Er betrachtete Shadow Jacks Hinterkopf. Sein eigener Kopf schmerzte fürchterlich. Dann blickte er wieder zum Schirm und zählte die Sekunden, bis sie das Schiff erreicht hatten. Selbst wenn es nicht ganz genauso gewesen wäre, wie er es sich vorgestellt hatte, so wäre es doch eine Zuflucht für ihn gewesen, die Möglichkeit des Entkommens aus diesem fauligen, verrotteten Metallsarg. Und eine Möglichkeit des Entkommens von diesem verschlossenen, feindseligen Jungen und der kleinen, gleichgültigen Frau, die genausogut ein Mann hätte sein können, wie alle anderen Frauen auch, die ins All vordrangen. Er sah ihr zu, wie sie die Katze auf der Konsole streichelte, Ringe glitzerten an ihrer Hand. Er sah hinab auf den silbernen und rubinfarbenen Ring an seinem Finger, ein Geschenk von einer anderen raumfahrenden Frau, und fragte sich flüchtig, warum diese hier sich die Mühe machte, so viele zu tragen, wo sie doch offensichtlich so wenig auf ihr Äußeres gab.
Schließlich verdrängte der Umriß des Sternenschiffs die Sterne. Er verwendete seine Wasserration, um sich Gesicht und Hände damit zu waschen.
Das ist kein Schiff. Wadie wich zurück, als die Schleuse beiseite glitt und den Blick auf den Raum vor ihm freigab. Das ist eine Welt.
„Dies ist der Kontrollraum.“ Der Kapitän bewegte sich an ihm vorbei, ihre Stimme klang heiser und bellend. Hinter sich hörte er das Scharren von Shadow Jack, der immer noch mit seinem Druckanzug beschäftigt war. Er holte lange und tief Luft und mußte dann husten, als seine Lungen reagierten.
„Hallo, Pappy!“
Der Kapitän stieß sich von der Wand ab. Ihren Bewegungen fehlte die Grazie und Eleganz, was ihre Fremdartigkeit noch mehr betonte, als dies durch ihr Gesicht und ihr Haar geschah. Sie glitt durch den weiträumigen Kontrollraum auf die Instrumentenwand zu. Plötzlich erkannte er, daß der Raum nicht leer war. Er wurde von einem Mädchen und einem kleinen, blassen Mann gemustert. „Bertha…“ Ein Lächeln teilte den struppigen Bart des Mannes — es war ein alter Mann, zu alt für die Raumfahrt, zu alt, als daß er immer noch hätte vernünftig sein können… Das schlanke, braune Mädchen sah ihn überhaupt nicht an, sondern durch ihn hindurch und zur Schleuse. Sie war eine Gürtelbewohnerin, schlampig in verblichene Shorts gekleidet, die von einem zu weiten Gürtel notdürftig gehalten wurden.
„Willst du mir etwa sagen, das ist alles, was du zurückgebracht hast?“ Der alte Mann winkte in seine Richtung, halb belustigt, halb abgestoßen. „Diesen… Geck? Gegen den hast du unsere Rusty eingetauscht?“
Der Kapitän schüttelte amüsiert ihren Kopf. „Nein, nicht bei ,Hans im Glück’, Pappy. Wir haben aber auch nicht gerade eine Gans, die goldene Eier legt. Vielleicht sind wir die ganze Zeit über diese Gans gewesen und wußten es nur nicht.“
Wadie spürte, wie Shadow Jack an ihm vorbeiglitt. Er hatte die Katze unter dem Arm. Der Junge stieß sie von sich, um ihr eine gewisse Anfangsgeschwindigkeit zu vermitteln, danach paddelte sie alleine durch den Raum.
„Rusty!“
Während sie auf die vertrauten Hände des alten Mannes zutrieb, gab das Tier miauende Freudenlaute von sich.
Das Gesicht des Gürtelmädchens verwirrte ihn. Wilde Wonne stand in ihren Augen, als sie Shadow Jack betrachtete. Er sah weg von ihr und wieder zu dem alten Mann. „Wadie Abdhiamal, Repräsentant des Demarchy. Normalerweise in besserem Zustand. Ich fürchte, zweihundert Kiloseks in dieser Todesfalle waren meinem Äußeren nicht gerade zuträglich.“ Der alte Mann lachte.
Shadow Jack fixierte ihn. „Sie können’s ja mal einige Megaseks lang versuchen.“
Der Kapitän schwebte zur Kontrollkonsole, harte Linien der Erschöpfung erschienen wieder auf ihrem Gesicht, machten es grimmig. „Es war die Hölle, Pappy. Ich wollte dich nicht ins Hoheitsgebiet des Demarchy bitten, aber ich weiß nicht, wie lange das Lebenshaltungssystem noch durchgehalten hätte. Es hatte schon für zwei kaum ausgereicht, aber für drei…“ Sie rieb ihr Gesicht, wobei sie den Schmutz noch ein wenig verteilte. „Die letzten zwei Tage waren schlimmer als die zwei Wochen der Hinfahrt. Aber wir mußten ihn mitbringen. Nur so konnten wir wieder von dort entkommen. Ihr Informationsnetzwerk ist unglaublich. Sie wußten bereits alles über uns — jeder, auf jedem einzelnen Felsbröckchen. Und jeder wartete nur darauf, sich unser Schiff unter den Nagel reißen zu können, um Gott damit zu spielen — wie das Ringvolk auch. Wir dürfen keinem mehr vertrauen. Wenn wir Wasserstoff haben wollen, müssen wir ihn uns selbst holen.“
„Kapitän Torgusson“, sagte Wadie, „die Regierung will nur…“
„Ich weiß, was Sie wollen, Abdhiamal. Mein Schiff. Das haben Sie deutlich genug zum Ausdruck gebracht. Aber dazu muß Ihr Demarchy uns erst mal bekommen.“ Ihre Augen erinnerten ihn an blaues Glas. „Tut mir leid, Abdhiamal, aber Sie befinden sich jetzt auf unserem Boden. Betrachten Sie sich als Gefangener.“
Shadow Jack saß mitten in der Luft und lachte. Das Mädchen kam mit ausdruckslosem Gesicht auf ihn zugeschwebt.
Wadie sagte nichts. Er sah, wie der Kapitän zögerte.
„Sie scheinen nicht besonders überrascht zu sein. Sie haben nicht geglaubt, was ich Ihnen auf Mekka gesagt habe, und trotzdem ließen Sie das hier geschehen?“
„Ich wußte nicht, ob ich Ihnen glauben sollte oder nicht. Nach allem, was Sie durchgemacht hatten, dachte ich mir, vielleicht haben Sie tatsächlich Anweisung zur Vernichtung Ihres Schiffes gegeben, und dieses Risiko wollte ich nicht eingehen. Und auch mit den Tirikis wollte ich keine Risiken eingehen. Wenn Sie bezüglich der Kooperationsbereitschaft gelogen haben… nun, ich befinde mich auf Ihrem Schiff, was mir eine weitere Chance gibt, Sie umzustimmen. Himmels Gürtel braucht Ihre Hilfe.“
„Wir schulden Ihnen nichts. Bisher sind uns in Himmels Gürtel nur Gier und Feindseligkeit begegnet.“
„Warum sind Sie denn in erster Linie hergekommen? Sie wollten handeln, in der Annahme, hier sei ein Hort des Reichtums. Warum sollten wir nicht ebenso gierig sein? Über hundert Millionen Menschen — hauptsächlich aus dem Hauptgürtel — starben in den ersten Megaseks nach dem Krieg. Und diejenigen, die übriggeblieben sind…“ Er deutete auf Shadow Jack und das Mädchen. „Nehmen wir Lansing als Beispiel. Die Leute dort werden keine ganze Umkreisung Himmels mehr überleben. Und wir anderen steuern alle demselben Ziel entgegen — es sei denn, wir hätten Ihr Schiff.“
Stirnrunzelnd hakte sie einen Fuß unter der Sicherheitsschiene ein, die entlang der Konsole verlief. „Die Tatsache bleibt bestehen, daß wir auch Rechte haben, wie alle Menschen, eingeschlossen das Recht, dieses System wieder zu verlassen, wenn dies unser Wille ist. Es stimmt, wir kamen her, um zu handeln, weil wir dachten, Himmels Gürtel hätte Güter, die uns fehlen. Aber Sie haben nichts zu bieten. Und wir können es uns nicht leisten, unser Schiff und den Rest unseres Lebens für nichts zu vergeuden. Morningside kann sich das nicht leisten. Wir haben ganz einfach nicht die Ressourcen für eine solche Verschwendung.“