„Ihr handelt mit Diskus, um Wasserstoff zu erhalten?“ Clewell durchbrach die Stille.
„Handeln?“ Shadow Jack blickte ins Leere. „Womit sollten wir handeln? Wir stehlen ihn!“
„Was geschieht, wenn die… Diskaner euch in ihrem Hoheitsgebiet erwischen?“ Clewell griff unter die Konsole nach seinem verschlossenen Trinkgefäß und sog an dem Strohhalm.
Shadow Jack zuckte die Achseln. „Sie werden versuchen, uns zu töten. Vielleicht haben sie euch deswegen angegriffen. Sie dachten wahrscheinlich, ihr kämt vom Demarchy. Oder sie wollten euer Schiff; jeder wird dieses Schiff haben wollen. Kann es von nur zwei Leuten bedient werden…?“ Seine mißgünstigen Augen wanderten vielsagend umher.
„Nicht von zwei untrainierten Leuten“, sagte Bertha, „für den Fall, daß ihr noch gewisse Vorstellungen habt. Es ist nicht einmal für uns einfach. Wir hatten noch fünf weitere Mannschaftsmitglieder; die Diskaner haben sie alle getötet.“ Für nichts und wieder nichts.
Er verzog das Gesicht. „Oh.“
„Eine weitere Frage.“ Sie holte tief Atem. „Sagt mir, was dieses ,Demarchy’ ist, das jeder mit uns in Verbindung zu bringen scheint.“
Shadow Jack sah weg, vergaß ihre Frage, als Clewell den Becher geleert hatte. Bird Alyn leckte sich die Lippen und rieb sich mit ihrer mißgestalteten Hand den Mund.
Kein Wasser mehr… Eine Erinnerung an ihre eigenen Kinder, zu weit weg, zu lange Zeit zurück, überlagerte ihre hungrigen Gesichter. Sie sah hinab auf ihre eigenen Hände, auf dünne Goldringe, vier an der linken, zwei an der rechten Hand. „Nun?“
Shadow Jack räusperte sich krächzend, seine Augen bettelten um Wasser. „Das Demarchy — liegt in den Trojanischen Asteroiden, sechzig Bogensekunden hinter Diskus. Es verfügt über die besten Überbleibsel der Technologie. Man hat dort die elektrische Batterie hergestellt, die unsere Rakete versorgt. Die Leute dort sind die einzigen, die so etwas noch herstellen können.“
„Wenn sie so gut ausgestattet sind, warum müssen sie dann die Diskaner ausplündern?“
„Das müssen sie nicht. Üblicherweise geben sie Metall für den abgebauten Schnee, für Wasser, Gase und Kohlenwasserstoffe. Manchmal kommen eben… gewisse Zwischenfälle vor. Sie wollen beide an die Spitze kommen. Ich glaube, sie denken, eines Tages könnten sie den Gürtel wieder herrichten. Aber damit liegen sie falsch. Selbst wenn sie aufhören würden, einander zu bekämpfen — es ist zu spät. Jeder kann das sehen.“
„Du bist nicht gerade ein großer Optimist, was, Junge?“ sagte Clewell.
„Ich bin nicht blind.“ Shadow Jack kratzte sich stirnrunzelnd.
„Nun, Clewell.“ Bertha fühlte Rusty, die in ihrem Nacken schnüffelte, und setzte die Katze auf ihre Schulter. Ihre Krallen hakten sich vorsichtig in den Stoff der Baumwollbluse. „Was meinst du? Glaubst du, es ist die Wahrheit? Haben wir — den ganzen Weg hierher umsonst gemacht?“
Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Sie sah, wie seine eigenen Eheringe das Licht reflektierten, drei an der rechten und drei an der linken Hand. „Es klingt recht überzeugend. Es klingt ziemlich verrückt, aber es würde erklären, was uns widerfahren ist.“
Sie nickte und betrachtete die hageren Gesichter der Fremden. Nicht gerade Engel. Opfer einer Tragödie, die jedes Verständnis überstieg, einer Tragödie, die nun auch in ihr eigenes Leben eingriff, und sei es, um die Träume anderer Leute zu zerstören, wie sie auch ihre eigenen zerstört hatte. Dieser Himmel, wie alle Träume vom Himmel, war ein zerbrechliches Gebilde gewesen; vielleicht war er selbst nie mehr als ein Traum gewesen… Sie zündete ihre Pfeife an, beruhigt von deren Vertrautheit, ehe sie sich wieder den beiden gespannten, erwartungsvollen Gesichtern zuwandte. „Ich mache euch einen Vorschlag, Shadow Jack und Bird Alyn. Ihr sagtet, Lansing benötigt Wasserstoff zur Wassersynthese — und wir benötigen ihn als Treibstoff. Wir werden uns jetzt welchen besorgen. Kommt mit uns, erzählt uns alles, was wir über dieses System wissen müssen, und wenn wir unsere Mission beendet haben, teilen wir, was wir erhalten.“
„Und woher sollen wir wissen, ob ihr Wort haltet?“
Bertha zog die Brauen in die Höhe. „Woher sollen wir wissen, ob ihr uns die Wahrheit gesagt habt?“
Er antwortete nicht, Bird Alyn sah ihn finster an.
„Wenn ihr ehrlich mit uns seid, sind wir ehrlich mit euch.“ Bertha wartete.
Er sah zu Bird Alyn, sie nickte. „Ich glaube, es ist so besser, als unsere Chancen allein sind… Aber was ist mit der Lansing 04? Wir können sie nicht zurücklassen…“
„Wir können euer Schiff mitnehmen. Wahrscheinlich gelingt es uns, die Schilde zu reparieren.“
Er öffnete den Mund und schloß ihn dann verblüfft wieder. „Wir… können wir nach Hause funken und Lansing berichten, was geschehen ist?“
„Ja.“
„Dann ist alles abgemacht. Wir arbeiten mit euch zusammen und erzählen euch, was wir wissen.“ Sie entspannten sich sichtbar, wie Puppen hingen sie zusammen in der Luft.
Clewell überkreuzte die Arme. „Vergeßt aber eines niemals — als der Kapitän euch sagte, es erfordere Training, die Ranger zu steuern, da meinte sie das ernst. Wir beschleunigen mit einem Grav. Selbst wenn ihr das Schiff übernehmen und eure Leute benachrichtigen würdet — sie könnten euch niemals einholen. Alles, was es euch einbringen würde, wäre eine Reise in die Ewigkeit, ohne Möglichkeit zur Rückkehr.“
Shadow Jack setzte zu einer Antwort an, schwieg dann aber.
„Dann werde ich mich jetzt um euer Schiff kümmern. Clewell, nimmst du sie mit nach unten? Vielleicht, äh…“ Sie sah taktvoll beiseite. „Sie könnten eine Dusche vertragen.“
„Was für eine Dusche denn?“ murmelte Bird Alyn.
Bertha inhalierte Rauch und schwieg kurz. „Nun… eine mit Wasser.“
„Dummerweise ist uns der Champagner ausgegangen.“ Clewell stieß die Tür auf.
Shadow Jack lachte unbehaglich. „Genug Wasser, um sich darin zu waschen?“
Sie nickte. „Verwendet soviel ihr wollt, bitte. Wir haben genug davon. Und Seife. Und frische Kleidung, Clewell…“
„Mit Freuden.“ Unverzüglich führte er sie aus dem Zimmer in den hallenden Treppenschacht. Rusty zappelte hinter ihnen her. Einen Augenblick schwebte Bertha haltlos und lauschte, ihre Augen nahmen die grasgrüne Farbe des Teppichs wahr, die himmelblaue Farbe der Wände, die man entworfen hatte, um sieben Menschen, die mehr als drei Jahre lang eng zusammengepfercht leben mußten, vor dem Wahnsinnigwerden zu bewahren. Sie erkannte die grenzenlose und bösartige Leere, die den Raum, das ganze Schiff, in den vergangenen Tagen erfüllt hatte; wie die größere Einsamkeit jenseits der Hülle. Er erkannte plötzlich, daß dies nicht mehr länger zutraf. Sie hörte das Rauschen der Brausen, gefolgt von entzückten Schreien und Gelächter.
Clewell erschien im Türrahmen, er hatte Rusty bei sich. „Ich hoffe, sie ertränken sich nicht, ansonsten aber bringt alles wohl nur Verbesserungen.“
Sie betrachtete die Pfeife in ihrer Hand, erinnerte sich, wie er sie in ihren letzten Tagen in Borealis für sie geschnitzt hatte. Für sie selbst überraschend, begann sie zu lachen.
Ranger (Im Transit, Lansing zum Demarchy)
+ 290 Kilosekunden
Bird Alyn bewegte sich langsam durch das grüne Licht der hydroponischen Labors der Ranger. Ihr zarter Körper schmerzte unter der Anstrengung, sich unter einer Schwerkraft von 1 g aufrecht zu halten. Sie summte leise vor sich hin, ihr Unbehagen war verflogen, in die Vergangenheit gezogen von der konstanten, kühlen Feuchtigkeit, dem Geschmack nach Äpfeln und dem Summen der Insekten. Gesprenkelte Schatten huschten über die Fliesen, vermischten sich mit dem Blätterdach und brachen sich daran; funkelnde Lichtgarben umspielten die viskosen Flüssigkeiten in den großen, verdeckten Behältern.