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Er drehte sich wieder herum, legte die Hand auf den Türöffner und zögerte noch einmal. »Draußen vor der Tür steht eine Wache«, sagte er. »Sie wird hereinkommen, sobald ich diesen Raum verlasse. Sie sollten sich eine gute Geschichte ausdenken - oder sie eliminieren.«

Ohne Stones Antwort abzuwarten, öffnete er die Tür und trat mit einem raschen Schritt auf den Korridor hinaus. Es war leichter, als er geglaubt hatte. Die Dienerkreatur war nicht sehr aufmerksam gewesen oder hatte vielleicht sogar geschlafen, denn sie schien nichts von dem Kampf bemerkt zu haben, der sich quasi direkt hinter ihrem Rücken abgespielt hatte. Als Kyle aus der Tür trat, reagierte sie geradezu lächerlich langsam. Statt sofort die Flucht zu ergreifen und Alarm zu geben, stieß sie ein überraschtes Zischeln aus und versuchte, nach ihm zu greifen. Kyle wich ihren Händen mit einer fast spielerischen Bewegung aus, packte sie am Hals und schmetterte sie gegen die gegenüberliegende Wand. Er legte nur einen Bruchteil seiner Kraft in diese Bewegung, denn er wollte nicht mehr töten, nicht einmal dieses Geschöpf. Trotzdem war der Anprall so heftig, daß die Ameise mit einem schmerzerfüllten Kreischen zu Boden sank und einige Augenblicke benommen liegenblieb. Kyle trat zu ihr, zerriß ihren Waffengürtel und schleuderte den kleinen Laserstrahler so weit weg, wie er nur konnte. Das Funkgerät warf er mit aller Kraft gegen die Wand, wo es zerbrach.

Dann drehte er sich herum und lief geduckt den Gang hinab. Er hatte sich den Weg eingeprägt und wußte, daß sich hinter der nächsten Biegung eine der gläsernen Aufzugkabinen befand. Mit ein wenig Glück würde er sie erreichen und das Gebäude verlassen können, ehe die fünf Minuten verstrichen waren, die Stone ihm versprochen hatte.

Kyle hatte das Ende des Ganges noch nicht ganz erreicht, als hinter ihm plötzlich ein giftgrünes, grelles Licht aufflackerte. Er fuhr überrascht herum und hob seine Waffe im gleichen Augenblick, in dem Stone aus allernächster Nähe einen zweiten Schuß auf den Wächter abgab. Kyle spürte einen eisigen Schauer, als er sah, wie sich Stone über die tote Ameise beugte. Es war nicht der Anblick der toten Kreatur, der ihn frösteln ließ; Tod und Gewalt waren ein Teil seines Lebens gewesen. Es war das Gefühl, sich selbst zu sehen. Es war absurd, aber für einen Moment hatte die schlanke Gestalt in der grauen Uniform sein eigenes Gesicht. Die Gnadenlosigkeit, mit der Stone die Ameise ausgeschaltet hatte, war auch eine seiner wesentlichsten Charakterzüge. Die Berechnung, die das Leben einer denkenden, fühlenden Kreatur nur als mathematische Größe in eine Gleichung mit einbezog, gehörte zu seinem Denken.

Er riß sich fast gewaltsam von dem Anblick los und lief weiter. Vielleicht hätte er nicht fliehen dürfen, dachte er plötzlich. Er hatte sein Leben gerettet, aber er war plötzlich nicht mehr sicher, daß es den Preis auch wert gewesen war, den er dafür würde zahlen müssen.

*

Ein unsanftes Rütteln an der Schulter weckte sie. Charity öffnete müde die Augen, sah nichts als einen verwaschenen hellen Fleck über sich und drehte sich mit einem gemurmelten Fluch wieder auf die Seite.

»Verdammt, wach endlich auf!« rief Gurk.

Unwillig drehte Charity sich wieder herum, stemmte sich auf die Ellbogen hoch und blinzelte in das verknitterte Gesicht des Gnoms.

»Was ist los?« fragte sie verschlafen. »Verfolgst du mich jetzt schon in meine Träume, oder bist du gekommen, um mir wieder irgendwelche Vorträge zu halten?«

Gurk machte eine unwillige Handbewegung. »Hör mit dem Quatsch auf!« verlangte er grob. »Irgend etwas geht hier vor.«

Charity schaute den Zwerg noch einen Moment lang verständnislos an - und erwachte schlagartig. Sie hatte Gurk noch nie so erschreckt gesehen.

Mit einem Satz war sie aus dem Bett, schlüpfte in ihre Uniformhose und ein dünnes T-Shirt und wollte sich zur Tür wenden, aber Gurk winkte sie noch einmal zurück.

»Zieh den Rest auch an«, sagte er mit einer Geste auf ihre übrige Kleidung, die unordentlich über dem Stuhl neben dem Bett lag. »Du wirst die Klamotten wahrscheinlich brauchen.«

Charity gehorchte. Rasch zog sie ihre Jacke an, schlüpfte in die Stiefel und nahm schließlich auch das Lasergewehr vom Stuhl. Als sie hinter dem Zwerg in die Hotel-Suite trat, sah sie, daß sie nicht die einzige war, die er geweckt hatte. Skudder und Net saßen in voller Montur in einem Sessel, und zu ihrer Überraschung sah sie auch Helen und Jean, die leise und sehr ernst mit Skudder redeten. Als sie eintrat, unterbrachen sie ihr Gespräch, und Jean eilte ihr aufgeregt entgegen.

»Sie sind da!« rief Jean.

»Wer ist da?« fragte Charity.

»Die Jäger!« Jean machte eine nervöse Handbewegung zum Fenster. »Ein Gleiter ist vor einer Stunde gekommen. Und kurz darauf noch einer. Ich bin sicher, sie ...«

Charity unterbrach ihn mit einer energischen Geste. »Immer hübsch der Reihe nach«, sagte sie. »Was genau ist passiert? Werdet ihr angegriffen?«

Jean schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »jedenfalls noch nicht. Aber irgend etwas geht hier vor. Sie sind noch nie auf diese Seite des Flusses gekommen!«

»Weiß Ihr Vater davon?« fragte Charity, an Helen gewandt.

Das dunkelhaarige Mädchen schüttelte den Kopf. Ein sonderbarer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Sie wirkte irgendwie ... schuldbewußt, fand Charity. Aber zugleich auch sehr alarmiert. »Wir sind gleich zu Ihnen gekommen«, sagte sie. »Ich weiß, ich hätte meinen Vater verständigen müssen, aber ...«

»Ihr müßt verschwinden!« sagte Jean. »Ich bin sicher, sie suchen euch.«

»Wenn sie das wirklich täten, hätten sie uns längst gefunden«, antwortete Charity. »Was genau ist passiert?«

Jean trat nervös von einem Fuß auf den anderen, aber als er endlich antwortete, tat er es erstaunlich ruhig. »Ich war draußen«, begann er. »Ich wollte ... runter zum Tank, ein bißchen an meinem Bike herumbasteln. Da habe ich den Gleiter gesehen. Er flog ganz langsam und sehr tief. Zuerst dachte ich, er würde in der Stadt landen. Einen Moment lang war er sogar verschwunden.«

»Wo?« fragte Charity.

Jean zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht genau«, gestand er. »Aber ich glaube, es war nicht sehr weit von hier. Aber er kann nicht gelandet sein, denn kurz darauf habe ich ihn wieder gesehen. Er flog nach Norden.«

»Nach Norden?« Charity runzelte die Stirn. »Aber dort ist doch nichts. Nichts, außer ...« Sie verstummte mitten im Wort. Betroffen blickte sie Jean an. »Sind Sie sicher?« vergewisserte sie sich. »Sie sind nach Norden geflogen?«

»Ganz sicher«, antwortete Jean. »Und der zweite auch.«

»Welcher zweite?« fragte Gurk.

»Der zweite Gleiter«, sagte Jean. »Ich bin sofort zurück, um Alarm zu schlagen. Kurz bevor ich hierherkam, kam noch einer.«

»Er flog in die gleiche Richtung?« vermutete Charity.

Jean nickte.

»Ich glaube«, murmelte Charity, »dann weiß ich, wo sie hin wollten.«

»Wohin?« fragte Helen aufgeregt. »Wir müssen meinen Vater alarmieren, wenn Sie es wissen.«

Charity maß sie mit einem sonderbaren Blick. »Ich glaube nicht, daß das eine gute Idee wäre«, sagte sie. »Davon abgesehen, daß es wahrscheinlich nicht mehr nötig ist.« Charity wandte sich wieder an Jean. »Es war richtig, daß Sie gleich hierhergekommen sind«, sagte sie. »Aber jetzt brauchen wir Ihre Hilfe, Jean.«

»Jederzeit«, antwortete Jean.

»Können Sie ein Fahrzeug organisieren?« fragte Charity. »Eines, in dem wir alle Platz haben?«

Jean schwieg einen Moment lang verwirrt. »Es gibt ein paar Lastwagen«, sagte er dann. »Aber wir dürfen sie nicht benutzen.«

»Wissen Sie, wo sie sind?«