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Wenngleich Cordie die Augen offen hatte, war sie zu be­nommen, um sich zu wehren. Sie beobachtete das Mädchen auf ihr, das sie angrinste und sich vorbeugte, sodass die ver­dorrte Hand über ihrem Gesicht baumelte. Die Hand senkte sich weiter. Die welken Finger strichen über Cordies Stirn.

Die Berührung der klauengleichen Hand ließ sie wim­mern. Sie spürte, wie die Fingernägel über ihre Wange kratzten. Kigit benutzte ihre heile Hand, um die abgetrennte zu Cordies Mund zu fuhren. Die Finger hakten sich in die Spalte zwischen ihren Lippen. Cordie presste sie fest zusammen. Die Finger drückten, bohrten sich zwischen ihre Lippen, rissen sie auf. Sie schmeckte Blut und spürte die Nägel an ihren Zähnen.

Lilly kniete neben ihr, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass die anderen zu ihnen aufgeschlossen hatten. Sie stan­den in einem engen Kreis um sie und beobachteten das Geschehen schweigend.

Plötzlich holte Kigit mit der toten Hand aus und zielte damit auf Cordies rechtes Auge. Cordie riss den Kopf zur Seite. Die Finger schabten seitlich über ihr Gesicht. Ver­zweifelt wand sie sich, und es gelang ihr, einen Arm unter dem Knie des Mädchens hervorzuziehen. Sie packte eine Brust ihrer Gegnerin und quetschte sie. Kigit schrie auf und fiel zur Seite, als Cordie an ihrem Busen zerrte. Cordie ließ nicht los. Sie kletterte auf das sich windende Mädchen, dessen Hand auf ihren Arm schlug und versuchte, die ge­folterte Brust zu befreien. Cordie drehte sich herum und stemmte einen Ellbogen gegen Kigits Kehle, legte ihr gesamtes Gewicht dahinter. Ein Knirschen ertönte, und ihr Ellbogen sank tiefer. Das Mädchen bäumte sich auf, die Augen quollen hervor, der Mund öffnete sich, der Arm fuch­telte wild. Cordie wehrte ihn mühelos ab. Sie kroch von dem zuckenden Körper und rappelte sich auf die Knie.

Alle sahen zu, wie Kigit starb.

Dann ergriff der Junge das Wort, der Cordie als Erster vergewaltigt hatte.

Sie wandte sich Lilly zu, hoffte auf eine Erklärung.

»Er sagt, du bist in Ordnung, aber du musst Kigit auflesen und mitnehmen.«

Cordie kroch zu der Leiche. Sie riss den Riemen vom Hals und hielt ihn hoch. Die abgetrennte Hand baumelte daran, und Cordie schleuderte sie ins Gebüsch.

Das pummelige Mädchen rannte dahinter her und kam mit der Hand aus den Büschen hervor. Sie schnupperte daran, dann ließ sie ihren Knochen fallen und befestigte die Hand so an ihrem Messergurt, dass sie zwischen ihren Beinen hing. Als sie begann, sich mit den gekrümmten Fingern zu berühren, drehte sich Cordie den Jungen zu.

»Mach schon«, forderte Lilly sie auf.

Cordie ergriff den Arm des toten Mädchens und hievte die Leiche in eine sitzende Position. Der Gestank von Fäkalien stieg ihr in die Nase. Sie hielt den Atem an und schob sich hinter Kigits Rücken. Ihre Arme fassten unter den Achsel­höhlen hindurch um die Brust. Unter dem Busen verhakte sie die Finger ineinander und begann zu heben. Der Leich­nam fühlte sich bleischwer an.

»Soll ich dir helfen?«, fragte Lilly.

Cordie nickte.

»Dann bekomme ich den Kopf.«

»Was?«

»Du hast sie getötet, deshalb darfst du dir als Erste einen Teil aussuchen. Du nimmst den Kopf. Das macht jeder, weil das Hirn das beste Stück ist. Du entscheidest dich für den Kopf und gibst ihn mir.«

»In Ordnung«, murmelte Cordie.

»Abgemacht?«

»Ja.«

»Gut. Versuch nicht, sie hochzuheben. Das ist zu schwer. Wir nehmen beide je ein Bein und ziehen sie einfach.«

Cordie nickte. Sie stand auf und wischte sich die zer­zausten Haare aus dem Gesicht. Dabei berührten ihre Finger eine Wange. Sie sah sie an. An den Kuppen glänzte Blut. Ihr Gesicht fühlte sich taub und geschwollen an, aber ihr war nicht bewusst gewesen, dass es auch blutete. Als sie an sich hinabschaute, stellte sie fest, dass ein Großteil ihres Körpers mit Kratzern, Blutergüssen und Blut übersät war.

»Wie ich aussehe«, murmelte sie. »Großer Gott, wie ich aussehe!«

»Dann schau mal, wie sie aussieht«, sagte Lilly und nickte in Richtung der Leiche. »Komm.« Sie ergriff Kigits rechten Fuß.

Die Jungen gingen los und entfernten sich. Das pumme­lige Mädchen folgte ihnen. Ihre orangenhäutigen Pobacken wackelten beim Gehen.

Cordie packte den linken Fuß. Lilly und sie stemmten sich vorwärts, und die Leiche setzte sich in Bewegung. Sie marschierten los und schleiften Kigit hinter sich her.

Die Jungen liefen zu dem Dickicht voraus und hoben einige Leichenteile auf.

Cordie senkte den Blick, wollte die Arme und Beine nicht sehen, die sie trugen.

Gott, wie konnte das alles sein?

Haben sie dasselbe mit Mom und Dad gemacht?

Vielleicht lebt Mom ja noch. Vielleicht wurde sie ver­gewaltigt und durfte sich ihnen anschließen, so wie ich, und wir können zusammen fliehen. Aber zuerst müssten wir Dad finden. Falls er noch lebt.

Falls er noch lebt. Aber wie könnte er?

Möglich ist es, dachte sie.

Alles ist möglich. Hier ergibt nichts einen Sinn, also ist alles möglich, sogar, dass Dad mit der Nationalgarde anmarschiert und all diese Scheißkerle abschlachtet. Die Leiche verhedderte sich an etwas. Ohne hinzusehen, zerrte Cordie kräftig daran. Kigits Körper löste sich von dem Hindernis. »Wie weit ist es zum Dorf?«, fragte sie Lilly. »Ein Stück.« 

KAPITEL 22

Lander Dills kauerte auf einem Baum, wo er die letzten Stunden unruhig geschlafen hatte. Er öffnete die Augen. Tageslicht hatte den Wald geflutet.

Vorsichtig rückte er vom Stamm weg, hielt sich an einem höheren Ast fest und urinierte in die Luft. Sein Strahl glitzerte im Sonnenlicht silbrig.

Der Anblick brachte ihn zum Lachen, doch dann musste er an Ruth denken und das Gelächter erstarb in seiner Kehle.

Keine Ruth.

Verloren.

O verloren und vom Winde betrauert.

Wolfe. Thomas Wolfe.

Nach Hause kannst du nicht zurück. Du hast kein Zuhause mehr. Keine Ruth, keine Cordelia.

Nur noch ich bin übrig.

In mir ist ein Wolf.

Er löste das Beil aus dem Ast, in den er es geschlagen hatte, und ließ es zu Boden fallen. Dann kletterte er vom Baum und achtete darauf, sich nicht an der rauen Rinde aufzuschürfen.

Unten angekommen, streckte er sich. Sein Körper schmerzte, als hätte sich jeder Muskel in Stein verwandelt. Blaue Flecken übersäten seine Arme und Beine. Dutzende Kratzer bedeckten seine Haut. Überall stieß er auf kleine Erhebungen, wahrscheinlich Insektenstiche. Sein gesamter Körper juckte. Behutsam kratzte er einen Mückenstich seitlich an seinem Penis.

Er brauchte ein Bad. Im Bach.

Nach wenigen Minuten flotten Marsches erreichte er das Wasser. Er legte sein Beil beiseite und stieg hinein. Das kühle Nass fühlte sich gut auf seiner gereizten Haut an. Das Jucken hörte auf. In der Mitte des Bachs richtete er sich auf. Er schälte sich aus der Weste, drehte sie herum und betrach­tete sie im morgendlichen Sonnenlicht.

Die Haut war dunkel und glatt, die Tätowierung ver­blüffend.

»Verblüffend«, sagte Lander.

Die nackte Frau der Tätowierung stand mit weit ge­spreizten Beinen da. Ihr rotes Schamhaar wies die Form eines Valentinsherzens auf. Die üppigen Brüste besaßen rote Nippel. Ihre aus dem Mund ragende Zunge war gespalten wie die einer Schlange, und auf ihrem Kopf wanden sich Nattern.

Medusa!

Auf jeder Handfläche hielt sie einen dunklen Nippel des Mannes, der sie auf der Brust getragen hatte.

Und es nun nicht mehr tat.

Nun, auf der Brust hatte er sie streng genommen noch immer.

»Allerdings habe ich jetzt die Weste«, murmelte Lander. Er zog sie an. Die klamme Berührung auf dem Rücken ließ ihn schaudern.

Plötzlich hörte er eine Stimme. Entfernt zwar, trotzdem zu nah für seinen Geschmack. Aus der Richtung seines Baums. Reglos stand er da und lauschte. Das Gurgeln des Bachs war laut, überlagerte alles bis auf besonders auffällige Geräusche. Gut, dass jemand gesprochen hatte.