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„Sie sind alle… verschwunden. Alle. Dieses Kriegsschiff… es hat die Kuppel zerschmettert.“

Sie wandte sich um, sah Clewell an, sein blutleeres Gesicht, seinen leeren Blick; sah ihre Leben, alles so plötzlich verschwunden. Nachdenklich, erschrocken. Er sieht so alt aus… Still löste sie ihren Sitzgurt und tastete sich am Pult entlang zu ihm hin, wo sie seine Hand ergriff. So hielten sie sich lange gegenseitig, still.

Eine schmiegsame Weichheit prallte gegen ihren Kopf, und sie schnellte hoch, als Klauen sich wie winzige Nadeln in das Fleisch ihres Rückens bohrten. „Rusty!“ Sie griff hoch, um die Katze an sich zu nehmen, begann zu schweben und hakte einen Fuß im Rand der Konsole ein. Goldene Augen sahen sie aus einem runden, haarigen Gesicht an, über einer Nase, halb schwarz, halb rosa; lange Schnurrhaare krümmten sich, als der Mund ein fragendes Miau? formte, das wie eine ungeölte Türangel klang. Berthas Hände bezwangen den Wunsch, die Katze quer durch den Raum zu schleudern. Welches Recht hat ein Tier, am Leben zu bleiben, wenn fünf menschliche Wesen sterben mußten? Sie wandte ihr Gesicht ab, als Rusty eine gefleckte Pfote ausstreckte, um nach ihr zu grapschen, ein murrender Trost für einen unverständlichen Kummer. Bertha kraulte sie, küßte die pelzige Stirn, getröstet von der Wärme des weichen Balls.

Clewell griff nach Rustys wedelndem Schwanz, dessen Spitze blutig war. „Sie kam gerade noch heraus.“

Bertha nickte.

„Warum kamen wir nur jemals in das Himmel-System?“ Seine Stimme bebte.

Sie sah auf. „Du weißt, warum wir kamen!“ Sie unterbrach sich, um Kontrolle über sich zu gewinnen. „Ich weiß es nicht… ich meine… ich meine, ich glaubte zu wissen…“ Vor vier Jahren, als sie Morningside verlassen hatten, war sie sich so sicher über alles gewesen: ihr Ziel, ihr Glück, ihre Heirat, ihr Leben. Und nun, plötzlich, kaum zu glauben, blieb lediglich das Leben übrig. Warum?

Weil die Bewohner des Planeten Morningside, einer kahlen, auf dem innersten Orbit befindlichen Welt eines roten Zwergsternes, einen Traum von Himmel hatten. Himmeclass="underline" Ein Sonnensystem vom G-Typ, ohne erdähnliche Planeten, doch mit einem Asteroidengürtel, der reich an zugänglichen Metallen war. Und mit Diskus, einem Gasgiganten, bestehend aus gefrorenem Wasser, Methan und Ammoniak — den elementarsten Schlüsseln des Lebens. Sie hatten es möglich — fast einfach — gemacht, eine Kolonie zu bilden, nahezu unabhängig in ihrem Reichtum, im wahrsten Sinne des Wortes der Himmel für die Kolonisten vom Asteroidengürtel Sols, der immer von der Erde abhängig gewesen war, um überleben zu können. Himmel war zum Traum für eine andere Kolonie geworden, Morningside, die sich nun nach mehr als nur dem Überleben sehnte; der Traum, Kontakt mit Himmels Gürtel aufzunehmen und zu verhandeln, damit man an den überfließenden Schätzen teilhaben konnte.

Der Traum, der das Sternenschiff Ranger drei Lichtjahre weit getragen hatte und der zerschmettert worden war wie der zerschmetterte Tagesraum durch die Realität des plötzlichen Todes. Die Einsamkeit brannte erneut in ihren Augen; ihr Geist sah die einhundert Meter messende Spindel der Ranger, jede Linie so vertraut wie ihr eigenes Gesicht, jeder Zentimeter fest in ihre Erinnerung eingegraben… sah eine klaffende Wunde in der Hülle, sah fünf Gesichter, nun für sie in der Dunkelheit verloren, endlos fallend…

„Was nun?“ sagte Clewell sanft.

„Wir machen weiter — weiter, wie geplant.“

„Du möchtest weitermachen, Kontakt herstellen mit diesen…“ Seine Hand deutete zu der Ruine auf dem Schirm. „Möchtest du sie heimführen, damit sie ganz Morningside ermorden können? Ist es nicht genug…“

Bertha schüttelte den Kopf und umklammerte die Armlehnen ihres Sessels. „Wir haben keine Wahl! Du weißt das. Wir haben nicht genug Wasserstoffreserven an Bord, um das Schiff wieder auf supraschnelle Geschwindigkeiten zu beschleunigen. Wir müssen unsere Vorräte irgendwo hier auffüllen, sonst kommen wir nie mehr nach Hause.“ Eine Vision der Heimat quälte sie: Feuer vor dunklem Hintergrund, es war die Nacht vor ihrer Abreise — das tränenfeuchte Gesicht eines kleinen Jungen, das in ihrem Kleid vergraben war. Mama… ich träumte, man muß sterben, um zum Himmel zu gelangen. Als sie sich an ihr aus einem Alptraum erwachendes Kind erinnerte, füllten ihre eigenen Augen sich mit Tränen und der endlosen Dunkelheit. Sie biß sich auf die Lippen. Verdammt, ich bin kein Kind, ich bin fünfunddreißig Jahre alt!

„Pappy, fang nicht an, dich wie ein alter Mann zu benehmen.“ Stirnrunzelnd sah sie, wie der Ärger zehn Jahre aus seinem Gesicht strich. „Wir haben keine andere Möglichkeit mehr. Wir müssen weitermachen.“ Wir müssen es ihnen zurückzahlen, ihre Augen blitzten, hart und kalt, wie Saphire. Vorsichtig hob sie Rusty weg und sah, wie die Katze sinnlos mit den Pfoten ruderte, als sie in den Raum driftete. „Wir haben noch ausreichend Treibstoff, um das ganze System zu umrunden… aber wem können wir vertrauen? Warum haben sie uns angegriffen? Und diese Schiffe, chemische Raketen — die sollten doch eigentlich nur noch im Museum sein! Es ergibt einfach keinen Sinn.“

„Vielleicht waren sie Piraten oder Abtrünnige. Es gibt keine andere einleuchtende Erklärung.“ Clewells Hand fuchtelte unsicher in der Luft herum.

„Vielleicht.“ Sie seufzte, da sie wußte, Abtrünnige hatten keinen Platz im Himmel. Da ihr nichts anderes übrigblieb, als daran zu glauben, vergaß sie, daß das wutverzerrte Gesicht auf dem Schirm sie selbst Piraten genannt hatte. „Wir werden weiter in den Hauptgürtel vordringen, nach Lansing, wie geplant. Und dann… werden wir einen Weg suchen, um zu bekommen, was wir brauchen.“

Toledo-Planetoid (Hoheitsgebiet Demarchy)

+ 30 Kilosekunden

Wadie Abdhiamal, Verhandlungsführer des Demarchy, wälzte sich unruhig herum, vom Klingeln des Telefons aus dem Schlaf gerissen. Er schaltete das Licht ein, gerade so hell, daß er die Form des Telefons ausmachen konnte, und aktivierte es. „Ja?“ Er sah Lije MacWongs mahagonifarbenes Gesicht auf dem Schirm erscheinen, richtete sich in seinem Bett auf und stützte sich mit einem Ellbogen ab.

„Tut mir leid, daß ich Sie wecken muß, Wadie.“

Er grinste. „Das hoffe ich auch.“ MacWong stand gern früh auf. Wadie sah auf die Digitaluhr im Gehäuse des Telefons. „Benötigt jemand zu dieser nachtschlafenen Stunde einen Verhandlungsführer? Schlafen die Leute eigentlich niemals?“

„Ich hoffe, sie schlafen augenblicklich alle… sind Sie allein?“

Wadie blickte über seine Schulter zurück, betrachtete Kimorus gebräunte, schlanke Seite, den Wirrwarr ihres schwarzen Haares. Sie seufzte im Schlaf. Er sah zurück zum Bild MacWongs und erkannte an dem mißbilligenden Blick der blauen Augen, daß MacWong die Antwort bereits kannte. Er verbarg seine Verärgerung und sagte: „Nein. Das bin ich nicht.“

„Setzen Sie die Kopfhörer auf.“

Wadie gehorchte und brachte die Hauptlautsprecher zum Verstummen. Er lauschte stumm; es dauerte einige Sekunden, bis MacWong ihn aus seinem Halbschlaf zu reißen vermochte. „Bin da, so schnell ich kann.“

Er sprang aus dem Bett, schwebte in der geringen Gravitation halb zum Bad, wo er sich wusch und rasierte. Als er zurückkam, saß Kimoru aufrecht im Bett, die Decke bis zum Kinn emporgezogen. Sie blinzelte vorwurfsvoll, ihre Augenlider zeigten ein zartes Lila.

„Wadie, Liebling…“ — ein Hauch von Groll — „es ist noch nicht einmal Morgen! Warum stehst du schon auf — bin ich so langweilig im Bett?“ Ein Hauch Verzweiflung.

„Kimoru.“ Er durchquerte den komfortabel eingerichteten Raum und küßte sie flüchtig. „Es ist höllisch von dir, mir so etwas zu sagen. Die Pflicht ruft, ich muß gehen… du weißt, ich hasse es, früh aufzustehen. Besonders wenn du hier bist. Schlaf unbesorgt weiter, ich werde zurückkommen und mit dir frühstücken — oder zu Mittag essen, wenn dir das lieber ist.“ Mit einer Hand knöpfte er sich das Hemd zu, mit der anderen tätschelte er ihre Wange.