»Nicht alles.«
»Dann unterbrich mich, sobald wir auf dem laufenden sind. Diesen Teil habe ich selbst erst später erfahren. Erics Mannen erfuhren von dem Unfall, brachten deinen Aufenthaltsort in Erfahrung und schafften dich in eine Privatklinik, wo du besser geschützt werden konntest. Um sich selbst zu schützen, ließen sie dich dort unter Betäubungsmittel setzen.«
»Warum sollte Eric mich beschützen, wo doch meine Gegenwart seine Pläne zunichte machte?«
»Inzwischen wußten sieben von uns, daß du noch am Leben warst. Das waren zu viele. Es war zu spät für das, was er am liebsten getan hätte. Noch immer lebte er mit Vaters Verdacht. Wenn dir etwas passiert wäre, während du in seiner Macht warst, hätte ihm das den Weg zum Thron endgültig versperrt. Wenn Benedict jemals davon erfuhr oder Gérard . . . Nein, er hätte es nicht geschafft. Hinterher, ja. Vorher, nein. So schrieb ihm das allgemeine Wissen um dein Überleben seine Handlungsweise vor. Er setzte seine Krönung an und beschloß, dich im Hintergrund zu halten, bis er auf dem Thron saß. Eine ausgesprochen voreilige Tat, doch ich wüßte nicht, wie er anders hätte handeln können. Was danach passiert ist, weißt du vermutlich, da du ja unmittelbar beteiligt warst.«
»Ich habe mich mit Bleys zusammengetan, als der gegen Amber vorrückte. Leider kein allzu glückliches Zusammenspiel.«
Er zuckte die Achseln.
»Oh, es hätte etwas daraus werden können – wenn ihr gesiegt hättet und wenn du Bleys irgendwie in Schach hättest halten können. Doch im Grunde hattest du keine Chance. Meine Kenntnis von den Motiven der beiden ist an diesem Punkt etwas ungenau, doch ich nehme an, daß der ganze Angriff im Grunde nur eine Finte war.«
»Wieso das?«
»Wie ich eben sagte – ich weiß es nicht. Immerhin hatten die beiden Eric dort, wo sie ihn haben wollten. Eigentlich hätte der Angriff überflüssig sein müssen.«
Ich schüttelte den Kopf. Zu viele Dinge drangen zu schnell auf mich ein . . . Ein Großteil der Tatsachen hörte sich glaubhaft an, auch wenn man die Einstellung des Erzählers berücksichtigte. Trotzdem . . .
»Ich weiß nicht . . .«, begann ich.
»Natürlich«, sagte er. »Aber wenn du mich fragst, sage ich´s dir.«
»Wer war das dritte Mitglied eurer Gruppe?«
»Natürlich dieselbe Person, die mir den Dolchstoß versetzt hat. Mächtest du raten?«
»Sag´s mir einfach.«
»Fiona. Die ganze Sache war ihre Idee.«
»Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?«
»Weil du nicht lange genug stillgesessen hättest, um dir auch die anderen Dinge anzuhören, die ich sagen mußte. Du wärst losgeeilt, um sie einzusperren, du hättest festgestellt, daß sie fort ist, du hättest die anderen geweckt, eine Ermittlung in Gang gebracht und damit wertvolle Zeit verschwendet. Vielleicht tust du das alles auch jetzt noch, doch wenigstens konnte ich dich ausreichend fesseln, um dich zu überzeugen, daß ich weiß, wovon ich rede. Wenn ich dir nun sage, daß die Zeit von größter Bedeutung ist, daß du dir so schnell wie möglich auch das übrige anhören mußt, das ich zu sagen habe, wenn Amber überhaupt noch eine Chance haben soll – dann hörst du mir jetzt vielleicht zu, anstatt einer verrückten Frau nachzujagen.«
Ich hatte mich bereits halb aus meinem Stuhl erhoben.
»Ich soll sie nicht verfolgen?« fragte ich.
»Zur Hölle mit ihr – wenigstens für den Augenblick. Du hast schlimmere Probleme. Du solltest dich lieber wieder setzen.«
Und das tat ich.
10
Ein Bündel Mondlicht . . . gespenstischer Fackelschein . . . Sterne . . . einige schwache Nebelstreifen . . .
Ich stützte mich auf das Geländer und blickte über die Welt . . . Von hier aus gesehen umfing absolute Stille die Nacht, die traumerfüllte Stadt, das ganze Universum. Ferne Dinge – das Meer. Amber, Arden, Garnath, der Leuchtturm von Cabra, das Einhornwäldchen, mein Grabmal auf dem Kolvir . . . Stumm, tief unter mir, doch klar erkennbar . . . Das Panorama für einen Gott, würde ich sagen, oder für eine Seele, die sich losgelöst hat und in höhere Sphären entschwebt . . . Mitten in der Nacht . . .
Ich war an den Ort gekommen, da die Gespenster Gespenster spielen, da die Omen, Vorzeichen, Symbole und Form gewordenen Sehnsüchte durch die nächtlichen Straßen und Säle des Amber-Palasts im Himmel Tir-na Nog´th wallen . . .
Ich wandte mich um, den Rücken zum Geländer, die Überreste der Tagwelt unter mir, und betrachtete die Straßen und dunklen Terrassen, die Häuser der hohen Herren, die Wohnungen der Niederen . . . Das Mondlicht ist stark in Tir-na Nog´th und legt sich silbrig auf das Äußere aller eingebildeten Dinge . . . Mit dem Stock in der Hand trat ich vor, und die seltsamen Wesen bewegten sich ringsum, erschienen in Fenstern, auf Balkonen, an Stränden, in Torbögen . . . Ungesehen ging ich vorbei, denn, wahrlich, wie immer ihre Substanz aussehen mochte – an diesem Ort war ich für sie das Gespenst . . .
Stille und Silber . . . Nur das Tappen meines Stocks, und das zumeist gedämpft . . . Weitere Nebelschwaden auf dem wallenden Wege zum Kern der Dinge . . . Der Palast ein weißes Freudenfeuer des Nebels . . . Tau, wie Quecksilbertropfen auf den angerauhten Blütenblättern und Stengeln in den Gärten zu beiden Seiten der Wege . . . Der vorüberziehende Mond so schmerzhaft für das Auge wie die Mittagssonne, die Sterne davon überstrahlt, verdunkelt . . . Silber und Stille . . . Der Schein . . .
Ich hatte eigentlich nicht kommen wollen, denn die Omen – wenn sie das wahrhaft sind – stellen sich hier täuschend dar, die Ähnlichkeiten mit den Lebenden und den Szenerien unten ist beängstigend, ihr Anblick oft beunruhigend. Trotzdem war ich gekommen . . . Ein Aspekt meines Paktes mit der Zeit . . .
Als ich Brand verlassen hatte, damit er in der Obhut Gérards weiter gesunde, war mir klar geworden, daß ich selbst auch Ruhe brauchte. Dazu mußte ich ein geeignetes Plätzchen finden, ohne meine Schwäche zu verraten. Fiona war tatsächlich geflohen, und weder sie noch Julian waren über die Trümpfe zu erreichen. Hätte ich Brands Geschichte an Benedict und Gérard weitererzählt, hätten sie bestimmt darauf gedrungen, ihr nachzuspüren, vielleicht sogar beiden. Ich war sicher, daß dieser Versuch vergeblich gewesen wäre.
Schließlich hatte ich Random und Ganelon holen lassen, mich in meine Gemächer zurückgezogen und zugleich verbreiten lassen, ich gedenke den Tag allein zu verbringen, um mich auf eine Nacht in Tir-na Nog´th vorzubereiten – ein glaubhaftes Verhalten für einen Amberianer, der ein schwieriges Problem zu lösen hat. Ich war nicht so recht überzeugt von der Praxis – im Gegensatz zu den meisten anderen. Da es jedoch der ideale Augenblick war, einen solchen Schritt zu tun, konnte ich hiermit meinen Ruhetag glaubhaft begründen. Natürlich verpflichtete mich das dazu, am Abend tatsächlich loszuziehen. Aber auch das war gut – auf diese Weise gewann ich einen Tag, eine Nacht und einen Teil des folgenden Tages, um mich wieder einigermaßen zu erholen. Ich war der Ansicht, daß ich die Zeit gut nützte.
Doch man muß sich jemandem anvertrauen. Ich schenkte Random und auch Ganelon reinen Wein ein. In meinem Bett sitzend, erzählte ich ihnen von den Plänen Brands, Fionas und Bleys´ und von dem Eric-Julian-Caine-Trio. Ich berichtete, was Brand über meine Rückehr und seine Gefangennahme durch die ehemaligen Mitverschwörer gesagt hatte. Sie erkannten, warum die Überlebenden beider Parteien – Fiona und Julian – geflohen waren; zweifellos um ihre Streitkräfte zu rufen, die sie möglicherweise im Kampf gegeneinander aufreiben würden – was aber nur eine Hoffnung war; vermutlich würde es anders kommen. Aber das war kein unmittelbares Problem. Wahrscheinlich würde der eine oder der andere zunächst den Versuch machen, Amber zu erobern.