»Die Behandlung wirkt nicht«, sagte Nate.
»Schenken wir uns den Rest«, meinte Dirk. »Es hat keinen Zweck, ihn heilen zu wollen. Er ist ein hoffnungsloser Fall. Laßt ihn aufstehen.«
Murray stand vorsichtig auf.
»Murray, wir stoßen dich einstimmig aus der Gruppe aus«, sagte Dirk. »Anlaß sind deine gruppenfeindliche Haltung und vor allem die gegen die Gruppe gerichtete Zerstörung von Kays Anlage. Alle deine Gruppen-Vorrechte sind aufgehoben.« Auf ein Zeichen von Dirk nahm Nate Murrays Gerät aus dem Behälter und zerstörte es. »Als dein Freund schlage ich vor, daß du dich einer totalen Persönlichkeitsumstrukturierung unterziehst, Murray«, fuhr Dirk fort. »Du bist in einer Klemme, weißt du das? Du brauchst wirklich Hilfe. Mit dir steht es schlecht.«
»Wollt ihr mir vielleicht sonst noch etwas sagen?« fragte Murray.
»Sonst nichts. Leb wohl, Murray.«
Sie gingen hinaus. Dirk, Finn, Nate, Bruce, Conrad, Klaus, Van, Jojo, Nikki, Serena, Maria, Lanelle, Mindy, Lois. Kay war die letzte. Sie blieb an der Tür stehen, ihre Kleidung zu einem Bündel gerafft. Sie schien keine Angst vor ihm zu haben. Ihr Gesicht zeigte einen seltsamen Ausdruck von — Zärtlichkeit? Mitleid? Sie sagte leise: »Es tut mir leid, daß es so kommen mußte, Murray. Ich fühle mich deinetwegen unglücklich. Ich weiß, daß es nicht feindselig gemeint war, was du getan hast. Du hast es aus Liebe getan. Du bist zwar völlig im Irrtum gewesen, aber du hast es aus Liebe getan.« Sie ging auf ihn zu und küßte ihn leicht auf die Wange, die Nasenspitze, den Mund. Er bewegte sich nicht. Sie lächelte. Sie berührte seinen Arm. »Es tut mir so leid«, murmelte sie. »Leb wohl, Murray.« Als sie hinausging, drehte sie sich noch einmal um und sagte: »Es ist ja so schade. Ich hätte dich lieben können, weißt du? Ich hätte dich wirklich lieben können.«
Er hatte sich vorgenommen, daß er warten würde, bis alle fort waren, bevor er die Tränen fließen ließ. Aber als die Tür sich hinter Kay geschlossen hatte, entdeckte er, daß seine Augen trocken blieben. Er hatte keine Tränen. Er war völlig ruhig. Betäubt. Ausgebrannt.
Nach einer langen Zeit zog sich Murray an und verließ das Haus. Er versetzte sich nach London, entdeckte, daß es dort regnete, und schoß nach Prag, wo die Atmosphäre bedrückend wirkte, so daß er sich nach Seoul begab, wo er gegrillte Steaks mit Kimchi aß. Dann verfügte er sich nach New York. Vor einer Galerie in der Lexington Avenue sprach er ein williges junges Mädchen mit langen, schwarzen Haaren an.
»Gehen wir in ein Hotel«, schlug er vor, und sie lächelte und nickte. Er trug sich für einen Aufenthalt von sechs Stunden ein. Oben zog sie sich aus, ohne seine Aufforderung abzuwarten. Ihr Körper war glatt und biegsam, flacher Bauch, blasse Haut, hohe, volle Brüste. Sie legten sich nebeneinander, und stumm, ohne Vorbereitung, nahm er sie. Sie war eifrig und bereitwillig. Kay, dachte er. Kay. Kay. Du bist Kay. Der Höhepunkt erschütterte ihn mit unerwarteter Heftigkeit.
»Macht es dir etwas aus, wenn ich rauche?« fragte sie ein paar Minuten später.
»Ich liebe dich«, sagte er.
»Was?«
»Ich liebe dich.«
»Du bist süß.«
»Leb mit mir zusammen. Bitte. Bitte. Ich meine es ernst.«
»Was?«
»Bleib bei mir. Heirate mich.«
»Was?«
»Ich verlange nur eines. Keine Gruppenbeziehungen. Das ist alles. Sonst kannst du tun, was du willst. Ich bin reich. Ich mache dich glücklich. Ich liebe dich.«
»Du kennst nicht einmal meinen Namen.«
»Ich liebe dich.«
»Mister, Sie können nicht bei Trost sein.«
»Bitte. Bitte.«
»Ein Irrer. Außer, Sie wollen mich auf den Arm nehmen.«
»Ich meine es völlig ernst, wirklich. Leb mit mir zusammen. Sei meine Frau.«
»Ein Irrer«, sagte sie. »Ich verschwinde hier!« Sie sprang aus dem Bett und suchte nach ihrer Kleidung. »Mein Gott, ein Verrückter!«
»Nein«, sagte er, aber sie war schon auf dem Weg, zog sich nicht einmal an, rannte blindlings hinaus. Die Tür fiel zu. Er schüttelte den Kopf. Er saß eine halbe Stunde lang starr da, eine zeitlose Spanne, dachte an Kay, an die Gruppe, fragte sich, was sie heute abend tun würden, wer an der Reihe sein mochte. Schließlich stand er auf, zog sich an und verließ das Hotel. Eine schreckliche Ruhelosigkeit überfiel ihn. Er versetzte sich nach Karachi und blieb zehn Minuten. Er verfügte sich nach Wien. Nach Hangtschau. Er blieb nicht. Was suchte er? Er wußte es nicht. Suchte er Kay? Kay gab es nicht. Er suchte. Suchte einfach. Weiter. Weiter. Weiter.
„In the Group" © 1974 by Robert Silverberg (first published in EROS IN ORBIT) mit freundlicher Genehmigung der John Farquharson Ltd. and the Scott Meredith Literary Agency
© der deutschsprachigen Ausgabe 1982 by Wilhelm Goldmann Verlag, München
Scan by Brrazo 10/2005
Umschlagentwurf: Atelier Adolf & Angelika Bachmann, München
Umschlagillustration: Jürgen F. Rogner, London
Gesamtherstellung: Mohndruck Graphische Betriebe GmbH, Gütersloh
Verlagsnummer: 23393
Lektorat: Peter Wilfert.
Herstellung: Peter Papenbrok
ISBN 3-442-23393-3
in Michael Parry, Milton Subotsky (Hrsg.) — Sex im 21. Jahrhundert