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»Wie spät ist es?«, fragte Robbins.

Das Mädchen drückte einen Knopf. Rote Zahlen leuchte­ten an ihrem Handgelenk auf. »10:32.«

»Wir geben ihm bis 10:40.«

»Und was dann?«, wollte das Mädchen wissen.

»Dann verduften wir schleunigst.«

»Du vielleicht.«

»Wir geben ihm acht Minuten.« Robbins' Stimme ertönte als leises, ruhiges Flüstern. »Wenn er bis dahin nicht auf­kreuzt, dann wahrscheinlich gar nicht mehr, basta. Entweder hat er sich verirrt oder die Knills haben ihn erwischt. So oder so, wenn wir hier warten, bis die Krulls unsere Kno­chen abnagen, ist deinem Vater damit auch nicht geholfen.«

»Ich gehe jedenfalls nicht.«

»Das liegt ganz bei dir.«

»Vielleicht kommt er ja rechtzeitig«, meinte der Junge.

Dann verstummten alle. Und warteten.

Neala blickte zwischen die Bäume. Abgesehen von eini­gen wenigen Streifen Mondlicht präsentierte sich der Wald so finster wie ein geschlossener Schrank. Der Vater war irgendwo da draußen. Allerdings rechnete sie nicht damit, dass er auftauchen würde. Wenn jemand käme, dann nicht er.

Sie rieb sich die Arme, drehte sich um und starrte in die Dunkelheit.

Wenn jemand käme ...

Neala stellte sich dicht an einen Baum und lehnte sich an den Stamm. Die Rinde fühlte sich durch den Stoff ihrer Bluse rau an. Irgendwie gut.

So kann sich wenigstens niemand von hinten an mich anschleichen.

»10:35«, flüsterte das Mädchen.

Erst drei Minuten waren verstrichen.

Neala stöhnte und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Nippel hatten sich aufgerichtet und schmerzten, als hätte sie eine Erkältung. Sie bedeckte sie mit den Händen, und der wohlige Druck linderte die Spannung.

Zu ihrer Rechten knackte ein Zweig.

Neala schaute in die Richtung. Sie sah nur Bäume, Gebüsch und Dunkelheit. Nichts rührte sich. Keine weiteren Geräusche folgten.

Trotzdem ließ sie den Blick auf diesen finsteren Bereich gerichtet. Sie wagte kaum zu atmen.

Weil jemand sie beobachtete.

Neala konnte es spüren. Sie konnte denjenigen beinahe sehen, aber nicht ganz.

Irgendjemand.

Irgendjemand, der nicht der Vater des Mädchens war. 

KAPITEL 10

Nachdem sich Lander von den anderen gelöst hatte, war er umgekehrt. Er hatte zuvor aufmerksam auf Orientierungs­punkte geachtet und hoffte, den Weg zurück zur Leiche dieses Mädchens zu finden.

Bald erreichte er eine umgestürzte Espe, an die er sich erinnerte. Die Wurzeln lagen frei, als wäre der Baum wie Unkraut aus dem Boden gerupft worden. Lander ging an dem hoch aufragenden Wurzelgewirr und der Grube vorbei, die in der Erde zurückgeblieben war. Ein Stück weiter sollte sich der Baum befinden, wo ihnen das Mädchen aufgelauert und sie angegriffen hatte und letztlich gestorben war.

Er eilte durch ein Dickicht und fand den Baum.

Das Mädchen war verschwunden.

Eine Zeit lang wanderte er durch die Dunkelheit. Viel­leicht hatte er sich ein wenig verschätzt. Schließlich glich ein Baum so ziemlich dem anderen. Er schritt den Bereich

kreuzweise ab, dann kehrte er zu der entwurzelten Espe zurück und versuchte es erneut. Letztlich gab er auf. Ent­weder hatte er sich völlig verirrt oder die Leiche des Mädchens war fortgeschafft worden.

War sie überhaupt tot gewesen?

Aber es musste so sein. Die Kugel hatte sie genau zwi­schen die Brüste getroffen.

Lander sank an der Stelle auf die Knie, wo sie gelegen haben musste, und tastete den Boden ab. Die abgefallenen Zweige und Blätter erwiesen sich als nass. Blut oder nur Tau? Er hielt sich die Hände dicht vors Gesicht. In der Dunkelheit konnte er nicht erkennen, ob es sich bei der Feuchtigkeit um Blut handelte. Er ballte die Hand zur Faust. Als er sie öffnete, fühlte sie sich leicht klebrig an. Er leckte sich über die Handfläche und nahm den salzigen Geschmack von Blut wahr. Die Erkenntnis ließ ihn würgen.

Lander kroch rückwärts, weg von dem nassen Fleck am Boden. Dann fiel ihm ein, warum er nach dieser Stätte des Todes gesucht hatte. Abermals begann er, den Boden abzu­tasten und das von den nahen Bäumen und Büschen abge­fallene Gezweig beiseitezuschieben. Nasse Blätter blieben an seinen Fingern kleben. Ein Dom kratzte ihm über den Handrücken. Ein Wurm wickelte sich um seinen Zeige­finger. Dann fand er es. Das Messer des Mädchens.

Es war dem Mädchen aus der Hand gefallen, als es getroffen wurde, dann war es ein Stück seitwärts geflogen und von einer Laubschicht begraben worden.

Der gekrümmte Griff passte wie angegossen in Landers Hand. Die Klinge war mindestens 15 Zentimeter lang. Lander stand auf und steckte sich das Messer unter den Gürtel.

Er wünschte, er hätte die Machete dieser alten Hexe behalten, die eine wesentlich schlagkräftigere Waffe darge­stellt hatte als das Messer.

Der Gedanke an die Machete rief ihm ins Gedächtnis, was auf der Lichtung geschehen war. Einige Sekunden lang lähmte ihn die Erinnerung an das Blutbad. Lander zwang sich, die Gedanken auf Ruth zu konzentrieren.

Er musste sie finden.

Irgendwie.

Aber wo sollte er suchen?

Er hatte keine Ahnung, also kehrte er zur Lichtung zurück. Dort hatte er sie zuletzt gesehen, deshalb schien sie ihm der geeignetste Ort zu sein, um mit der Suche zu beginnen.

Er rannte, bis ihm die Luft ausging, dann ging er lang­samer weiter. Als er wieder zu Atem gekommen war, verfiel er abermals in Laufschritt.

Schließlich erblickte er durch die Bäume vor ihm Mond­licht. Die letzten paar Meter legte er leise zurück, presste sich an den taufeuchten Stamm eines Baums und stellte fest, dass er sich tatsächlich am Rand des Feldes befand. Die Leichen waren verschwunden.

Jenseits der Reihe abgestorbener Bäume, an die er und die anderen gekettet gewesen waren, erkannte er Bewegung. Zwei Gestalten steuerten langsam auf die entfernte Seite des Felds zu.

Ruth war in der entgegengesetzten Richtung verschwun­den. Aber vielleicht hatten diese Kreaturen - diese Leute - einen gemeinsamen Sammelplatz. Es schien durchaus möglich zu sein. Sogar wahrscheinlich. Jedenfalls hielt er es für besser, ihnen zu folgen, als ziellos durch den Wald zu irren.

Wenn er die Lichtung direkt überquerte, würden sie ihn mit Sicherheit bemerken. Wenn er sie jedoch umginge, um außer Sicht zu bleiben, würde er sie vielleicht aus den Augen verlieren.

Er musste eine Möglichkeit finden, sich zu tarnen, unsichtbar zu werden ...

»>Der entwendete Brief<«, murmelte er.

Sein Herz raste. Guter alter Poe.

In Sekundenschnelle zog sich Lander bis auf die Boxershorts aus. Dann zögerte er, wollte sie nicht ablegen. Aber er hatte keine andere Wahl. Nicht, wenn er wie einer seiner Feinde aussehen, sich als einer der ihren ausgeben wollte, um unsichtbar zu werden. Rasch streifte er sie ab.

Er ließ seine Kleider zurück, behielt nur das Messer und trat hinaus auf offenes Gelände. Die Gestalten jenseits des Feldes entfernten sich immer noch. Er rannte auf die abge­storbenen Bäume zu und beobachtete das Paar. Es schmerzte, nackt zu laufen. Am liebsten hätte er sich die Genitalien gehalten, um zu verhindern, dass sie gegen seine Beine klatschten, doch das hätte verdächtig ausgesehen.

Du musst dich ihnen anpassen, warnte er sich. Sieh so aus wie sie, benimm dich so wie sie. Die halten ihre Eier auch nicht, wenn sie rennen.

Lander änderte die Gangart in ein linkisches, breitbeiniges Hüpfen. Nach kurzem Experimentieren fand er in einen angenehmeren Rhythmus. Sein Penis schwang zwar immer noch wild hin und her, aber seine Hoden wurden nicht mehr so sehr in Mitleidenschaft gezogen.