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»Die Regel«, murmelte Kyle. »Die erste und einzige Regel. Kein Megamann darf je wieder nach Shai zurückkehren.«

»Unsinn!« antwortete Charity. »Ich will Ihnen sagen, warum Sie wirklich den Tod suchen, Kyle. Sie haben begriffen, daß Sie Ihr Leben lang auf der falschen Seite gestanden haben. Sie gehören nicht zu diesen Bestien. Ich weiß nicht, was sie mit Ihnen getan haben, und ich will es auch gar nicht wissen. Aber eines weiß ich jetzt ziemlich genau: Sie sind weder ein Roboter noch irgendein geklöntes Monster. Sie sind ein Mensch, genau wie wir.«

»Das ... das stimmt nicht«, antwortete Kyle. Aber seine Stimme zitterte, und in seinem Blick flackerte etwas, das Charity an den Ausdruck in den Augen eines Wahnsinnigen erinnerte. Für einen winzigen Moment hatte sie wieder Angst vor ihm. »Das ... das ist nicht wahr! Ich ...«

»Sie sind ein Mensch«, beharrte Charity. »Sie sind ein Mensch und Sie werden es auch immer bleiben. Ganz gleich was sie mit Ihnen gemacht haben, und ganz gleich, wie sehr Sie sich auch dagegen sträuben. Daniel hat das erkannt. Deshalb hat er auch versucht, Sie umzubringen.«

»Nein!« stöhnte Kyle. »Das ist nicht wahr!«

»Natürlich ist es wahr«, sagte Charity, »und Sie wissen es auch ganz genau, Kyle.« Sie machte eine zornige Geste in die gleiche Richtung, in die der Megamann gedeutet hatte. »Ihre erste und einzige Regel, nie wieder zu diesem Ort zurückzukehren - soll ich Ihnen sagen, warum es sie gibt? Weil das hier kein fremder Planet ist! Das hier ist die Erde. Der Planet, auf dem Sie geboren wurden und ich und Skudder und Net und all die anderen. Und vermutlich auch Ihre Brüder, Kyle. Sie stammen nicht von irgendeinem fremden Planeten. Ich weiß nicht, was sie mit Ihnen und den anderen machen, damit Sie so werden, wie Sie sind. Sie ändern Ihren Metabolismus, und vermutlich haben sie auch Ihren Geist manipuliert. Sie haben Ihnen jede Erinnerung an Ihre Vergangenheit genommen, nicht wahr?«

Kyle starrte sie hilflos an, und Charity nickte grimmig. »Sie wissen nicht, wer Sie wirklich sind, Kyle«, sagte sie. »Sie erinnern sich an nichts, was vor dem Zeitpunkt lag, an dem Sie diese Basis erreichten. Man hat Ihnen gesagt, daß Sie ausgewählt wurden, um auf einem fremden Planeten eingesetzt zu werden. Sie haben Ihnen jede Erinnerung an Ihr wirkliches Ich genommen, und das mußten sie auch - sonst hätten Sie irgend eines Tages begriffen, daß Sie gegen Ihr eigenes Volk kämpfen, Kyle!«

»Und wenn es so wäre!« mischte sich Gurk aufgebracht ein. »Was ändert das? Er wird uns verraten! Er kann gar nicht anders, selbst wenn er wollte!«

»Das stimmt nicht.« Charity schüttelte den Kopf. »Das wird er nicht tun. Jetzt nicht mehr.« Ihre Stimme wurde leiser und gewann gleichzeitig an Eindringlichkeit. »Sie haben die Welt gesehen, auf der wir leben, Kyle. Sie haben das Volk kennengelernt, zu dem Sie gehören. Bleiben Sie bei uns! Helfen Sie uns, und wir helfen Ihnen! Gemeinsam können wir die Feinde besiegen! Wir können so viel von Ihnen lernen - und Sie von uns.«

Kyle stöhnte. Er wollte etwas sagen, brachte aber nur einen wimmernden Laut heraus. Hilflos hob er die Hände, schlug sie vor das Gesicht und stand sekundenlang zitternd da.

Und dann fuhr er so schnell herum, daß weder Charity noch einer der anderen etwas tun konnte, um sich ihm in den Weg zu stellen, und verschwand mit gewaltigen, weit ausgreifenden Schritten im Dschungel.

Charity blickte ihm enttäuscht und traurig nach und winkte ab, als Skudder seine Waffe hob und dazu ansetzte, den Megamann zu verfolgen. »Laß ihn«, sagte sie. »Du würdest ihn sowieso nicht einholen.«

»Du hast recht«, sagte Skudder, nachdem er mit einem Achselzucken seine Waffe wieder eingesteckt hatte. »Und wenn ich ehrlich sein soll - ich bin froh, daß er weg ist.«

Charity schwieg. Zu ihrer Überraschung sagte auch Gurk nichts, sondern bedachte nur abwechselnd sie und den Hopi mit zornigen Blicken. Im Grunde hätte auch sie froh sein sollen, daß Kyle nicht mehr bei ihnen war, denn selbst wenn er ihnen freundlich gesonnen war, so bedeutete allein seine bloße Anwesenheit Gefahr. Doch sie verspürte nur eine Mischung aus Verbitterung und Zorn. Sie war wütend auf sich selbst, daß es ihr nicht gelungen war, Kyle zum Bleiben zu überreden. Und sie spürte nichts als Verbitterung, als sie an die Wesen dachte, die ihre Welt zu dem gemacht hatten, was sie war; eine Welt, in der es Männer wie Kyle gab, und Städte, in denen jeder Schritt zum Verhängnis werden konnte. Es hatte ihnen nicht gereicht, die Erde zu zerstören. Nein - die Invasoren hatten sie völlig verändern müssen.

Nach einer Weile drehte sie sich mit einer müden Bewegung wieder herum und deutete in die Richtung, die Kyle ihnen gewiesen hatte. »Kommt«, sagte sie matt. »Versuchen wir, die Freie Zone zu erreichen.«

*

Was Jean in den letzten zehn Minuten beobachtet hatte, hatte ihn mehr verstört als alles in den achtzehn Jahren seines Lebens zuvor. Was er gesehen hatte, das war ... einfach wahnsinnig! Nicht nur, daß der Jäger die junge Frau an der Spitze der Gruppe vor den Spinnen gewarnt und ihr damit das Leben gerettet hatte. Die anderen - allen voran die junge Frau mit dem hellen Haar - hatten daraufhin eine Weile mit ihm diskutiert und ihn schließlich gehen lassen! Es war ihr sicheres Todesurteil. Der Jäger würde keine Stunde brauchen, um zum Turm zurückzukehren und zu berichten, was geschehen war. Und keine fünf Minuten später würde es hier von Gleitern und Ameisen nur so wimmeln. Was um alles in der Welt ging hier vor? Wer waren diese Fremden, und was wollten sie hier?

Jean fand keine Antwort auf die Fragen, aber er begriff, daß er sich am besten weiterhin versteckt hielt. Er wußte nicht, auf welcher Seite diese Fremden wirklich standen. Vielleicht war es ganz anders, dachte er. Vielleicht sahen sie nur aus wie Menschen. Vielleicht waren sie nicht Opfer, sondern die Herren der Jäger!

Der Gedanke erfüllte Jean mit Zorn und Angst. Er hatte immer vermutet, daß es außer den Ameisen und den Jägern noch eine dritte, befehlende Macht in der verbotenen Stadt unter dem Turm geben mußte. Und warum sollten sie nicht aussehen wie ganz normale Menschen? Auch ein Jäger war auf den ersten Blick nicht von einem x-beliebigen Bewohner der Freien Zone zu unterscheiden. Wenn es schon diesen Geschöpfen möglich war, ihr Aussehen fast nach Belieben zu verändern, über welche unvorstellbaren Kräfte mußten dann ihre Herren verfügen?

Sein Herz begann vor Aufregung wild zu schlagen, als er beobachtete, wie die Fremden nach einer Weile weitergingen, wobei sie einen respektvollen Bogen um den Busch mit den Spinnennestern schlugen. Wenn sie die Richtung beibehielten, dann kamen sie geradewegs zum Fluß - und damit zur Freien Zone.

Jean wartete gebannt, bis der riesige Mann mit der roten Haut, der den Abschluß der kleinen Gruppe bildete, im Unterholz verschwunden war. Dann erhob auch er sich hinter seiner Deckung und folgte ihnen; nicht auf direktem Weg, sondern ein gutes Stück weiter westlich, dafür aber schneller als sie, so daß er sie überholen und sich vor sie setzen konnte.

Er war so aufgeregt, daß er Fehler machte. Einmal stolperte er beinahe in ein kleineres Spinnennest, und nur einen Moment darauf trat er auf die Fallgrube einer Fangschrecke. Es war pures Glück, daß er nicht nur in die knietiefe Fallgrube, sondern auch gleich auf den gepanzerten Rücken der Schrecke trat und sie zerquetschte.

Jean befreite sich mit einem Fluch aus der heimtückischen Fallgrube, säuberte seinen Stiefel angeekelt an einem Grasbüschel und rief sich in Gedanken zur Ordnung. Er mußte besser auf sich aufpassen. Es war jetzt wichtiger denn je, daß er unversehrt zum Fluß und seinem Pibike gelangte, um die Bewohner der Freien Zone vor der Gefahr zu warnen.