»Sie sind nicht meine Freunde«, antwortete Barler ruhig.
»Sicher«, sagte Charity.
Barler seufzte. »Bitte, Captain Laird ...« begann er, schüttelte dann den Kopf und machte eine fast resignierend wirkende Handbewegung. »Also gut«, sagte er. »Ich werde versuchen, es Ihnen zu erklären, aber nicht hier.« Er deutete zu Helen und den anderen hinüber, und Charity folgte ihm.
Skudder hatte endlich aufgehört, sich gegen den Griff der beiden Ameisenwesen zu wehren, aber er starrte Barler ebenso haßerfüllt an wie Helen. »Bist du jetzt zufrieden?« fragte sie ihren Vater.
»Bitte, Helen«, sagte Barler fast flehend. »Hör mir einfach fünf Minuten zu. Vielleicht wirst du mich danach verstehen.«
»Eigentlich«, antwortete seine Tochter, »brauchst du gar nichts zu erklären. Ich verstehe dich auch so. Also hatten Jean und die anderen doch recht.«
»Sie verdammter Verräter!« sagte Jean. »Was haben Sie jetzt mit uns vor? Wollen Sie uns auf der Stelle erschießen - oder liefern Sie uns an Ihre Freunde aus?«
»Euch wird nichts geschehen«, antwortete Barler. »Ich weiß, was ihr denkt. Aber glaubt mir, ich arbeite nicht für sie. Das habe ich nie getan.«
»Natürlich nicht!« sagte Jean aufgebracht. »Deshalb haben Sie auch jeden Versuch im Keim erstickt, uns endlich zu wehren.«
»Ich habe es getan, um euch zu beschützen!« verteidigte sich Barler. »Ja, verdammt! Von mir aus nennt mich einen Verräter. Es stimmt - ich habe ab und zu mit ihnen geredet, und ich habe das eine oder andere Geschäft mit ihnen gemacht. Aber ich habe es nur getan, um unser aller Leben zu schützen.«
»Deshalb haben Sie uns auch jetzt verraten, nicht wahr?« fragte Skudder wütend.
»Ich mußte es tun«, antwortete Barler. Er wandte sich an Charity. »Bitte, Captain Laird, versuchen Sie, mich zu verstehen. Ich habe Ihnen erzählt, welch großen Wert sie darauf legten, Zugang zu dieser Basis zu bekommen.«
»Und Sie haben ihn ihnen verschafft«, sagte Charity bitter. »Hat es sich wenigstens gelohnt?«
»Ja«, antwortete Barler ernst. »Vielleicht hat es unser aller Leben gerettet, sogar Ihres, Captain Laird.«
»Oh, wie großzügig«, sagte Charity spöttisch, aber Barler blieb ernst.
»Ich meine es ernst, Captain Laird«, sagte er. »Ich habe mit dem Kommandanten der Basis gesprochen. Er verlangt nicht einmal Ihre Auslieferung. Sie können bei uns bleiben, solange Sie wollen.«
»Als Gefangene«, vermutete Charity.
Barler schüttelte den Kopf. »Als Bürger der Freien Zone«, antwortete er. Er machte eine Geste auf das Botschaftsgebäude. »Das da war alles, was sie haben wollten. Ich weiß nicht, wie sie reagieren werden, wenn sie erfahren, was Sie getan haben. Aber ich glaube nicht, daß Ihnen etwas geschehen wird.«
»Natürlich nicht«, mischte sich Skudder spöttisch ein. »Sie werden uns einen Orden verleihen, vermute ich.«
»Begriffe wie Rache oder Vergeltung sind ihnen fremd«, antwortete Barler ruhig.
»Du hast sie verkauft!« sagte seine Tochter. »Du hast sie ...«
»Meinetwegen nenne es so«, unterbrach sie ihr Vater. »Ich weiß, daß du mich jetzt haßt, Helen. Aber es mußte sein. Wir müssen uns mit ihnen arrangieren. Es ist der einzige Weg, um zu überleben.«
»Du elender Feigling!« antwortete Helen.
Als ihr Vater antworten wollte, zuckte ein grellweißer Blitz herab. Charity fuhr erschrocken herum, darauf gefaßt, das Botschaftsgebäude in einer Explosion auseinanderfliegen zu sehen, aber das Haus war unbeschädigt.
Einen Augenblick später rollte ein dumpfes, lang anhaltendes Grollen über den Himmel.
»Was zum Teufel war das?!« rief Skudder.
Ein zweiter, noch viel grellerer Blitz zerriß die Dunkelheit, und beinahe gleichzeitig begannen im Inneren der beiden Flugscheiben dünne, hohe Sirenentöne zu heulen.
Charity sprang erschrocken zur Seite, als eine Ameise an ihr vorüberhastete und im Inneren des Gleiters verschwand. Aus dem Gebäude stürmten plötzlich Dutzende von schwarzen, vielgliedrigen Insektengestalten hervor und rannten auf die Gleiter zu. Auch die Ameisen, die bisher Skudder und die anderen bewacht hatten, fuhren auf der Stelle herum und stürmten zu ihren Fluggefährten. Barler gab ihnen mit hastigen Gesten zu verstehen, daß sie sich zurückziehen sollten, und befahl gleichzeitig einige seiner Männer heran, um weiter auf die Gefangenen aufzupassen. Die grellen Scheinwerfer an den Außenseiten der Gleiter erloschen, gleichzeitig begann in ihrem Inneren ein hoher, vibrierender Summton zu ertönen, und Charity begriff, daß die beiden Schiffe starten würden.
»Was war das?« rief Skudder noch einmal.
Barler zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht«, antwortete er nervös. »Aber es kam aus der Basis. Von der anderen Seite des Flusses.«
Das grelle Heulen aus dem Inneren der Gleiter wurde lauter, während die Türen sich schlössen, obwohl längst noch nicht alle Ameisen an Bord der Schiffe waren. Charity und die anderen wichen hastig auf die andere Seite der Straße zurück, als die beiden Flugscheiben in die Höhe schössen.
Eine Sekunde später explodierte eine von ihnen.
Es ging so schnell, daß Charity nicht einmal Zeit fand, die Augen zu schließen, sondern direkt in den grellweißen Feuerball hineinblickte, in den sich das Schiff verwandelte. Ein ungeheures Dröhnen erklang, und im nächsten Augenblick überzog sich der Himmel mit einem Teppich aus brodelnden Flammen, aus dem Trümmer herabregneten, die wie brennende Meteore in den Wald und die Häuser einschlugen.
Die Druckwelle riß sie alle von den Füßen. Charity fiel, rollte sich instinktiv über die Schulter ab. Noch ehe Barler überhaupt begriff, wie ihm geschah, war sie bei ihm, schmetterte ihm die Handkante gegen den Hals und entriß ihm das Gewehr. Blitzschnell hob sie den Laser, richtete seinen Lauf auf Barlers Stirn und stellte die Waffe gleichzeitig auf höchste Energieabgabe ein.
»Eine Bewegung, und Sie sind tot«, sagte sie leise.
Barler schien ihre Entschlossenheit zu spüren, denn er rührte sich nicht und hob ganz langsam die Hände und wich einen halben Schritt vor ihr zurück. »Bitte tun Sie es nicht«, sagte er ruhig. »Sie täuschen sich, Captain Laird. Ich bin nicht der, wofür Sie mich halten.«
Charity zögerte. Instinktiv spürte sie, daß Barler zumindest in diesem Moment nicht log. Und daß es falsch gewesen wäre, ihn zu töten. Ihre Finger glitten über den Schaft der Waffe, fanden den kleinen Schalter, nach dem sie suchten, und legten ihn um. Barlers Augen weiteten sich vor Schrecken, als er begriff, was sie vorhatte, aber seine Reaktion kam zu spät: Charity drückte ab, und das Lasergewehr spieh einen kurzen, grellweißen Blitz aus, der Barlers Nervensystem auf der Stelle lähmte. Lautlos brach er in die Knie.
Helen schrie auf und war mit einem Satz bei ihrem Vater, aber Charity riß sie zurück, als sie sich über ihn beugen wollte. »Ihm ist nichts passiert«, sagte sie hastig. »Er lebt. Ich habe ihn nur betäubt.«
Helen schlug ihre Hand beiseite und funkelte sie an. Aber Charity gab ihr keine Gelegenheit, irgend etwas zu sagen, sondern schob sie mit einer energischen Bewegung zur Seite und richtete die Waffe auf den Bewußtlosen. »Kommen Sie ihm nicht zu nahe«, sagte sie. »Ich bin nicht sicher, ob er wirklich bewußtlos ist.«
Auf Helens Gesicht erschien ein fragender Ausdruck. »Wie meinen Sie das?«
Statt zu antworten, befahl Charity Skudder mit einer Kopfbewegung, auf sie aufzupassen, und ließ sich dann vorsichtig neben Barler auf die Knie sinken. Ihre Finger glitten über seinen Hals und tasteten nach seinem Puls, der ruhig und sehr gleichmäßig ging. Sie war immer noch nicht sicher, ob er wirklich bewußtlos war oder nur den Ohnmächtigen spielte - aber dieses Risiko mußte sie in Kauf nehmen.
Sie stand wieder auf, drehte sich zu Helen um - und stieß einen gellenden Warnschrei aus!