Es waren so viele! Die Reihen schienen kein Ende zu nehmen.
Trotzdem bewegte sie sich weiter, robbte, schleppte sich voran.
Bis ein leises Geräusch sie jäh innehalten ließ.
Das Knacken eines brechenden Stocks.
Sie ließ sich auf die Seite fallen und schaute zurück.
Er!
Er rammte ein Kreuz in den Boden, ganz in der Nähe der Stelle, an der sie das Gelände vor so langer Zeit betreten hatte.
Wie lange war er schon da?
Während sie hinsah, hob er einen Kopf empor und ließ ihn herabsausen. Ein feuchtes Geräusch ertönte. Dann riss er die Zweige von einem weiteren Pflock. Er befestigte einen Querbalken daran und rammte das Kreuz in den Boden. Auf die Spitze stieß er einen zweiten Kopf.
Anschließend betrat er das Meer der Kreuze.
Anmutig schlängelte er sich dazwischen hindurch, bewegte sich geräuschlos, berührte kein einziges Kreuz.
Cordie beobachtete ihn, wagte nicht, sich zu rühren.
Wie konnte er so schnell laufen, ohne gegen die Kreuze zu stoßen?
Er ist der Teufel!
Plötzlich drehte er sich in Cordies Richtung.
Er hatte sie gesehen!
Sie vernahm ein leises Wimmern, das sich ihrer Kehle entrang. Warme Flüssigkeit ergoss sich über ihren Oberschenkel.
Dann wandte er sich ab.
Sie stöhnte vor Erleichterung und beobachtete, wie er die letzten Köpfe hinter sich ließ.
Der Boden schien unter ihr zu erbeben, als er »Krull!« brüllte und die Tür der Hütte auftrat.
KAPITEL 35
Noch lange, nachdem die Kreatur verschwunden war, klammerte sich Lander an dem hohen Ast fest. Er wagte nicht, sich zu bewegen. Was, wenn das Ding zurückkäme?
Oh, es würde ihn in Stücke reißen!
Seine Beine wie morsche Zweige brechen.
Seinen Penis fressen.
Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio ... Oder in der Hölle. Die Dämonen hervorspie, auf dass sie durch die Nacht wandelten.
Lander schaute zu den im Mondlicht liegenden Leichen hinab.
Vielleicht waren sie als Köder zurückgelassen worden, die ihn hinunterlocken sollten. Käse für die Maus.
Du kleine Maus, du graue Maus ...
Köder für die Maus.
Fischlein und Würmer. Dass die Tragödie »Mensch« benannt... und der Eroberer »Wurm« ihr Held.
Wurm ...
Vogelfutter. Fischköder.
Während er hinabschaute, hob die kopflose Frau einen Arm und zeigte auf ihn. Eine Gänsehaut breitete sich über seinen Körper aus.
Nein, nein, nein!
Das habe ich nicht gesehen. Unmöglich. Nein, nein, nein! Eine Sinnestäuschung.
Er rieb sich die Augen und sah erneut hin.
Immer noch deutete sie auf ihn. Sie setzte sich auf.
»Du bist tot«, flüsterte er.
Oh, ich träume.
Träume träumend, wie kein sterblich Hirn sie träumte je vorher.
Das kann sie nicht tun!
»Leg dich hin!«, brüllte er.
O Gott, er wird mich hören. Er wird kommen, und sie wird auf mich zeigen. Er wird mich vom Baum schütteln, meinen Schwanz fressen, meine Beine wie morsche Zweige brechen und mit meinem Kopf davonlaufen!
»Verdammt sollst du sein!«, spie er hervor.
Er kletterte vom Baum und stürzte auf sie zu. Sie legte sich hin, spielte die Unschuldige.
»Schurkische Dirne!«
Er rammte ihr das Messer in den Bauch. Immer und immer wieder. Während er zustach, fielen ihm ihre Brüste auf. Obwohl das Mondlicht getrübt war, sah er, dass sie merkwürdig schrumpelige Falten und Erhebungen aufwiesen.
Er begutachtete sie eingehender.
Über die Brüste spannten sich bleiche Hautfetzen, mit
Riemen an ihrem Körper befestigt. Er schnitt das Kleidungsstück los, hob es ins Mondlicht und stöhnte. Die Fetzen waren menschliche Gesichter. Kleine Gesichter, von kleinen Köpfen abgezogen. Die Gesichter von Kindern.
Er warf sie zu Boden und starrte sie an. Dann hörte er hinter sich leise Schritte. In die Falle getappt!
Mit einem Aufschrei des Grauens schaute er zurück. Die Büsche teilten sich und eine Frau kam daraus hervor. Eine große Frau.
Eine mit einem Gewehr bewaffnete Amazone. Sie zielte auf ihn. »Nicht schießen!«
Sie zögerte. »Was ...«, setzte sie an. »Du ... wer bist du?« »Einer, dessen Name in Sand geschrieben wurde.« »He, ich kenne dich!« Sie senkte das Gewehr. »Du bist...«
Lander lachte auf und schwang das Messer.
KAPITEL 36
Neala zuckte zusammen, als die Tür krachend aufflog. Sie presste das Gesicht in das Rehfell unter ihr und wünschte, sie könnte darin versinken.
Schwere Schritte erschütterten den Boden.
Nein!
Sie biss die Zähne zusammen, bemühte sich, nicht zu schreien.
»KRULL!«
Ihr Körper erbebte, erschüttert von der Wucht seines Gebrülls.
Er ist der Teufel! Cordelia hatte recht!
O Gott, wir hätten flüchten sollen!
Jeden Moment würde er die Felle wegreißen, die sie bedeckten.
Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen ...
Robbins beobachtete in seinem Versteck hinter einem herabhängenden Rehfell, wie die riesige, dunkle Gestalt auf die gegenüberliegende Ecke zustapfte.
Sein Schwert klapperte gegen die Wand.
Die Kreatur wirbelte herum. Und verharrte reglos. Robbins hielt den Atem an. Er starrte das Ding an und erzitterte.
Das breite, ledrige Gesicht wirkte im Kerzenschein rötlich. Ein Auge fehlte. Die Höhle glich einem dunklen Loch, als wäre das Lid abgerissen worden. Das verbliebene Auge schien Robbins verächtlich anzufunkeln.
Dann blickte es auf den Fellstapel in der Nähe von Robbins' Füßen hinab. Robbins schaute hin. Er sah Nealas Haar. Einige Zentimeter davon ragten unter einem der Felle hervor, glänzten im goldenen Licht.
Die Kreatur sprang vor. Ihre riesige Hand packte Nealas Haar und riss daran.
Der Kopf kam zum Vorschein.
Das Ding duckte sich tief, als das Auge ihn betrachtete.
Robbins kämpfte sich hinter dem Fell hervor. Mit beiden Händen schwang er den Säbel. Die Klinge traf ihr Ziel und hackte den ausgestreckten Arm ab, der zu Boden fiel, Nealas Haar noch in der Hand.
Robbins zielte auf den Hals der Kreatur. Der verbliebene Arm schlug ihm das Schwert aus den Fingern und schleuderte Robbins gegen die Wand. Er prallte heftig dagegen und sackte in sich zusammen.
Neala, die sich in der gegenüberliegenden Ecke versteckte, hörte den Kampf. Sie schüttelte die Felle ab und erblickte das Ding, das mit dem Rücken zu ihr über Johnny aufragte. Mit einem Arm fasste es zu ihm hinab und packte ihn an der Kehle.
Leise rannte Neala durch den Raum. Sie sprang auf den
breiten Rücken, grub eine Hand in das wilde Haar und schlitzte mit dem Messer über die Kehle der Kreatur.
Blut spritzte auf Johnny.
Die Kreatur wirbelte brüllend herum und warf sich rücklings gegen eine Wand. Neala schrie auf. Sie verlor das Messer und rutschte vom Rücken des Dings.
Es streckte sich nach ihr, versuchte, ihre Haare zu ergreifen, verlor jedoch den Halt. Stattdessen packte es sie vorne an der Bluse und hob sie vom Boden hoch.
Blut ergoss sich aus der aufgeschlitzten Kehle auf sie. Der Mund öffnete sich weit. Neala schloss die Augen und spürte seitlich an ihrem Gesicht Zähne, die fest zupackten.
Plötzlich taumelte die Kreatur. Ihre Zähne lockerten sich nicht, aber die Hand ließ ihre Bluse los, und sie fiel zu Boden. Beim Aufprall schnitten ihr die Zähne in die Wangen.
»Alles in Ordnung.«
Johnnys Stimme.
Die Kiefer öffneten sich, und der Druck des Schädels hob sich von ihr. Johnny hockte über ihr und hielt den gewaltigen Kopf in beiden Händen. Er warf ihn beiseite.