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Wolfgang Hohlbein

In den Ruinen von Paris

Science Fiction Roman

Bechtermünz Verlag

CHARITY

von Wolfgang Hohlbein im Bechtermünz Verlagsprogramm:

Charity 01 - Die beste Frau der Space Force

Charity 02 - Dunkel ist die Zukunft

Charity 03 - Die Königin der Rebellen.

Charity 04 - In den Ruinen von Paris

Charity 05 - Die schlafende Armee

Charity 06 - Hölle aus Feuer und Eis

Charity 07 - Die schwarze Festung

Charity 08 - Der Spinnenkrieg

Charity 09 - Das Sterneninferno

Charity 10 - Die dunkle Seite des Mondes

Charity 11 - Überfall auf Skytown

Charity 12 - Der dritte Mond

Charity Band 4: In den Ruinen von Paris

Nur durch einen Sprung in den Materietransmitter konnte Charity, die beste Frau der Space Force, ihren Verfolgern entkommen. Wider Erwarten landen sie und ihr Gefährte Skudder nicht Lichtjahre entfernt auf einem fremden Stern, sondern in den Ruinen von Paris. Die einstmals schönste Stadt der Welt gleicht einem riesigen Heerlager, in dem die Megakrieger der Außerirdischen ausgebildet werden. Zwischen den Ruinen proben sie die gnadenlose Jagd auf Menschen. Doch ausgerechnet hier, unter den gefährlichsten Kriegern des Universums, will Charity einen Aufstand gegen die Besatzer anzetteln.

Lizenzausgabe mit Genehmigung der

Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co. für

Weltbild Verlag GmbH, Augsburg 1998

© 1990 by Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach

Umschlaggestaltung: Adolf Bachmann, Reischach

Umschlagmotiv: Gutierrez/Luserke, Stuttgart

Gesamtherstellung: Presse-Druck Augsburg

Printed in Germany

ISBN 3-8289-0021-6

1

Auf den ersten Blick erschien die Welt dort draußen vollkommen fremdartig. Der Himmel war von einer dunklen, türkisgrünen Farbe, auf dem eine Sonne wie ein faustgroßer, giftiggrüner Fleck mit verschwommenen Rändern prangte, die sich in beständiger Bewegung zu befinden schienen. Die Luft war sonderbar klar, so daß man meilenweit sehen konnte. Unter ihnen erstreckte sich eine bizarre Alptraumlandschaft aus zerstörten Gebäuden, zusammengestürzten Straßenzügen und gewaltigen Kratern, die sich im Laufe zweier Generationen mit Wasser und Pflanzen von sonderbar schmieriger, grünvioletter Farbe gefüllt hatten.

Es war eine der größten und schönsten Städte der Erde gewesen. Doch daran erinnerte nun nichts mehr. So weit Charity sehen konnte, erblickte sie nicht ein einziges unzerstörtes Haus, nicht ein einziges Fenster, das nicht zerborsten, nicht ein einziges Dach, das nicht eingestürzt war.

Und wahrscheinlich, dachte sie matt, waren die schlimmsten Spuren der Zerstörung gar nicht mehr zu sehen.

Die Stadt war die Beute eines Pflanzenmonsters geworden, das die Häuser und Straßen im Verlauf der letzten fünf Jahrzehnte geduldig, aber unaufhaltsam verschlungen hatte, wie ein lebendiges Leichentuch, das die Invasoren von den Sternen über die Stadt ausgebreitet hatten.

Wo der Fluß gewesen war, zerschnitt ein breiter, schlammig brauner Graben dieses Leichentuch. Auf seinem Grund schimmerte es weiß und rostrot: die Wracks der Ausflugsschiffe und Lastkähne, die einst darauf gefahren waren. Aber er führte kein Wasser mehr, sah man von einem trüben Rinnsal ab, das in seiner Mitte mäanderte.

Einige der Brücken waren noch vorhanden: zerborstene, zum Teil wie geschmolzen aussehende Stahlkonstruktionen, die sich in kühnem Bogen über etwas schwangen, das gar nicht mehr da war. Und wie um die Sinnlosigkeit aller menschlichen Anstrengungen deutlich zu machen, waren auch sie frei von der grünen Pest. Das ausgetrocknete Flußbett war wie eine Barriere, hinter der die fremdartige Flora nicht hatte Fuß fassen können.

Das Erschreckendste aber war der Turm; eine gigantische, schwarze Stahlkonstruktion, deren durchbrochene Flanken sich in sanften Bögen aufeinander zubewegten und sich hoch über der zerstörten Stadt zu einer nadeldünnen Spitze vereinten. Er war so weit entfernt, daß Charity ihn als Schatten wahrnehmen konnte. Und das unheimliche, grünviolette Licht ließ die Konstruktion unwirklich und fast schwerelos erscheinen. Aber sie erkannte den Turm trotzdem.

Niemand, der diese Konstruktion auch nur einmal im Leben zu Gesicht bekommen hatte, vergaß sie je wieder.

Der Anblick erfüllte sie für einen Moment mit Zorn. Seit sie aus dem Schlaftank gestiegen und an die Oberfläche dieser geschändeten Erde zurückgekehrt war, hatte sie so viel Zerstörung, so viel Tod und Leid gesehen, daß sie manchmal schon glaubte, es gäbe nichts mehr, was sie noch erschüttern konnte. Aber das stimmte nicht.

Das Entsetzen kannte keine Grenzen.

Sie hatte Städte gesehen, die dem Erdboden gleichgemacht worden waren. Ganze Landstriche, die verödet waren, fruchtbare Täler und Felder, auf denen nie wieder etwas wachsen würde, Orte, deren Bewohner bis auf das letzte Kind getötet worden waren - und doch erfüllte sie der Anblick dieser von wucherndem Pflanzenleben überrannten Stadt mit einer tieferen Verbitterung, als sie sie je zuvor empfunden hatte.

Die Legionen Morons hatten ihre Welt überfallen und unterworfen, und irgendwie hatte Charity sich damit abgefunden, so entsetzlich der Gedanke auch war. Aber sie mußte plötzlich wieder an das denken, was ihr Niles in der unterirdischen Festung erzählt hatte: daß es ganze Landstriche, ja vielleicht Kontinente gab, auf denen sie begonnen hatten, sich die Erde nicht nur Untertan zu machen, sondern sie nach ihren Wünschen und Vorstellungen umzugestalten. Sie hatte damals gar nicht wirklich begriffen, was er gemeint hatte, als er sagte, sie begännen die Erde zu verändern.

Jetzt verstand sie es, weil sie es sah.

Vielleicht hatten sie dieses Leichentuch nicht nur über diese Stadt ausgebreitet, sondern über den ganzen Planeten, und vielleicht war die Welt, in der sie erwacht war, die Welt der Wastelanders und Rebellen bereits die Ausnahme; Mottenlöcher in dem neuen Gewand, in das die Invasoren die Erde hüllten. Und sie nichts weiter als die Motten, die sie hineingefressen hatten.

Und die man mit einer nachlässigen Bewegung davon schnippen würde, sobald sie begannen, zu viel Schaden anzurichten ...

Sie verscheuchte den Gedanken und konzentrierte sich wieder auf das bizarre Bild, das sich ihr auf der anderen Seite der Tür bot.

Das hier war es, was sie aus der Erde machen würden.

Kein Planet mehr, auf dem Menschen leben konnten oder auch nur geduldet waren, sondern eine völlig andere Welt voller fremdartiger Tiere und Pflanzen, voller fremder Gerüche, voller falscher Laute und unter einem falschen Himmel. Großer Gott - was hatten sie mit der Sonne gemacht?

Tränen liefen über ihre Wangen, aber sie merkte es erst, als sie ihre Lippen berührten und sie den salzigen Geschmack spürte.

Hastig wischte sie sie fort und drehte sich mit einem Ruck um.

Skudder stand noch immer wie gelähmt da, obwohl Minuten vergangen waren, seit Charity und die anderen durch seinen Schrei aufgeschreckt aufgesprungen und zu ihm geeilt waren. Er hatte sich in dieser Zeit nicht ein einziges Mal gerührt; ja, Charity war fast sicher, daß er nicht einmal geatmet hatte; er stand reglos da, die rechte Hand erhoben und mit weit aufgerissenen, ungläubigen Augen auf die bizarre, fremdartige Landschaft draußen starrend. Der Ausdruck auf seinem Gesicht verriet sein Entsetzen. Auch Net starrte erstaunt auf die beinahe surrealistische Landschaft, wenngleich ihr Blick eine eher kindliche Neugier spiegelte. Einzig Gurks Gesicht blieb unbewegt wie immer, sah Charity von dem leicht abfälligen Schwung ab, zu dem sich seine greisen Lippen verzogen hatten, als versuche er auf diese Weise, der ganzen Welt seine Verachtung auszudrücken.