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»Zumindest, wenn man indianisches Blut in sich hat«, meinte Custis in einem anerkennenden Tonfall. »Und dumme Weiße« - er blickte in die Runde - »und Schwarze hätte Mondauge sicher getäuscht. Aber mit dir hat er nicht gerechnet, Billy. Wohin ist er gegangen?«

Der Scout zeigte zur Himmelsnadel.

»In die Felsen.«

»Dort gibt es allerdings eine Menge Verstecke«, seufzte Sam Kelley und sah Jacob an. »Wie gehen wir die Sache an?«

»Wie das höfliche Leute tun«, antwortete der junge Treck-Captain. »Wir stellen uns bei Mondauge vor.«

Er legte die Hände trichterförmig an den Mund und rief laut: »Mondauge, wir sind deine Freunde. Wir wollen dir nichts Böses tun. Wir brauchen deine Hilfe. Dein weißer Freund, der Einauge erlegt hat, hat uns zu dir gesandt. Seine Tochter ist bei uns. Zeige dich. Wir werden dir nichts tun, Mondauge!«

»Eine lange Rede«, knurrte Cullen. »Ich bezweifle allerdings, daß sie uns weiterbringt. Vielleicht hat der Rote längst die Flucht ergriffen und hört uns gar nicht. Jedenfalls antwortet er Ihnen nicht, Captain.«

Jacob glaubte, in den Worten des Barbiers eine Spur von Befriedigung mitschwingen zu hören.

»Er wird Zeit brauchen, um sich ein Urteil zu bilden«, erwiderte der Deutsche. »Wenn Ihnen auf einmal zwanzig Fremde in der Wildnis gegenüberstünden, wären Sie auch vorsichtig, Cullen. Ich glaube, er ist noch in der Nähe.«

»Das ist er bestimmt«, meinte Billy.

»Wie kommst du darauf?« fragte Custis.

»Er wird uns beobachten, um herauszufinden, was wir wollen. So würde ich es machen.«

»Pah«, machte Cullen mit einer wegwischenden Handbewegung. »Indianer sind unberechenbar!«

»Wieso gehen wir eigentlich immer davon aus, daß.«, begann Sam Kelley, wurde aber durch eine gutturale Stimme unterbrochen, die laut in seine Rede schnitt.

Es war die Sprache des weißen Mannes, aber sie kam unverkennbar aus dem Mund eines Menschen, dessen Muttersprache es nicht war.

»Mondauge hat deine Worte gehört, Fremder«, erscholl es von irgendwo aus dem Felslabyrinth. »Wie ist dein Name?«

»Adler«, sagte Jacob nach kurzem Überlegen auf englisch. Sein Vorname würde dem Indianer kaum etwas sagen, aber den Namen des Greifvogels kannte er gewiß.

»Das ist ein guter Name«, meldete sich der Unsichtbare wieder. »Der Adler ist ein stolzes, starkes und mächtiges Tier. Er zieht für alle sichtbar am Himmels seine Kreise und muß sich vor niemandem verstecken. Denn er ist ohne Falsch. Bist du auch ohne Falsch, Mann namens Adler?«

»Ja, das bin ich.«

»Wie kann Mondauge das glauben? Ihr seid viele und habt Feuerwaffen.«

»Ich werde allein zu dir kommen, Mondauge. Allein und ohne Waffen.«

Einen Augenblick herrschte Schweigen.

Dann rief die gutturale Stimme: »Mondauge ist einverstanden. Der Adler soll zu ihm kommen.«

»Wie finde ich dich?«

»Geh einfach auf die Himmelsnadel zu. Mondauge wird den Adler finden.«

»Gut, Mondauge. Ich komme zu dir.«

Jacob schnallte den Waffengurt mit dem schweren Army Colt ab und reichte ihn Sam Kelley. Nach kurzem Zögern zog er auch das Bowiemesser aus der Scheide an seinem Gürtel und gab es dem Schmied.

»Sind Sie sicher, daß Sie das Richtige tun, Jacob?« fragte der Schwarze und warf einen zweifelnden Blick in die Felsen. »Vielleicht ist es eine Falle.«

»Was sollte Mondauge gegen uns haben? Wir brauchen seine Hilfe und müssen sein Vertrauen gewinnen, nicht er unseres.«

Cullen legte die Hand auf den Revolver, der eine Tasche seiner flauschigen Büffelfelljacke ausbeulte.

»Wir folgen Ihnen in einem gewissen Abstand, Captain. Wir bilden eine weit auseinandergezogene Kette. Und wenn sich der Rote zeigt, schnappen wir ihn!«

Jacobs Augen funkelten den Barbier böse ein.

»Nein, Cullen! Niemand wird mir folgen. Und niemand wird seine Waffe auf Mondauge richten. Das ist ein Befehl!«

Er sah Sam Kelley an.

»Sam, Sie übernehmen das Kommando während meiner Abwesenheit. Wenn irgend jemand mir folgen will oder seine Hand zu nah an seinen Revolver bringt, schlagen Sie ihn ohne Vorwarnung nieder!«

»Wird mir ein Vergnügen sein, Captain«, versprach der muskulöse Schmied mit einem breiten Grinsen, wobei er Cullen ansah.

Mit gemischten Gefühlen machte sich Jacob auf den Weg und kletterte zwischen den Felsen hindurch. Der Schnee machte die Steine glatt und rutschig, weshalb sich der junge Deutsche oft abstützen mußte.

Er wußte nicht, was ihn bei der Begegnung mit Mondauge erwartete. Jacob meinte es ehrlich. Der Indianer auch?

Fast noch mehr Sorge bereitete ihm jedoch der Gedanke, daß vielleicht noch mehr der Männer so dachten wie Toby Cullen. Wenn sie eine Dummheit anstellten, konnte das alles verderben.

Jacob seufzte. Es half alles nichts. Er mußte auf die Vernunft der Auswanderer vertrauen. Und auf Sam Kelleys starke Faust.

»Bleib stehen, weißer Mann!« ließ ihn die gutturale Stimme in seinem Rücken zusammenfahren. »Der Adler hat Mondauge gefunden.«

Jacob mußte dicht an dem anderen vorbeigegangen sein und hatte ihn doch nicht bemerkt. Er konnte nicht verhindern, daß ihm bei dem Gedanken, dem Fremden völlig ausgeliefert zu sein, ein Schauer über den Rücken lief. Jacobs Begleiter mußten nach seiner Schätzung etwa vierhundert Yards entfernt sein, von ihm durch die unwegsamen Felsen getrennt. Sie konnten nicht eingreifen, falls der Mann in Jacobs Rücken ihn umbringen wollte.

Der junge Deutsche schüttelte diese Gedanken von sich ab. Sie waren nicht gut, brachten ihn nicht weiter. Es waren Toby Cullens Gedanken.

Langsam, die halb erhobenen Hände von seinem Körper gestreckt, drehte er sich um.

Als er die Gestalt sah, die hinter einem hüfthohen Felsen stand, glaubte er im ersten Augenblick, einer Sinnestäuschung zu erliegen. Daniel Anderson, das Phantom der Rocky Mountains, schien wieder zum Leben erwacht zu sein.

Die Gestalt trug ebenfalls das Fell eines Bären, den Kopf vom Bärenhaupt bedeckt. Wie Andersen auf dem Plateau über dem Geistercanyon hielt auch sie einen gespannten Bogen in den Händen. Die widerhakige Knochenspitze des Pfeils zeigte auf Jacobs Brust.

Aber diesmal war es nur ein Pfeil. Der genügte dem Fremden, um den Adler zu erlegen.

Die Gestalt stand etwa zehn Schritte von Jacob entfernt. Der dichte Schneefall behinderte die Sicht.

Doch als der Treck-Captain genauer hinsah, erkannte er die Unterschiede zwischen Daniel Anderson und dem Mann namens Mondauge. Seine dunklen Gesichtszüge mit dem ausgeprägten Kinn und den hohen Wangenknochen waren die eines Indianers. Am seltsamsten waren seine Augen. Von einer Farbe, die Jacob noch nie bei einem Menschen gesehen hatte. Ein leuchtendes Gelb.

Mondauge!

»Warum richtet Mondauge seinen Pfeil auf mich?« fragte Jacob. »Ich bin allein gekommen und ohne Waffen, wie ich es versprach.«

»Mondauge sieht, daß der Adler allein kam. Aber wie sieht er, ob der Adler keine verborgenen Warfen bei sich trägt?«

»Mondauge ist mißtrauisch?«

»Grauhaar hat Mondauge gelehrt, dem weißen Mann nicht zu trauen. Seine Zunge soll gespalten sein wie die der Klapperschlange.«

Mit Grauhaar konnte der Indianer nur Daniel Anderson meinen, das war Jacob sofort klar.

»War Grauhaars Zunge auch gespalten?«

»Nein. Manchmal war seine Zunge krank und redete Dinge, die Mondauge nicht verstand. Aber niemals hat Grauhaar Mondauge betrogen.«

»Mondauge weiß also, daß nicht alle Weißen mit gespaltener Zunge reden.«

»Aber Mondauge weiß nicht, ob es der Adler tut.«

»Dann soll Mondauge näherkommen und sich davon überzeugen.«

Der Indianer überlegte ein paar Sekunden und meinte dann: »Mondauge bleibt an seinem Platz. Der Adler wird zu ihm kommen!«

Jacob gehorchte. Ihm blieb nichts anderes übrig.