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Im ersten Moment begriff Charity nicht einmal, wovon er überhaupt sprach. »Sie meinen, die Ameisen im Fluß ...«

»Es waren Junge«, sagte Barler nickend. »Ihre Brut. Der einzige Grund, aus dem Sie überhaupt noch am Leben sind.«

Charity hängte den Feldstecher an ihren Gürtel zurück. »Erklären Sie mir das, Barler«, verlangte sie.

»Gern.« Der Franzose deutete auf die Tür hinter sich. »Aber lassen Sie uns wieder nach unten gehen. Es gibt noch eine Menge, was ich Ihnen zeigen möchte.«

Sie schritten zurück ins Gebäude und betraten einen Aufzug, den Barler eigens für sie in Betrieb gesetzt hatte. Mit einem lauten Quietschen fuhr die altertümliche Kabine in die Tiefe. »Natürlich ist nichts von dem, was wir wissen, wirklich bewiesen. Wir haben uns das meiste im Laufe der Jahre selbst zusammengereimt. Aber ich glaube, daß wir der Wahrheit recht nahegekommen sind. Sie haben den Fluß gesehen. Er ist nicht nur die Grenze zwischen der Freien Zone und dem Dschungel.«

»Wo ist all das Wasser geblieben?« fragte Skudder.

»Fragen Sie Captain Laird«, entgegnete Barler. »Ich habe ihr die Mauer gezeigt. Ich habe ihr auch gezeigt, was mit fester Materie geschieht, die sie berührt.«

Skudder sah ihn mit unverhohlenem Unglauben an. »Sie meinen, es ... löst sich einfach auf?«

Barler zuckte mit den Schultern.

»Es löst sich auf, verdampft, verschwindet ... ich weiß es nicht.« Er lächelte flüchtig. »Irgendwann zeige ich es Ihnen einmal. Es ist ein grandioser Anblick: eine dreißig Meter hohe Wand aus Wasser, die einfach verschwindet. Wirklich beeindruckend.«

Im Gegensatz zu Skudder bezweifelte Charity Barlers Erklärung nicht. Schließlich hatte sie gesehen, wozu dieses unsichtbare Kraftfeld imstande war. Und sie wußte von Jean, daß es bis tief in die Erde hineinreichte; tief genug, um auch das Netz unterirdischer Kanalisationsleitungen und Pipelines zu blockieren, das die Bewohner der Freien Zone mit ihren Pibikes berühren.

»Sie bringen die Eier, die die Königin legt, in den Fluß«, fuhr Barler nach einer Weile fort. »An einer Stelle, nicht weit von der Mauer entfernt. Ich zeige sie Ihnen später, wenn es Sie interessiert. Man sieht allerdings nicht sehr viel.«

»Dann ist hier so eine Art Brutstation?« erkundigte sich Skudder.

Barler nickte. »Ja, aber ich glaube nicht, daß es der einzige Grund ist, aus dem sie die Wand rings um die Stadt herum errichtet haben.«

»Aber das ist doch ... völlig verrückt«, sagte Charity verstört. Barler sah sie fragend an, und sie fuhr erklärend fort: »Ich meine, warum sollten sie ... einen solchen Aufwand treiben?«

»Vielleicht ist es für sie kein Aufwand?« antwortete Barler lächelnd. »Ich habe viel Zeit gehabt, über diese und andere Fragen nachzudenken, und bin zu der Überzeugung gekommen, daß das, was wir hier sehen, nichts als ihre natürliche Umgebung ist.«

»Die Ruinen einer niedergebrannten Stadt?« fragte Skudder spöttisch.

Barler blieb ernst. »Der Dschungel«, antwortete er. »Sie können es nicht wissen, denn Sie sind noch nicht lange genug hier. Aber ich lebe seit vierzig Jahren in dieser Zone. Glauben Sie mir, die Veränderung ist noch längst nicht abgeschlossen. Sie haben nicht nur ein paar Pflanzen und Tiere hierher gebracht; irgend etwas geschieht mit dieser Stadt. Sie verändert sich. Sehr langsam, aber ununterbrochen.«

Skudder blickte nur verwirrt drein, aber Charity glaubte zu wissen, was Barler meinte. Was unter dieser Energiekuppel geschah, das war mehr als der künstliche Umbau eines kleinen, begrenzten Gebietes. Vielleicht gab es auch schon Tausende solcher Energiekuppeln überall auf der Welt - aber sie war plötzlich völlig sicher, daß das, was sich auf der anderen Seite des Flusses erstreckte, nicht nur eine möglichst genaue Kopie des Heimatplaneten der Invasoren war. Es war ihre Heimat. Sie begannen, die Erde zu verändern. Und sie taten dabei mehr, als nur einige heimische Pflanzen durch andere zu ersetzen, als einige Tierarten von ihrer Heimatwelt zu importieren und sie auf die fast wehrlose Fauna der Erde loszulassen.

Barlers nächste Worte bestätigten ihre Vermutung.

»Ich glaube«, sagte der Franzose, »daß das, was wir hier sehen, das natürliche Ökosystem ihres Heimatplaneten ist. Sie haben das Manna gesehen?« Skudder nickte. »Wahrscheinlich vermuten Sie jetzt, daß sie es künstlich herstellen. Aber das tun sie nicht. Jedenfalls nicht so, wie Sie vielleicht denken.«

»O ja«, sagte Skudder spöttisch. »Wahrscheinlich fällt es vom Himmel, nicht wahr? Deswegen nennen sie es auch Manna?«

Barler nickte mit großem Ernst. »So ungefähr«, antwortete er. »Mit einem Unterschied. Es fällt nicht vom Himmel, es kommt aus dem Boden.«

Charity sah ihn an.

»Vermutlich wird es vom Wald produziert«, sagte Barler. »Wir haben etwas von dem Zeug untersucht. Es besteht fast nur aus pflanzlichen Proteinen. Für einen Menschen und jedes Tier, an dem wir es ausprobiert haben, ist es völlig ungenießbar. Auch nicht giftig, aber eben nicht verwertbar. Den Ameisen scheint es jedoch hervorragend zu bekommen.«

»Sie meinen, der Wald ...«

»... scheidet es aus, ja«, sagte Barler. »Vielleicht haben sie die Pflanzen genetisch verändert. Vielleicht ist es auch ein ganz natürlicher Vorgang auf der Welt, von der sie kommen. Es ist eine Art natürlicher Nährlösung, in der die Eier heranreifen und die Jungen gedeihen, bis sie groß genug sind, den Fluß zu verlassen.«

»Das ist unglaublich!« sagte Skudder.

Barler schüttelte den Kopf. »Finden Sie? Ich finde es eigentlich nur konsequent, nach allem, was wir über sie erfahren haben.«

Der Aufzug hatte das Erdgeschoß erreicht und hielt. Charity unterdrückte ein Schaudern, während sie durch die staubigen Gänge des Louvre gingen. Als sie vor zwei Stunden hierhergekommen waren, da hatte sie an das denken müssen, was ihr Stone erzählt hatte. Was einmal der größte Kunstschatz dieses ganzen Planeten gewesen war, das war nun dem Verfall preisgegeben. Niemand schien sich um diese Kunstschätze zu kümmern.

»Sehen Sie, Monsieur Skudder«, knüpfte Barler an das unterbrochene Gespräch an, als sie ins Freie gelangten, »wir wissen nicht viel über die Invasion. Aber wir wissen eine ganze Menge über die Ameisen. Ich glaube, daß ihre Kultur sich völlig anders entwickelt hat als unsere. Und in manchen Punkten sind sie uns sicherlich überlegen. Ihre Zivilisation ist nicht auf die Weiterentwicklung irgendwelcher Technologien ausgerichtet, sie sind nur ein Sklavenvolk, vergessen Sie das nicht.«

Skudder sah ihn verwirrt an, und wieder huschte dieses flüchtige, überlegene Lächeln über Barlers Gesicht. »Man vergißt es leicht, nicht wahr?« fragte er. »Aber im Grunde sind sie nicht mehr als wir. Irgendein Volk, das irgendwann einmal unterworfen wurde und jetzt im Dienste Morons steht. Wir nennen sie Moroni, weil wir die wahren Herrscher noch nie zu Gesicht bekommen haben, aber eigentlich sind sie es nicht.«

Charity wußte, daß Barler recht hatte. Nach allem, was sie bisher erlebt hatte, war dies die einzige Erklärung. Irgendwann einmal mußten die Moroni auch den Heimatplaneten der Ameisen überrannt haben. Sie erkannten schnell, welch wertvolle Sklaven ihnen da in die Hände gefallen waren: ein Volk gigantischer, intelligenter Insekten, deren einzelne Individuen über praktisch keinen freien Willen verfügten, die aber in der Gemeinschaft einfach unbesiegbar waren. Wenn sie sich so rasch vermehrten, wie es irdische Insekten taten, dann war es schlicht und einfach unmöglich, dieses Volk aufzuhalten, wenn es einmal auf einer Welt Fuß gefaßt hatte.

»Trotzdem sollten Sie sie nicht unterschätzen«, sagte Charity.

Barler blieb stehen und sah sie an. »Wer sagt, daß ich das tue?« fragte er. »Im Gegenteil, Captain Laird. Ich glaube mittlerweile, daß ihr System unserem überlegen ist. Wozu etwa sollte man Maschinen bauen, die Nahrungsmittel produzieren, wenn man eine Pflanze dazu bringen kann, sie auszuscheiden? Ihre Technik erscheint primitiv, sie ist aber äußerst effektiv.«