hand hielt.

»Wir wollen den Freund Ihres Vaters suchen, Urilla. Geben Sie mir Ihr Medaillon?«

Ihr hübsches Gesicht war stark gerötet, als Urilla den Reiter anblickte. Sie mußte viel geweint haben. Um ihren Vater. Vielleicht auch um Martin, dem es immer schlechter ging. Das Rot ihrer Wangen ließ das leuchtende Grün der Augen noch stärker hervortreten.

»Mein Medaillon? Wozu, Jacob?«

»Falls wir diesen Mann namens Mondauge tatsächlich finden, müssen wir ihn irgendwie davon überzeugen, daß wir seine Freunde sind. Wir wissen noch nicht mal, ob er unsere Sprache spricht.«

»Ich verstehe«, sagte Urilla und nickte leicht. »Er wird das Medaillon meines Vaters vermutlich kennen.«

»Genau.«

Sie öffnete den Verschluß der Kette und nahm sie samt dem Medaillon ab, um das für sie wertvolle Erinnerungsstück Jacob zu geben.

»Danke«, sagte er und steckte es in eine Tasche seiner dicken Wolljacke. »Ich verspreche Ihnen, gut darauf aufzupassen.«

»Das ist nicht so wichtig, Jacob. Viel wichtiger ist, daß Sie Mondauge finden. Und dieses Tal. Wenn die Menschen dort Martin wirklich helfen können. Ich glaube, das ist seine einzige Chance.«

Es fiel ihr schwer, das auszusprechen. Der Gedanke, so kurz nach ihrem Vater auch noch Martin zu verlieren, tat weh.

Jacob ging es nicht viel anders. Einen so guten Freund wie Martin hatte er in seinem ganzen Leben nicht gehabt, obwohl sie sich erst seit ein paar Monaten kannten. Die gemeinsame Reise nach Amerika und die vielen gemeinsam überstandenen Abenteuer hatten sie zusammengeschweißt.

»Ich werde alles tun, um Mondauge zu finden«, sagte Jacob leise.

Dann riß er den Grauschimmel herum und ritt zu dem von Sam Kelley zusammengetrommelten Suchtrupp.

*

Die Himmelsnadel erhob sich etwa eine Meile vom Lagerplatz des Trecks entfernt. Von dort aus hatte es näher ausgesehen. Die Größe des Felsens war für diese Täuschung verantwortlich.

Die zwanzig Reiter, die sich durch das Schneetreiben dem Felsen näherten, waren von seiner Größe beeindruckt. Vielleicht spielte auch der Umstand eine Rolle, daß der Felsen sich so einsam in den Himmel reckte, als sei er ein verstoßenes Kind der fernen Berggipfel. Gewiß, es gab kleinere Felsen um den Skyladder Rock herum, aber im Vergleich zu ihm wirkten sie unbedeutend.

Ohne Aufforderung und doch wie auf ein Zeichen hielten die Auswanderer ihre Pferde an und blickten mit in den Nacken gelegten Köpfen an dem sich nach oben verjüngenden Felsen empor. Sie alle bewegte wohl dieselbe Frage: Welcher Naturgewalten, welcher unvorstellbar langen Zeiträume bedurfte es, um solch ein Werk zu schaffen?

Jacob gab sich einen Ruck, trieb den Grauschimmel an und rief: »Weiter, Männer. Vertrödelt keine Zeit. Wir müssen den Rest Tageslicht ausnutzen!«

So man überhaupt von Licht sprechen konnte. Seit das erneute Schneetreiben am Nachmittag eingesetzt hatte, war es dunkler und dunkler geworden. Die Sonne war schon längst nicht mehr zu sehen, lag verborgen hinter einer dicken Schicht finsterer Wolken.

Achtzig Pferdehufe zerteilten den jungfräulichen Schnee. Aber schon bald würden die Spuren unauffindbar sein, bedeckt von dicken weißen Flocken.

Der Suchtrupp hielt auf das Fundament der Himmelsnadel zu, das sich als ein beeindruckender, etwa dreihundert Fuß durchmessender Felsen entpuppte. Viele kleine Felsen schlossen sich daran an und bildeten ein wahres Steinlabyrinth.

»Verflucht«, knurrte Custis Hunter. »Wie sollen wir diesen Indianer hier aufspüren? Er kann an hundert verschiedenen Stellen stecken. Die Felsen bieten eine hervorragende Deckung. Wenn er sich nicht freiwillig zeigt, finden wir ihn nie. Wir wissen gar nicht, wo wir mit der Suche anfangen sollen.«

»Ich würde da hinten suchen, wo die einsame Zeder steht«, meinte Billy Calhoun und zeigte auf einen großen, krumm gewachsenen Nadelbaum, dessen Zweige und Äste jetzt völlig weiß waren. Er stand ganz allein zwischen großen und kleineren Felsen, wie eine letzte Bastion des Lebens gegen Kälte und Tod.

»Warum da?« fragte Custis.

»Weil dort noch vor kurzem ein Feuer gebrannt hat.«

»Woran siehst du das?«

»Ich rieche es. Und an der einen Seite der Zeder ist der Schnee etwas abgetaut. Das kommt von der Hitze des Feuers.«

»Indianer müßte man sein«, sagte der Sohn eines Plantagenbesitzers, keineswegs verächtlich, sondern mit Respekt. »Zumindest ein halber.«

Die Männer lenkten ihre Pferde zu der Zeder und hatten sie noch nicht ganz erreicht, als Billy laut »Halt!« rief.

»Was ist denn?« fragte Sam Kelley. »Wir sind doch noch gar nicht da!«

»Wir steigen besser ab«, meinte das Halbblut. »Unsere Pferde würden alle Spuren zertrampeln.«

»Ein guter Vorschlag«, befand Jacob und rutschte als erster aus dem Sattel. »Zwei Männer bleiben bei den Pferden. Die anderen folgen mir.«

Ein paar der Männer wollten ihre Gewehre mitnehmen. Jacob befahl ihnen, die Waffen wieder in die Scabbards an den Sätteln zu schieben. »Wir kommen nicht als Feinde dieses Mannes, sondern als seine Freunde. Das soll er auch sehen!«

Als sie den Baum erreichten, war außer den Männern vom Treck weit und breit kein menschliches Wesen zu entdecken. Der Platz neben dem Baum erschien jungfräulich unberührt.

»Wo ist denn jetzt dein Lagerfeuer, Billy?« fragte ein wenig spöttisch Toby Cullen.

»Hier«, sagte der Scout, ging zielstrebig auf eine bestimmte Stelle zu und wischte mit der Hand den Schnee beiseite. Darunter kamen Asche und halbverbrannte Zweige zum Vorschein. Wärme stieg auf. Die Glut war noch nicht ganz verloschen.

»Noch warm, das Feuer«, stellte dann auch Sam Kelley fest. »Wer immer es angezündet hat, er muß es gelöscht haben, als er uns bemerkte. Wie hast du es entdeckt, Billy?«

»Der Fremde hat es zwar mit Schnee zugedeckt, aber die noch heiße Glut hat den Schnee unten schmelzen lassen. Die Stelle lag deutlich tiefer als die übrige Schneedecke.«

Billy sah sich gründlich um.

»Er hat seine Spuren gut verwischt, hiermit.« Er zog einen Zedernast zwischen zwei niedrigen Felsen hervor. »Aber nicht gut genug, weil er es eilig hatte. Wenn man genau hinsieht erkennt man, wo er mit dem Ast über den Schnee gewischt hat.«