„Du vermißt sie wohl sehr.“
„Ja, ich… ich meine, sie ist die einzige, die wirklich mit dem Computer umgehen kann.“
„Oh.“
Er sah sie an, da er wußte, was sie nicht ausgesprochen hatte. „Wir arbeiten nur zusammen.“
Sie nickte. „Ich dachte, daß ihr vielleicht…“
„Nein, das ist nicht der Fall. Wir sind nicht verheiratet.“
Sie fühlte, wie ihr Mund sich in schockierter Mockiertheit verzog. „Ich bewundere deine Selbstbeherrschtheit.“
Sein blaues und grünes Auge weiteten sich; sie beobachtete, wie die Düsternis erneut in ihnen auftauchte. „Es bringt nichts, zu wollen, was wir nicht haben können. Das einzige, was wirklich zählt, ist, sich am Leben zu halten — jeden am Leben zu halten. Wenn wir kein Wasser für Lansing bekommen, dann ist dies das Ende; es wäre dumm anzunehmen, daß es das nicht ist. Es ist sinnlos zu… zu…“ Er starrte die Kontrollkonsole an. „Diese Tagträumer! Warum antworten sie uns nicht? Worauf warten sie denn, auf ein Wunder?“
Eine Stimme drang aus dem Lautsprecher. „Unregistriertes Schiff — was, zum Teufel, macht ihr da oben noch, worauf wartet ihr?“
Sprachlos wandte Shadow Jack sich ihr wieder zu; sie lächelte. „Nun, äußern wir unseren Wunsch nach Wasserstoff.“
Shadow Jack manövrierte sie hinunter — er fluchte über den grellen Glanz — zu einer Anlegestelle auf der Tagseite Mekkas. „ ,Nicht registriert für das Hauptfeld.’ Diese triefäugigen Bastarde! Warum ließen sie uns nicht auch im Dunkeln landen wie den Rest dieser verdammten Tanker?“ Er streckte sich und lehnte sich zurück.
„Ich nehme an, sie wollen nicht, daß einige Touristen in ihre Destillen fallen.“ Endlich entspannte auch Bertha sich beim Klang der magnetischen Kabel, die an die Hülle des Schiffes geklammert wurden.
Er stieß sich von seinem Sessel ab. „Das hilft uns nicht viel. Wenn etwas schiefgeht, werden wir höllisch lange brauchen, bis wir auf diesem Weg wieder herauskommen.“ Er ging zu dem Spind, der ihre Raumanzüge enthielt.
Sie seufzte und nickte, dann griff sie nach Rusty. „Hoffen wir eben, daß nichts schiefgeht.“ Wer auch immer ihn nach dem Schatten benannt hatte, dachte sie, hatte eine gute Wahl getroffen.
Einen Augenblick lang klammerte Bertha sich an die Kante der offenen Luftschleuse, sah hinunter, und dann zur Seite, dorthin, wo die Welt zu abrupt endete: dem perspektivisch verkürzten Horizont, der sich wie die scharfe, glänzende Klinge eines Dolches gegen die Schwärze abhob. Und dahinter die Sterne, kaum sichtbar und ungeheuer fern, jenseits der lichtlosen Leere. Sie sah fünf leblose Körper, die in diese Leere fielen, wo nichts ihren Fall bremsen konnte, wo keine Stimme jemals die Stille ewigen Alleinseins durchbrechen konnte… Sie schwankte, Shadow Jack berührte ihren Rücken.
„Geh weiter, stoß dich ab.“ Seine Stimme klang krächzend und entstellt durch seinen schwachen Lautsprecher.
Hinter seiner Stimme hörte sie Rustys fruchtloses Kratzen an den Wänden der luftdichten Transportkiste; sie sah Gestalten, die auf sie zukamen, sie bewegten sich an einem gespannten Kabel entlang, das mittschiffs befestigt war. Mit zuviel Schwung stieß sie sich aus der Luke und schwebte bar jeglicher Anmut abwärts. Sie prallte zurück, fand Halt an einem gestrafften Kabel und bremste ihre Bewegung. Ein Fehler… Und sie konnte es sich nicht leisten, noch einen zu machen. Sie hatte es mit Gürtelbewohnern zu tun, und sie benahm sich besser auch wie ein Gürtelbewohner. Sie fühlte, wie die Spannung den Nebel ihrer Erschöpfung wegbrannte, als sie zusah, wie Shadow Jack anmutig und sanft auf dem hellen, pockennarbigen Geröllfeld hinter ihr landete. Über seinem Kopf strahlte die Sonne Himmel, ein glitzernder Diamant in der Krone der Nacht, blaß und sehr weit entfernt, verglichen mit dem blutigen Antlitz der Sonne am dunstverhangenen Himmel Morningsides. Als sie sich von der im Schatten liegenden Hülle der Lansing 04 abwandte, konnte sie andere Schiffe sehen, die ebenfalls vertäut waren; im grellen Licht sah sie das unförmige Flickwerk zerbeulter Formen und dachte an die asketische Perfektion der Ranger.
„Bleiben Sie lange hier?“
Sie konnte das Gesicht des Schleusenwächters hinter der dunklen Maske seines Helmes nicht sehen und hoffte, auch ihr Gesicht möge so gut hinter ihrer eigenen Gesichtsplatte verborgen sein. „Nicht länger als wir müssen.“
„Gut. Ihr äußerer Strahlungspegel ist sehr hoch, das ist nicht gut für die Pflanzen.“
Sie sah hinunter auf den groben Schotter und fragte sich, ob er einen Scherz gemacht hatte. Sie lachte nervös.
„Sind Sie von Lansing?“ Acht oder zehn weitere Gestalten tauchten mit bulligen Geräten, in denen sie Kameras erkannte, hinter ihm auf.
„Aus welchem Grund sind Sie hier?“
„Ist es wahr, daß…?“
„Ich dachte, jeder im Hauptgürtel sei tot?“
Sie hob Rustys Schachtel, um einen besseren Griff um das Kabel zu bekommen, ihre Stimmen verklangen in ihrem Helm. „Wir möchten etwas Wasserstoff von Ihrer Destille kaufen.“ Sie sah zurück zum Wächter. „Ich hoffe, wir müssen nicht zur anderen Seite laufen?“
Dieses Mal lachte er. „Nö. Nicht, wenn Sie die Gebühr bezahlen.“
Bertha sah, daß er bewaffnet war.
„… hörte, die Leute vom Hauptgürtel stehlen und klauen hauptsächlich“, redeten die Stimmen im Hintergrund unaufhörlich. „Haben Sie wirklich etwas zum Handeln dabei?“
„Wie kommt es, daß Sie als Frau in dieser Position sind? Sind Sie steril?“
„Was ist in der Schachtel?“
Sie umringten sie wie Wölfe. Entsetzt prallte sie zurück. „Ich kann nicht…“
„Das geht nur uns etwas an, Kameraden“, sagte Shadow Jack unvermittelt. „Wir sind nicht hier, um ein Almosen zu bekommen. Wir benötigen euren Mist nicht.“ Er zog den Wächter am Ärmel. „Nun, wie gelangen wir zur Destille?“
Bertha starrte ihn fassungslos an, doch der Wächter hob die Arme. „Alles klar, ihr Medienjungs, laßt sie in Ruhe. Schießt ein Bild von ihrem Schiff; sie sind nicht von Lansing hierhergekommen, um für euch Modell zu stehen. Und vergeßt nicht, die Mekka-Liegeplatz-Gesellschaft zu erwähnen. Keine Umstände, Jüngelchen. Folgen Sie einfach dem Kabel bis zum Schacht, man hält ein Taxi für Sie bereit. Willkommen auf Mekka.“
„Sagen Sie, stimmt es, daß…“
Shadow Jack schwebte zum Kabel und stieß sich an ihnen vorbei zur anderen Seite ab. Bertha folgte ihm; ihre Bewegungen wirkten schmerzlich unbeholfen. „Danke… Kamerad“, sagte sie.
Der Wächter nickte oder verbeugte sich, was Shadow Jack auch tat.
„Mein Gott, wer waren diese Leute?“ Sie warf einen Blick über die Schulter, während sie das Bodenfahrzeug betraten. Hinter ihnen versiegelte jemand die Tür. Sie konnte Shadow Jack murmeln hören: „Irreal.“ In der Kabine saßen noch zwei andere. Sie wünschte sich, sie wären nicht dagewesen, war aber gleichzeitig froh, daß es nur zwei waren, und hoffte, sie möchten keine Kameras dabeihaben. Jenseits der Plastikkuppel erstreckte sich die Eingleisbahn weiter über das kahle, helle Gestein. Über einer Plattform rechts von ihr sah sie so etwas wie eine kreisförmige Luke, die in das Gestein eingelassen war, darüber befand sich ein Schild: HYDROPONIK GMBH. Da erkannte sie plötzlich, daß der Beamte keinen Scherz gemacht hatte; dieser nackte, öde Felsbrocken, den sie Mekka nannten, war eine Welt für sich, übersät mit Röhren und Vakuolen, in denen das Leben mit all seinen mannigfaltigen Prozessen möglich war. Zuviel Strahlung schadete den Pflanzen…
Ihre Gedanken glitten ab, formierten sich aber rasch wieder, als der sanfte Andruck sie in den Sitz preßte. Rusty scharrte und schnüffelte in ihrer Tragetasche, was ein Geräusch wie von Statik in ihrem Helm verursachte. Plötzlich erinnerte sie sich wieder schmerzlich an ihr Ziel und den Zweck ihrer Fahrt. Und daß nur Eric ihr jetzt hätte helfen können — aber Eric war tot. „Ich frage mich, ob das hier schon vor dem Krieg gebaut worden ist?“ wandte sie sich an Shadow Jack, von dem sie die Antwort erhoffte.