»Wir! Wer waren die anderen?«
»Geduld, Corwin! Abfolge und Ordnung, Zeit und Akzent! Herauskehrung, Unterstreichung . . . Hör zu!« Er nahm eine neue Zigarette, zündete sie an der Kippe der ersten an, stach mit der brennenden Spitze durch die Luft. »Der nächste Schritt hatte zum Ziel, Vater aus Amber verschwinden zu lassen – der entscheidendste und gefährlichste Teil. Mit diesem Punkt nun begann die Uneinigkeit. Mir mißfiel der Gedanke an ein Bündnis mit einer Macht, die ich nicht ganz verstand, insbesondere eine Macht, die es den Schatten ermöglichte, einen Fuß in die Tür zu stellen. Sich Schatten nützlich zu machen, ist eine Sache; ihnen jedoch zu gestatten, uns zu gebrauchen, ist unüberlegt, wie immer die Voraussetzungen auch aussehen mochten. Ich sprach mich dagegen aus, doch die Mehrheit wollte es anders.« Er lächelte. »Zwei zu eins. Ja, wir waren zu dritt. Wir unternahmen also den nächsten Schritt. Die Falle wurde errichtet, und Vater schnappte nach dem Köder . . .«
»Lebt er noch?« fragte ich.
»Ich weiß es nicht«, sagte Brand. »Ab hier begannen die Dinge schiefzulaufen, und später hatte ich eigene Sorgen, die mich in Trab hielten. Jedenfalls bestand unsere erste Maßnahme nach Vaters Verschwinden darin, unsere Position zu festigen, während wir eine gewisse Zeit abwarteten, bis es angebracht war, seinen Tod zu vermuten. Idealerweise brauchten wir dazu nur die Mitarbeit einer Person. Entweder Caine oder Julian – egal, wer. Weißt du, Bleys war bereits in die Schatten gegangen und stand im Begriff, eine gewaltige Armee zusammenzustellen . . .«
»Bleys! Er war einer von euch?«
»Allerdings. Wir wollten ihn auf den Thron setzen – natürlich so sehr unter Kontrolle, daß es de facto letztlich auf ein Triumvirat hinausgelaufen wäre. Wie ich eben sagte, zog er los, um Truppen zusammenzustellen. Wir erhofften uns natürlich eine unblutige Übernahme; andererseits mußten wir bereit sein für den Fall, daß Worte zum Siege nicht genügten. Wenn Julian uns den Landweg nach Amber eröffnete oder Caine uns das Meer freigab, hätten wir die Truppen ohne Verzögerung herbeischaffen und uns notfalls auch mit Waffengewalt durchsetzen können. Leider suchte ich mir den falschen Mann aus. Meinem Gefühl nach war Caine korrupter als Julian. Mit wohlüberlegter Vorsicht trug ich ihm die Sache vor. Zuerst schien er bereit zu sein, sich auf unsere Vorstellungen einzulassen. Doch entweder überlegte er es sich hinterher anders, oder er täuschte mich von Anfang an. Natürlich glaube ich lieber an das erstere. Wie dem auch sei – irgendwann kam er zu dem Schluß, daß er mehr zu gewinnen hatte, wenn er einen anderen Thronanwärter unterstützte – nämlich Eric. Erics Hoffnungen auf den Thron waren durch Vaters Einstellung ihm gegenüber etwas gemindert worden – doch Vater war nun fort, und unsere geplante Aktion bot Eric die Möglichkeit, sich zum Verteidiger des Throns aufzuschwingen. Zum Pech für uns brachte ihn eine solche Position wieder in Reichweite des Herrschertitels. Aber damit nicht genug: Julian machte es Caine nach und unterstellte seine Truppen Eric zur Verteidigung. Auf diese Weise bildete sich das andere Trio. Eric leistete den öffentlichen Eid, den Thron zu verteidigen, und damit standen die Fronten fest. Ich befand mich zu dieser Zeit natürlich in einer etwas peinlichen Lage. Auf mich konzentrierte sich nämlich die Feindseligkeit der anderen, da sie nicht wußten, wer meine Verbündeten waren. Dennoch konnten sie mich nicht einsperren oder foltern, denn ich wäre sofort durch den Trumpf fortgeholt worden. Und wenn sie mich töteten, mochte es von unbekannter Seite Vergeltungsaktionen geben, das wußten sie sehr wohl. Also blieb die Partie eine Zeitlang ausgewogen. Die drei erkannten auch, daß ich keine direkten Schritte mehr gegen sie unternehmen konnte. Sie bewachten mich ständig. Hieraus ergab sich ein noch raffinierterer Plan. Wieder sprach ich mich dagegen aus, und wieder wurde ich zwei zu eins überstimmt. Wir wollten dieselben Kräfte einsetzen, die wir schon gerufen hatten, um Vater zu beseitigen – doch diesmal zur Bloßstellung Erics. Wenn sich die Verteidigung Ambers, die er so zuversichtlich auf seine Fahnen geschrieben hatte, als zuviel für ihn erwies und Bleys anschließend auf der Bühne erschien und das Problem mühelos aus der Welt schaffte, dann konnte Bleys auch noch auf die Unterstützung des Volkes rechnen, sobald er hinterher die Rolle des Verteidigers übernahm und sich – nach angemessener Zeit – dazu überreden ließ, die Bürde der Krone zu tragen, zum Wohle Ambers.«
»Eine Frage«, unterbrach ich ihn. »Was ist mit Benedict? Ich wußte, daß er sich unzufrieden nach Avalon zurückgezogen hatte, doch wenn Amber wirklich in Gefahr geriet . . .!«
»Ja«, sagte er und nickte. »Aus diesem Grund zielte ein Teil unseres Plans darauf ab, Benedict mit eigenen Problemen zu konfrontieren, die ihn in Atem halten würden.«
Ich dachte an die Heimsuchung Avalons durch die Höllenmädchen. Ich dachte an seinen Armstumpf. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Brand hob die Hand.
»Laß mich die Geschichte auf meine Art zu Ende erzählen, Corwin. Natürlich kann ich mir deine Gedankengänge vorstellen. Ich spürte den Schmerz in deinen Eingeweiden, den Zwilling meiner eigenen Wunde. Ja, ich weiß von diesen Dingen und vieles mehr.« In seinen Augen stand ein seltsames Brennen, als er eine neue Zigarette in die Hand nahm und an der alten anzündete. Er zog tief und blies im Sprechen den Rauch aus. »Wegen dieser Entscheidung überwarf ich mich mit den anderen. Ich sah darin eine zu große Gefahr – sogar für Amber selbst. Ich überwarf mich mit ihnen . . .« Er beobachtete einige Sekunden lang den Rauch, ehe er weitersprach. »Aber unsere Unternehmungen waren viel zu weit fortgeschritten, als daß ich mich einfach zurückziehen konnte. Um mich und Amber zu verteidigen, mußte ich mich gegen sie stellen. Es war zu spät, auf Erics Seite umzuwechseln. Er hätte mir keinen Schutz gewährt, selbst wenn er es noch gekonnt hatte – außerdem war ich davon überzeugt, daß er unterliegen würde. Etwa zu dieser Zeit beschloß ich, gewisse neue Fähigkeiten einzusetzen, die ich mir zugelegt hatte. Ich hatte mich oft über die seltsame Verbindung zwischen Eric und Flora gewundert, auf jener seltsamen Schatten-Erde, von der sie behauptete, daß es ihr dort gefiele. Ich hatte den leisen Verdacht, daß an diesem Ort etwas sei, das ihn betraf, und daß sie vielleicht dort seine Agentin sei. Zwar kam ich nicht dicht genug an ihn heran, um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, doch ich war zuversichtlich, daß es nicht allzu viele direkte oder indirekte Nachforschungen kosten würde, um zu erfahren, was Flora im Schilde führte. Und damit behielt ich recht. Dann beschleunigten sich plötzlich die Ereignisse. Meine eigene Gruppe machte sich Sorgen über meinen Verbleib. Als ich dich aufgriff und im Schockverfahren einige deiner Erinnerungen zurückholte, erfuhr Eric von Flora, daß etwas nicht stimmte. Daraufhin suchten nun plötzlich beide Seiten nach mir. Ich war zu dem Schluß gekommen, daß deine Rückkehr die Pläne aller Beteiligten über den Haufen werfen und mich lange genug aus meiner Klemme befreien würde, um eine Alternative zur derzeitigen Entwicklung zu finden. Erics Thronanspruch wäre wieder geschwächt worden, du hättest sofort eigene Anhänger gefunden, meine Gruppe hätte das Motiv für ihre ganze Aktion verloren – und ich nahm an, du würdest dich für meinen Anteil an der Entwicklung nicht undankbar zeigen. Aber dann flohst du aus dem Porter-Sanatorium, und nun wurde es wirklich kompliziert. Wie ich später erfuhr, suchten alle nach dir – aus unterschiedlichen Gründen. Meine ehemaligen Verbündeten hatten allerdings ein besonderes As im Ärmel. Sie erfuhren, was im Gange war, machten dich ausfindig und waren als erste am Ziel. Für sie gab es eine ganz einfache Methode, den Status Quo zu erhalten, bei dem sie weiterhin im Vorteil waren. Bleys gab die Schüsse ab, die dich und deinen Wagen in den See stürzen ließen. Ich traf gerade in diesem Moment ein. Bleys zog sich sofort zurück, denn es sah so aus, als hätte er ganze Arbeit geleistet. Doch ich zog dich aus dem Wasser, und es war noch genug Leben in dir, daß sich das Zusammenflicken lohnte. Im Rückblick muß ich sagen, daß es ziemlich frustrierend war, nicht zu wissen, ob meine Behandlung tatsächlich wirksam war – ob du als Corwin oder als Corey erwachen würdest. Und auch hinterher beschäftigte mich diese Frage . . . Ich machte mich mit einem Höllenritt davon, als Hilfe eintraf. Einige Zeit später erwischten mich meine Verbündeten und steckten mich an den Ort, an dem du mich gefunden hast. Kennst du den Rest der Geschichte?«