Er schlug gegen den Türrahmen. „Alles geht schief! Ich wollte Bertha nicht… so nennen, wie ich es getan habe. Aber sie hatte so viele Ehemänner, sie hat sogar Kinder! Wo Bird Alyn und ich nicht einmal uns selbst haben können… das machte mich fast verrückt. Bertha hat so viel verloren, und ich sagte… sagte ihr das. Sie half uns, nachdem wir versucht hatten, ihr Schiff zu stehlen, wie jeder andere auch…“
„Das haben Sie getan? Und sie hat Ihnen beiden deswegen nichts getan?“
Er nickte. „Wir hatten nur einen Dosenöffner… Ich glaube, sie hielt uns für Narren.“
„Und Sie… sagten, sie hat Kinder?“ Abdhiamal betrachtete das breite Lederband, das sein Handgelenk umschloß.
„Ja. Im Weltraum reisen ist… ganz normal für sie. Es bedeutet nicht das Ende von allem.“ Er biß sich auf die Zunge, als ihm einfiel, daß es für die Mannschaft der Ranger doch das Ende gewesen war.
„Wenn sie Ihnen den versuchten Diebstahl ihres Schiffes vergeben hat, wird sie Ihnen auch das Wort ,pervers’ vergeben. Wahrscheinlich früher, als sie mir meine Bemerkungen über Ingenieure verzeihen wird.“
Shadow Jack runzelte verständnislos die Stirn.
Abdhiamals Lächeln erlosch. „Ich glaube, wir beide haben mehr als ein Problem gemeinsam. Wie jede Gruppe in Himmels Gürtel die Probleme der anderen teilt. Und inzwischen bin ich nicht mehr so sicher, ob es für uns eine einfache Antwort gibt.“
Shadow Jack wandte sich ab und sah Bird Alyn, die ihn vom Ende des Korridors aus betrachtete. Er begegnete ihrem Blick. Hoffnungslosigkeit zog ihn hinab wie die Kette der Gravitation. „Für uns gibt es überhaupt keine Antworten mehr. Das hätte ich wissen müssen. Tut mir leid, daß ich Sie aufgehalten habe, Abdhiamal.“
Wadie schloß die Tür; er kraulte immer noch die Katze. In Gedanken sah er die Zukunft von Lansing — Kummer und Tod in den Gärten, und darin sah er die ganze Zukunft von Himmel… Die Zukunft? Die Stille legte sich schwer auf seine Ohren und betäubte ihn. Das Ende. Das Demarchy war nur ein schmelzendes Schneeflöckchen. Es gab keine Antwort mehr. Nichts, was er jemals tun konnte, nichts, was er je getan hatte, hatte den schleichenden Tod aufhalten können. Er hatte sich selbst in dem Glauben gewiegt, seine Arbeit habe tatsächlich einen relevanten Wert, seine Verhandlungen würden eine neue Art der Schöpfung darstellen, eine bindende Kraft, um Verfall und Untergang zurückzudrängen. Aber er hatte sich immer etwas vorgemacht. Er war ein verdammter Geck, der auf Kosten anderer Leute lebte… der sein Leben mit der Selbstillusion verschwendete, er könne sie dafür alle retten, der sein Leben verschwendete: Er hatte die letzte Chance auf ein Leben weggeworfen, ein Zuhause, eine Familie. Und alles, was er je gesagt oder getan hatte, war bedeutungslos. Alles war nichtig gewesen — und im Endeffekt würde es auch immer nichtig bleiben. Nichtig.
Rusty wand sich wie ein ungeduldiges Kind in seinem Griff. Als er sie losließ, geriet sein Arm in den Sog des Ventilators, wo ein kleines, rechteckiges Gebilde von der Größe einer Handfläche in der Schwebe gehalten wurde. Er zog es herab und sah es an. Es war ein Bild — ein Hologramm —, das einen Mann und eine Frau zeigte, die im grellen Sonnenlicht vor einem häßlichen Wohnhaus standen. Die Frau war Bertha Torgussen, ihr Haar war lang und fiel in Locken über ihre Schultern. Und der Mann, groß, mit dunklem Haar und sonnengebräunter Haut… Eric? Plötzlich hörte er ihre Stimme wieder, hinter einem dunklen Helmvisier in einem Zug auf Mekka. Tut… tut mir leid. Ich dachte, Sie wären jemand, den ich kannte. Wadie fuhr mit einem Finger über die Gestalten, drang durch sie hindurch. Geister…
Bertha Torgussens Stimme meldete sich aus einem Wandlautsprecher. Sie teilte der Besatzung mit, daß Nakamore auf ihre Bedingungen eingegangen war.
Ranger (Diskanisches Hoheitsgebiet)
+ 2,74 Megasekunden
„Alles klar, Pappy, die Kabel sind gesichert. Wir haben uns wirklich selbst übertroffen, als wir diese Ladung an Bord brachten. Hol uns rein.“ Bertha hob ihr Kinn vom Helmmikrofon weg und umschlang mit dem Arm das starke Stahlkabel, das zwischen den Sauerstoffbehältern gespannt war. Sie spürte einen abrupten Stoß, als die Winden ihre Arbeit begannen und den letzten Zylinder in die Schleuse der Ranger hievten.
„Das war’s, Bertha.“ Clewells lächelnde Stimme hallte in ihrem Helm. Sie stellte sich sein Lächeln vor, das sie durch die Hülle spüren konnte.
„Das war’s. Wir haben es geschafft, Pappy! Wir haben es wirklich geschafft.“ Durch die- verdunkelte Gesichtsplatte ihres Helmes sah sie die an geschmolzenes Silber erinnernde Szenerie und davor den funkelnden Rubin von Diskus, der von der Hülle der Ranger reflektiert wurde und gerade hinter den dunkelgrünen Behältern der Wasserstofftanks, zwischen denen man vereinzelte schwarze Flecken erkennen konnte, aufzugehen schien. Den Schatten von Schnee-der-Errettung… oder das gezackte Loch, das in die Hülle gerissen worden war. Sie wandte rasch den Blick ab und betrachtete die Gestalt von Shadow Jack, die in ihrem hellen Anzug über einem der fünfzig Meter langen Zylinder schwebte. Und dann hinaus in die Leere… sie stellte sich den gnadenlosen Sog der diskanischen Gravitationsquelle vor, der sie hinaus in die endlose Nacht riß… wie schon fünf andere vor ihr. Sie schloß die Augen und klammerte sich an das Kabel, öffnete sie wieder und betrachtete die solide Oberfläche der Tanks, von deren stumpfer, grüner Oberfläche ihr Blick weiterging zu dem einsilbigen Abdhiamal, der am anderen Ende des Schiffes verharrte. Mit dem massiven Schutz der Ranger war nun alles so gut wie gelaufen. Bald war alles überstanden. Einmal noch, nur noch einmal… Schweiß kitzelte ihr Gesicht, und sie schüttelte zornig den Kopf in ihrem Helm. Verdammt! Du wirst nicht fallen…
„Bertha!“ Das war die Stimme Bird Alyns, die sich deutlich vom Rauschen des Helmfunks abhob. Bertha sah, daß sie sich wie eine Mücke an die Außenhülle klammerte. „Die Ladung fügt sich nicht genau passend ein…! Abdhiamal, Ihr Ende — das Kabel hat sich zwischen den Tanks verfangen…“
„Ich kümmere mich darum.“
„Abdhiamal, warten Sie!“ Bertha sah, wie er sich zum Ende des Schiffes bewegte, sah den Lichtblitz seiner Führungsrakete, als er verschwand. „Pappy! Sofort das Heckkabel lösen!“ Sie aktivierte ihre eigene Führungseinheit, drückte den Auslöser und folgte ihm zum Ende der Welt. Hinabblickend, sah sie ihn zwischen zwei Zylindern kauern. Das Kabel war eingeklemmt. Sie sah, wie er nach dem Kabel griff, sich mit den Füßen abstemmte und zog — „Abdhiamal! Aufhören, aufhören!“ —, sah wie das Kabel freikam… sah, wie die losgelösten Tanks unter ihr aufeinander zuschwebten und das Kabel sich wie eine zornige Schlange zu ihr heraufkräuselte. Sie wich verzweifelt zurück, wußte… wußte…
„Clewell!“ Ihr Gesicht prallte in einer grellen Korona gegen das Glas des Helms, als das Kabel sie an der Brust traf und sie hinaus und weg vom Schiff schleuderte. Sie rang nach Atem, Blut war in ihrem Mund, ihre Lungen schmerzten stechend, sie sah das Schiff wie ein Feuerrad aus ihrem Blickfeld verschwinden, Schwärze, geschmolzenes Silber, Schwärze… Sie suchte nach dem Auslöser ihrer Führungsrakete, aber ihre Hände waren leer. Und sie fiel.
Nein… Bertha begann zu schreien.