»Diese Computeranlage«, vermutete Skudder.
»Ja«, sagte Charity. »Und ich Närrin habe Ihnen auch noch die Tür aufgeschlossen. Aber ich frage mich, was sie dort unten zu finden hoffen.«
»Reicht das, was du selbst aufgezählt hast, nicht aus?« fragte Skudder. »Eure gesamten Waffen? Vorräte, Bunker, Depots ...«
Charity schüttelte den Kopf. »Nein. Das könnten sie leichter haben, Skudder. Dort unten können sie eine komplette Aufstellung finden, aber wenn sie nur auf Beute aus wären, hätten sie diese Anlage kaum fünfzig Jahre lang unangetastet gelassen.«
»Ich fürchte, ich komme nicht mehr ganz mit«, gestand Skudder.
»Ich auch nicht«, sagte Charity. »Im Ernst - ich hatte die ganze Zeit über das Gefühl, daß irgend etwas an Barlers Geschichte nicht stimmt. Wenn sie nur an den alten Waffendepots interessiert wären, hätten sie längst versucht, sich gewaltsam Zutritt zum Bunker zu verschaffen; auch auf die Gefahr hin, ihn zu zerstören.« Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Nein - dort unten muß etwas sein, das ungeheuer wertvoll für sie ist.«
»Und was?« fragte Skudder.
»Woher soll ich das wissen?« antwortete Charity gereizt. »Das einzige, was ich weiß, ist, daß sie es ganz bestimmt nicht bekommen werden.«
Skudder sah sie überrascht an. »Was hast du vor?« fragte er.
»Ich habe noch eine kleine Überraschung für unseren Freund Barler«, antwortete Charity. »Paß bitte an der Tür auf.«
Skudder ging zur Tür zurück, während sie die Infrarotoptik ihrer Waffe einschaltete. Dann drückte sie auf den Feuerknopf. Ein grellweißer, nadeldünner Lichtstrahl traf den Safe und fraß sich funkensprühend in den Stahl hinein. Charity beschrieb einen langsamen Halbkreis mit der Waffe, ehe sie den Finger wieder vom Feuerknopf nahm und zum Safe ging, um ihr Werk zu betrachten.
Sie hatte Mühe, ein enttäuschtes Stöhnen zu unterdrücken.
Der Laserstrahl hatte den Stahl kaum beschädigt.
»Was zum Teufel soll der Quatsch?« zischte Skudder.
»Ich muß den Safe öffnen«, antwortete Charity, ohne ihn anzusehen, »aber ich fürchte, es wird ziemlich lange dauern.« Sie blickte Skudder ernst an. »Glaubst du, daß du sie mir zehn Minuten vom Hals halten kannst?«
»Wenn sie einzeln und unbewaffnet kommen, vielleicht«, antwortete Skudder säuerlich.
Statt darauf etwas zu entgegnen, hob Charity wieder ihre Waffe, feuerte aber nicht, sondern legte sie auf den Schreibtisch und ging zum Fenster. So gut es ging, verschloß sie die Öffnungen mit den Resten der verrotteten Gardinen, ehe sie ihren Laser wieder aufnahm und sorgsam zielte. Zum zweiten Mal fraß sich ein grellweißer Strahl gebündelter Lichtenergie in den Stahl.
Es dauerte länger als zehn Minuten, die Safetür aufzuschweißen. Der Tresor war nicht nur aus besonders widerstandsfähigem Stahl gefertigt, seine Tür war auch überraschend dick, Charity mußte ihre Arbeit mehrere Male unterbrechen, als auf der Oberseite ihrer Waffe eine kleine rote Lampe blinkte und eine Überhitzung anzeigte. Aber schließlich schaffte sie es. Der Strahl schlug keine Funken mehr, sondern verschwand plötzlich im Inneren des Safes, und für den Bruchteil einer Sekunde flammte grelles Feuer auf, ehe Charity erschrocken die Hand vom Auslöser nahm und hastig die Leistungsabgabe der Waffe verringerte. Wenn sie das, was sich hinter der Safetür befand, zerstörte, war alles umsonst gewesen.
»Ich glaube, da kommt jemand«, sagte Skudder, als sie die Waffe wieder ansetzte und das Auge gegen die Zieloptik preßte.
»Ich bin gleich fertig«, antwortete Charity. Sie schoß. Der Strahl war kaum noch zu sehen, aber seine Energieentwicklung reichte, die verbliebene, millimeterdünne Metallschicht langsam durchzubrennen. Behutsam, Millimeter für Millimeter, brannte Charity das Schloß des Safes völlig heraus.
Auf dem Korridor erklangen Schritte, und plötzlich brüllte Skudder: »Verdammt, beeil dich! Wir bekommen Besuch!«
Plötzlich erscholl ein schriller Pfiff, und wenig später hörte Charity, wie Skudder fluchte und losfeuerte. Kurz darauf gab es eine Explosion draußen auf dem Gang. Ein zweites, noch schrilleres Pfeifen beantwortete den Lärm. Zwei, drei nadeldünne weiße Laserblitze verfehlten Skudder nur um Haaresbreite und setzten die Kunststoffverkleidung hinter ihm in Brand. Ein weiterer Schuß durchschlug die Tür dicht neben seiner linken Schulter und ließ die Vorhänge in Flammen aufgehen.
Mit einem dumpfen Poltern brach das Schloß des Safes heraus und krachte zu Boden. Charity legte die Waffe aus der Hand, sprang hastig auf und rannte zum Tresor. Sein Inneres war mit verschmortem Papier gefüllt. Sie fegte alles heraus, tastete mit den Fingerspitzen über die Rückwand des Safes und fand einen Augenblick später, wonach sie suchte. Ein Klicken ertönte, als ihre Hand den Kontakt niederdrückte, dann teilte sich die scheinbar massive Hinterwand des Stahlschrankes und gab den Blick auf einen winzigen, mit einem kleinen Monitor versehenen Schaltkasten frei.
Skudder feuerte immer heftiger. Vom Gang drang flackernder Feuerschein herein, den Geräuschen nach zu schließen, mußte dort eine halbe Ameisenarmee aufmarschieren, die Skudders Feuer erwiderte. Es erschien Charity fast wie ein Wunder, daß er noch nicht getroffen worden war.
Sie streckte abermals die Hand aus und konzentrierte sich wieder auf den kleinen Schaltkasten. Ihre Finger zitterten, während sie sich der Zehnertastatur neben dem Miniaturbildschirm näherte. Sie hoffte, daß noch alles so war, wie sie es in Erinnerung hatte.
Langsam drückte sie die neunstellige Kennzahl in die Tasten und wartete mit angehaltenem Atem. Einige Sekunden vergingen, dann füllte sich der Bildschirm mit grünem Licht und mikroskopisch feinen Schriftzeichen, die sie aufforderten, ihre persönliche Kennzahl einzugeben. Charity tat es, und neben dem Monitor glomm ein stecknadelkopfgroßer, roter Leuchtpunkt auf.
Plötzlich begann Skudder zu schreien und brachte sich mit einem verzweifelten Satz in Sicherheit, als eine Feuerwolke die Tür traf und fast das Zimmer in Brand setzte.
Charity überzeugte sich mit einem hastigen Blick davon, daß er nicht ernstlich verletzt war, wandte sich wieder dem Safe zu und löste hastig die Ausweisplakette von ihrem Hals. Ihre Finger zitterten so heftig, daß sie Mühe hatte, die kleine Metallscheibe in das Lesegerät unter der Tastatur zu schieben.
Wieder vergingen Sekunden, in denen Skudder ihr irgend etwas zuschrie, das sie nicht verstand, während er gleichzeitig auf die in hellen Flammen stehende Tür feuerte, offensichtlich nicht mehr gezielt, sondern nur noch, um eine Art Sperrfeuer zu legen.
Endlich wechselte die Farbe der Leuchtanzeige von Rot auf Grün. Charity hob abermals die Hand und gab rasch hintereinander fünfstellige Zahlengruppen ein.
Zweimal vertippte sie sich dabei, und ihr Herz begann wie wild zu schlagen. Eine dritte Chance würde sie nicht bekommen.
Als sie die letzte Ziffer eingetastet hatte, wechselte das Licht neben dem Bildschirm wieder von Grün auf Rot, und auf dem Miniaturmonitor erschien die Nachricht, auf die sie gewartet hatte:
SELBSTZERSTÖRUNGSSEQUENZ AKTIVIERT! BITTE GEBEN SIE DIE LETZTEN DREI ZIFFERN EIN! WARNUNG: DER BEFEHL IST NICHT WIDERRUFBAR!
»Cherry!« brüllte Skudder mit überschnappender Stimme. »Ich weiß nicht, was du da tust - aber was immer es ist, tu es schnelll«
Charity atmete tief ein, zögerte eine letzte Sekunde - und, drückte dann dreimal die 7.
Ein helles Klicken erscholl. Das Gerät gab ihren Ausweis wieder frei, und plötzlich änderte sich auch die Farbe des Monitors von Grün auf Rot.
SELBSTZERSTÖRUNGSANLAGE AKTIVIERT! SIE HABEN FÜNFZEHN MINUTEN, UM DAS GEBÄUDE ZU VERLASSEN!