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Ich weiß, wohin ich gehen muß, was ich tun muß. Völlig klar ist mir das, obwohl die Logik, die mich nun erfüllt, nicht die eines wachen Geistes ist.

Eilig hinauf zum rückwärtigen Portal . . . Das Stechen in der Seite nistet sich wieder ein. Steigen, über die Schwelle, hinein . . .

In Dunkelheit, weder Sternenschein noch Mondlicht. Die Beleuchtung ist ohne Richtung, scheint ziellos dahinzutreiben und sich beliebig zu sammeln. Wo sie kein Ziel findet, sind die Schatten absolut und lassen große Teile des Raums, des Saals und der Treppe unheimlich erscheinen.

Dazwischen hindurch, nun fast laufend. Schwarzweißbild meines Zuhauses . . . Angst überfällt mich . . . Die schwarzen Flecke wirken nun wie Löcher in diesem Stück Realität . . . Ich fürchte, ihnen zu nahe zu kommen. Hineinzufallen und verloren zu sein . . .

Umdrehen . . . Überqueren . . . Schließlich . . . Eintreten . . . Der Thronsaal. Bündel von Schwärze aufgestapelt, wo meine Augen gern Linien abtasten möchten, um zum eigentlichen Thron zu gelangen . . .

Dort allerdings gibt es eine Bewegung.

Eine Verschiebung zu meiner Rechten, während ich voranschreite, ein Verschieben und Anheben.

Stiefel kommen in Sicht, als ich mich vorwärtsdrängend der Basis des Gebildes nähere.

Grayswandir gleitet mir in die Hand, findet seinen Weg an eine erleuchtete Stelle, wiederholt sein augentäuschendes, formveränderndes Strecken, gewinnt einen eigenständigen Schimmer . . .

Ich stelle den linken Fuß auf die Stufe, stütze die linke Hand aufs Knie. Störend, doch erträglich: das Pulsieren meiner heilenden Wunde. Ich warte auf die Schwärze, ich warte, daß er zur Seite gezogen wird, der passende Vorhang für die Theaterrolle, die ich heute abend habe übernehmen müssen.

Und er gleitet zur Seite, enthüllt eine Hand, einen Arm, eine Schulter, der Arm ein funkelnd-metallisches Ding, die Oberflächen wie die Facetten eines Juwels, Handgelenk und Ellbogen herrliche Gebilde aus Silberdrähten, zusammengeschweißt mit Feuerpunkten, die Hand, stilisiert, skelettartig, ein Spielzeug von schweizerischer Präzision, ein mechanisches Insekt, funktionell, tödlich, auf seine Weise schön zu nennen . . .

Und gleitet zur Seite, gibt den Blick frei auf den Rest des Mannes . . .

Benedict steht lässig neben dem Thron, seine linke und menschliche Hand leicht darauf gestützt. Er beugte sich zum Thron. Seine Lippen bewegten sich.

Und der Vorhang gleitet weiter, enthüllt die Person auf dem Thron.

»Dara!«

Nach rechts gewendet, lächelt sie, nickt Benedict zu; ihre Lippen bewegen sich. Ich trete vor und strecke Grayswandir aus, bis seine Spitze in der Höhlung unter ihren Brüsten ruht . . .

Langsam, ganz langsam, wendet sie den Kopf und begegnet meinem Blick. Sie gewinnt Farbe und Leben. Ihre Lippen bewegen sich wieder, und diesmal erreichen ihre Worte meine Ohren.

»Was seid Ihr?«

»Nein, das ist meine Frage! Ihr müßt sie beantworten. Auf der Stelle!«

»Ich bin Dara. Dara von Amber. Königin Dara. Mein Anspruch auf diesen Thron begründet sich auf Blutsbande und Eroberung. Wer seid Ihr?«

»Corwin. Ebenfalls ein Abkömmling Ambers. Bewegt Euch nicht! Ich habe nicht gefragt, wer Ihr seid . . .«

»Corwin ist schon viele Jahrhunderte tot. Ich habe sein Grab gesehen.«

»Leer.«

»O nein. Sein Leichnam liegt darin.«

»Nennt mir Eure Abkunft!«

Ihre Augen bewegen sich nach rechts, wo noch immer der Schatten Benedicts verharrt. Eine Klinge ist in seiner neuen Hand erschienen, eine Klinge, die fast wie eine Verlängerung des Armes aussieht, doch er hält sie entspannt, gelassen. Seine linke Hand liegt nun auf Daras Arm. Seine Augen suchen mich hinter Grayswandirs Griff. Als sie nichts finden, richten sie sich von neuem auf das, was sichtbar ist – Grayswandir – und erkennen das Muster.

»Ich bin die Urenkelin Benedicts und der Höllenmaid Lintra, die er liebte und später tötete.« Benedict zuckt bei diesen Worten zusammen, doch sie fährt fort: »Ich habe sie nicht kennengelernt. Meine Mutter und Großmutter wurden an einem Ort geboren, da die Zeit nicht so vergeht wie in Amber. Ich bin der erste Abkömmling der Familie meiner Mutter, der äußerlich voll dem Menschen ähnelt. Und Ihr, Lord Corwin, seid nur ein Gespenst aus einer längst beendeten Vergangenheit, allerdings ein gefährlicher Schatten. Wie Ihr hierherkommt, weiß ich nicht. Aber es war jedenfalls ein Fehler, zu kommen. Kehrt in Euer Grab zurück. Stört die Lebenden nicht.«

Meine Hand zittert. Grayswandir weicht einen halben Zoll vom Ziel ab. Doch das genügt.

Benedicts Stich liegt unter meiner Wahrnehmungsschwelle. Sein neuer Arm treibt die neue Hand, die die Klinge hält, die Grayswandir trifft, während sein alter Arm zugleich seine alte Hand zieht, die Dara ergriffen hat und über die Seitenlehne des Throns zerrt . . .

Dieser unterschwellige Eindruck erreicht mich Sekundenbruchteile später, woraufhin ich zurückweiche, durch die Luft haue, mich erhole und in die en garde-Position gehe . . . Es ist lächerlich, daß sich zwei Gespenster bekämpfen. Dennoch ist der Kampf hier ungleich. Er kann mich nicht einmal erreichen, wohingegen Grayswandir . . .

Aber nein! Seine Klinge wechselt die Hände, als er Dara losläßt und sich umdreht und beide zusammenbringt, die alte und die neue Hand. Sein linkes Handgelenk dreht sich, während er es vorwärts und hinabzieht, und sich in eine Stellung begibt, die corps à corps gewesen wäre, hätten wir uns in unseren sterblichen Hüllen gegenübergestanden. Einen Augenblick lang stehen wir verschränkt da. Dieser Augenblick genügt . . .

Die schimmernde mechanische Hand stößt vor, ein Ding aus Mondlicht und Feuer, Schwärze und Glätte, ganz Schneide, keine Kurven, die Finger leicht gekrümmt, die Handfläche silbrig bekritzelt mit einem halb-vertrauten Muster – diese Hand stößt vor, stößt vor und umfaßt meinen Hals . . .

Das Ziel verfehlend, packen die Finger meine Schulter, und der Daumen geht auf die Suche – ob nach der Halsschlagader oder dem Zungenbein, weiß ich nicht. Ich probiere einen Hieb mit der Linken in Richtung Gürtellinie, doch dort ist nichts.

Randoms Stimme: »Corwin! Gleich geht die Sonne auf. Du mußt jetzt herabkommen!«

Ich kann nicht einmal antworten. Eine Sekunde oder zwei – und die Hand reißt fort, was immer sie umklammert hält. Diese Hand . . . Grayswandir und diese Hand, die dem Schwert seltsam ähnelt, sind die einzigen Dinge, die in meiner Welt und in der Stadt der Gespenster auf einer gemeinsamen Ebene zu existieren scheinen . . .

»Ich sehe die Sonne, Corwin! Löse dich und versuch mich zu erreichen! Der Trumpf . . .«

Ich ziehe Grayswandir aus der Umklammerung, wirble es in einem weitausholendem Hieb herum und herab . . .

Nur ein Gespenst hätte Benedict oder Benedicts Gespenst mit diesem Manöver überraschen können. Wir stehen uns zu nahe, als daß er meine Klinge abblocken kann, doch sein Gegenhieb, perfekt angesetzt, hätte mir den Arm abgeschlagen, wäre da überhaupt ein Arm gewesen.

Da es diesen Arm nicht gibt, vollende ich den Schlag, bringe die Klinge mit der vollen Kraft des rechten Arms ins Ziel, ziemlich weit oben auf dem tödlichen Gebilde aus Mondlicht und Feuer, Schwärze und Glätte, nahe der Stelle, da es mit ihm verbunden ist.

Mit einem unangenehmen Zupfen an meiner Schulter löst sich der Arm von Benedict und erstarrt . . . Wir stürzen beide.

»Steh auf! Beim Einhorn, Corwin, steh auf! Die Sonne ist da! Die Stadt wird rings um dich in Stücke gehen!«

Der Boden unter mir gewinnt eine vage Durchsichtigkeit, pulsiert zurück in den alten Zustand. Ich mache eine lichtbeschuppte Wasserfläche aus. Ich lasse mich auf die Füße rollen, weiche nur knapp dem Ansturm des Gespenstes aus, das den verlorenen Arm zurückerobern will. Das Gebilde hängt wie ein toter Parasit an mir, und meine Wunde tut wieder weh . . .