Выбрать главу

»Das tun sie noch immer«, sagte Neala und blickte auf ihre nackten, blutigen Füße hinab.

»Beide Seiten profitieren davon. Solange die Krulls 8 bis 10 Opfer pro Monat bekommen, lassen sie uns zufrieden.«

»Hat nie jemand versucht, sie aufzuhalten?«

»Es gab schon ein paar Versuche, aber nicht viele. Einmal brach ein Bursche namens MacQuiddy mit einer Gruppe von Männern aus dem Ort dazu auf. Sie nannten sich die Glorreichen 14. Das war damals in den 1930ern. Zu der Zeit hatte sich herumgesprochen, dass es klug wäre, Barlow zu meiden. Es kamen kaum noch Reisende durch und unsere Leute konnten keine Opfer mehr in den Wald bringen. Also schlichen sich die Krulls eines Nachts in den Ort. Sie schnapp­ten sich ein Dutzend Frauen und Kinder. Die Glorreichen 14 zogen los, um sie zu retten, und kamen nie zurück.«

Neala beobachtete, wie sein Blick über das Meer der Köpfe wanderte. »Niemand kommt je zurück«, fügte er hinzu.

»Werden wir es denn schaffen?«

»Wir werden es jedenfalls versuchen.« Johnny schlang einen Arm um ihre Schultern und sie lehnte den Kopf an ihn.

Es fühlte sich gut an, mit Johnny zusammen zu sein.

Besser als mit irgendeinem anderen Mann seit Derek. Das war vor fast zwei Jahren gewesen. Die Trennung hatte sie in ein tiefes Loch gerissen. Sechs Monate lang hatte sie wie eine Einsiedlerin gelebt, Derek gehasst, alle Männer gehasst und doch ständig an die Zeit gedacht, die sie miteinander verbracht hatten, und davon geträumt, dass er zurück­kommen würde. Fast so, als hätte sie masochistische Freude an dem Schmerz gehabt, der mit solchen Gedanken einher­gegangen war.

Als sie die Einsamkeit letztlich aus dem Haus trieb, traf sie sich nur mit verzweifelten Männern. Sie wollten nachts Nealas Körper spüren, weil sie dieselbe Einsamkeit plagte. Viele versuchten, sich cool zu geben. Sie redeten großspurig daher, fuhren Porsches und verstellten sich. Andere zeigten ihre Empfindlichkeit wie eine offene Wunde - Jammer­lappen, die um Aufmerksamkeit bettelten. Nur selten traf sie auf normale Kerle, die Selbstvertrauen ausstrahlten und die sie vielleicht gern näher kennengelernt hätte.

Neala vermutete, dass die meisten davon bereits verheira­tet und damit beschäftigt waren, Kinder großzuziehen.

Und nun war da Johnny Robbins. Als normal konnte man ihn nicht bezeichnen - nicht, nachdem er in einer Ortschaft wie Barlow aufgewachsen und derart schreckliche Dinge getan hatte. Aber er war stark und selbstsicher. Er konnte liebenswürdig sein. Und er redete unverblümt.

Johnny unterschied sich so sehr von diesen anderen Männern - er vermittelte Unerschütterlichkeit. Jemand, auf den man sich verlassen konnte.

Jemand, den sie vielleicht lieben könnte.

Tränen traten ihr in die Augen. Sie schniefte und Johnny sah sie an.

»Tut mir leid«, sagte sie.

»Muss es nicht.«

»Es ist nur alles so entsetzlich.«

»Ich weiß.« Seine Hand streichelte ihr Haar und ihr nasses Gesicht.

»Wir werden nie Gelegenheit bekommen, einander kennen­zulernen, Johnny. Ich meine, Zeit miteinander zu verbringen, etwas miteinander zu unternehmen.«

»Doch, werden wir«, widersprach er.

Sie schüttelte den Kopf. Ein Schluchzen erschütterte ihren Körper.

»Werden wir. Verlass dich drauf.«

Sein Gesicht bewegte sich dicht zu ihrem. Er sah ihr in die Augen, lächelte warmherzig und drückte den Mund auf den ihren. Ihr Kuss hielt lange an. Neala wünschte, er würde nie enden. 

KAPITEL 17

Cordie lag eingerollt auf dem Boden am Fuß des Baums, zitterte und wagte nicht, sich zu bewegen. Sie hatte schon lange so ausgeharrt.

Es mussten Stunden vergangen sein, seit das schauerliche Gebrüll der Kreatur durch den Wald gehallt war und sie gesehen hatte, wie die dunkle Gestalt zwischen den Bäumen hindurchgestapft war. Stunden, seit sie Bens flehentliche, verängstigte Stimme gehört hatte. Gott, er musste einen grauenhaften Tod gestorben sein.

Das Ding war danach in ihre Richtung gekommen und an ihr vorbeigegangen.

Aber es konnte immer noch in der Nähe lauern.

Dennoch konnte sie nicht mehr lange auf dem Boden bleiben. Sie musste dringend Wasser lassen und wollte sich nicht benässen.

Schließlich rollte sie sich auf den Bauch und hob den

Kopf. Ihr Blick wanderte suchend durch den Wald. Der Luft haftete ein bläulich-grauer Schimmer an, und sie konnte weit zwischen die Bäume ringsum sehen.

Voll plötzlicher Angst wurde ihr klar, dass die schützende Dunkelheit der Nacht verschwunden war.

Sie rappelte sich auf die Knie. Ihr linker Arm, taub, weil sie so lange mit dem Körper darauf gelegen hatte, hing nutz­los an ihrer Seite. Nur langsam kehrte wieder Gefühl in ihn zurück. Er begann, zu kribbeln und zu brennen. Cordie schüttelte ihn. Sie beugte die Finger. Als sich ihr Arm wieder brauchbar anfühlte, stand sie auf.

Langsam drehte sie sich um und betrachtete den Wald. Sie schien allein zu sein.

Rasch zog sie die Hose runter. Sie kauerte sich hin und erleichterte sich. Das Plätschern, als der Strahl auf dem Laubboden auftraf, hörte sich entsetzlich laut an. Während ihr Blick weiter auf den Wald geheftet blieb, wünschte sie, das Geräusch möge verstummen, doch sie war nicht bereit, sich das Pinkeln zu verkneifen; zu gut fühlte es sich an, das schmerzliche Ziehen loszuwerden. Endlich wurde sie fertig. Sie stand auf und zog die Hose hoch.

Eine Weile starrte sie in die Richtung, in die Ben geflüchtet war. Sie wollte seine Leiche nicht sehen. Andererseits konnte sie auch nicht einfach gehen. Nicht, ohne sich ver­gewissert zu haben, dass er tot war. Sie musste sich davon überzeugen, musste ihn sehen.

Langsam ging sie los und versuchte, sich vollkommen geräuschlos zu bewegen. Trotz ihrer Vorsicht verursachte jeder Schritt ein leises Knirschen auf dem Waldboden. Nicht viel, trotzdem genug, dass es andere hören konnten. Zu viel. Sie machte längere Schritte. Zwar wurde sie dadurch lauter, doch sie würde nicht so oft auftreten müssen, bis sie ihr Ziel erreichte.

Ein Ziel, das sie gar nicht erreichen wollte. Eigentlich wollte sie sich nur verstecken.

Aber sie musste es herausfinden.

Cordie ging weiter. Sie wusste genau, wo sie suchen musste. Die ganze Nacht lang hatte sie im Geist gesehen, wie Ben zwischen die Bäume lief, hatte ihn rennen gehört, hatte seine Stimme vernommen. Er war nicht weit gekom­men. Nicht weiter, als es zu Hause von der Eingangstür zur Küche war.

Als sie seine Beine erblickte, hielt sie inne. Er lag auf dem Rücken, ein Bein gerade ausgestreckt, das andere am Knie seitwärts in eine Lage verbogen, die schmerzhaft aussah. Der Rest von Ben befand sich hinter einem Baum verbor­gen.

Seine Hose strotzte vor Blut.

»Ben?«, fragte sie. Das Wort drang leise wie ein Atemzug über ihre Lippen.

Trotzdem viel zu laut.

Cordie trat einen Schritt vor und erblickte mehr: den Schritt seiner Hose, den blutigen Vorderteil seines Hemds. Sie rückte weiter vor. Der Baum gab noch mehr preis: seine Brust, seinen ausgestreckten rechten Arm. Noch ein Schritt, dann könnte sie sein Gesicht sehen.

Gott, das wollte sie nicht.

Nicht in diesem Zustand.

Verzerrt, erfüllt von Bens Angst im Augenblick seines Todes.

Es hätte auch keinen Zweck. Er war offensichtlich tot. Cordie brauchte sein Gesicht nicht zu sehen, um das zu wissen.

Gott, es anzuschauen ...

Das Gesicht, das sie erst vergangene Nacht so ausgiebig und innig geküsst hatte.

Cordie begann zu weinen.