Es kann geschehen, daß wir durch eine völlig menschenleere Straße fahren - und plötzlich dringt ihr Schreckensruf an mein Ohr:
»Ephraim! Ephraim!«
Ich reiße das Steuer rum, gerate auf den Gehsteig, stoße zwei Koloniakübel um und krache in den Rollbalken einer Wäscherei. Dann stelle ich die Reste des Motors ab und blicke um mich. Weit und breit ist nichts und niemand zu sehen. Die Straße ist so verlassen wie der unwirtlichste Teil der Negev-Wüste.
»Warum hast du geschrien?« erkundige ich mich und füge im Sperrdruck hinzu: » Warum hast du geschrien?«
»Weil du unkonzentriert gefahren bist, überhaupt - wie du fährst! Wie du fährst!« Und sie schnallt demonstrativ ihren Sicherheitsgurt etwas fester.
Die Kinder nehmen natürlich Partei für Mammi. Das erste Tier, das meine kleine Tochter Renana erkennen lernte, war ein Zebrastreifen. Ein Zebrastreifen! Auch ihr Großvater stellt oft und gerne fest, daß ich wie ein Verrückter fahre. Wie ein Verrückter! Neulich nahm er mich zur Seite, um von Mann zu Mann ein paar mahnende Worte an mich zu richten:
»Du hast doch Sorgen genug, mein Junge. Du bist ein schöpferischer Mensch. Du denkst beim Fahren an alles mögliche. Warum überläßt du es nicht meiner Tochter?«
Auch die Kinder haben es schon gelernt:
»Pappi«, tönt es von den Hintersitzen, » du bist nicht konzentriert. Laß doch Mammi... laß doch Mammi...
Diese entwürdigenden Sticheleien finden ihre Fortsetzung, wenn ich nach Hause komme:
»Es ist nur Pappi«, ruft mein rothaariger Sohn Amir in die Küche. »Nichts ist passiert.«
Warum soll etwas passiert sein? Und warum »nur« Pappi?
Und ihre Mutter unterstützt sie noch:
»Ich würde lachen, wenn dich jetzt ein Verkehrspolizist erwischt! Ich würde lachen!« Oder: »Das kostet dich den Führerschein! Das kostet dich den Führerschein!«
Laut eigener Aussage kann sie sich nur entspannen, wenn sie selbst fährt. Manchmal entwindet sie mir das Lenkrad mit Gewalt und unter lautem Beifall der Galerie. Bisher ist sie zweimal mit je einem Fernlaster zusammengestoßen, einmal mit einem Klavier, hat mehrere Parkometer umgelegt und ungezählte Katzen überfahren.
»Weil deine wilde Fahrerei mich ansteckt«, erläutert sie.
Neuerdings beteiligt sich sogar unsere Hündin Franz an der gegen mich gerichteten Verschwörung. In jeder Kurve steckt sie den Kopf zum Fenster hinaus und bellt laut und scharf:
»Wau! Wau!« Zweimal. Das zweite Mal im Sperrdruck. Sie will, so dolmetscht meine Mitfahrerin, zum Ausdruck bringen, daß ich das Lenkrad mit beiden Händen halten soll. Wie jeder andere. Wie jeder andere!
Es gibt auch rückwirkende Zurechtweisungen. Zum Beispiel passiere ich glatt und anstandslos zwei Fußgänger und werde nach ein paar Metern vorwurfsvoll gefragt:
»Hast du sie gesehen, Hast du sie gesehen?«
Natürlich habe ich sie gesehen. Natürlich habe ich sie gesehen. Sonst hätte ich sie ja niedergefahren oder wenigstens gestreift, nicht wahr.
»Was machst du denn, um Gottes willen!« lautet der nächste Mahnruf. » Was machst du?«
»Ich mache 45 Kilometer in der Stunde.«
»Du wirst noch im Krankenhaus enden. Oder im Gefängnis. Oder im Krankenhaus!«
Sie selbst fährt einen Stundendurchschnitt von 120 km, was ungefähr der Schnelligkeitsrate ihrer Kommentare entspricht. Unlängst riß sie den Wagen an sich, sauste zum Supermarkt und wurde unterwegs von einer Verkehrsampel angefahren. Sie kroch unter den Trümmern hervor, bleich, aber ungebrochen, und seither folgt mir ihr vorwurfsvoller Blick auf Schritt und Tritt.
»Stell dir vor, du armer Kerl«, will dieser Blick bedeuten, »stell dir vor, was für ein Unglück es gegeben hätte, wenn du gefahren wärst.«
Ich bin nach längerem Nachdenken zu dem Entschluß gelangt, mir die bewährte »Doityourself«-Methode zu eigen zu machen, und tatsächlich geht es jetzt viel besser. Um meiner Familie jede Aufregung zu ersparen, stoße ich selbst die entsprechenden Vorwarnungen aus:
»Nach 50 Metern kommt ein Stoppzeichen«, verlautbare ich bei einer Stundengeschwindigkeit von 30 km. »Ein Stoppzeichen nach SO Metern!« Oder: »Nicht bei Gelb, Ephraim! Nicht bei Gelb!« Und nachdem ich über eine harmlose Kurve hinweggekommen bin: »Wie ich fahre! Wie ich fahre!«
Auf diese Weise herrscht in meinem Wagen nun doch eine Art von Fahrerfrieden. Die beste Ehefrau von allen sitzt mit zusammengepreßten Lippen neben mir, die Kinder verachten mich stumm, der Hund bellt zweimal, und ich fahre langsam aus der Haut.
Wie Napoleon besiegt wurde
Ein weiterer Wermutstropfen im Freudenbecher unserer Ehe ist meine verwerfliche Gewohnheit, mich nicht sofort an den Tisch zu setzen, wenn die Chefin des Hauses den Ruf erschallen läßt, daß das Essen aufgetragen ist. Ich weiß wirklich nicht, warum ich ihr das immer wieder antun muß, ich weiß es so wenig wie Millionen anderer Ehemänner. Vielleicht handelt es sich um einen Protest meines Unterbewußtseins gegen ihre selbstherrliche Art, die Mahlzeit-Zeiten festzulegen, ohne mich zu fragen. Vielleicht ist ihre Kochkunst nicht mehr das, was sie war. Sei dem wie immer - der Fall hat auch historische Aspekte; zumindest in der folgenden Geschichte.
Man schrieb den 18. Juni 1815.
Die Sonne ging über den Schlachtfeldern auf. Im Sitzungssaal seines Landschlößchens stand der Kaiser, umgeben von seinen Marschällen und Generälen, am Tisch mit der großen Landkarte, um die letzten Anordnungen für den entscheidenden Zusammenstoß mit Europas Monarchen zu treffen. Sein Selbstbewußtsein und sein strategisches Genie hatten unter dem Exil auf Elba in keiner Weise gelitten. Nur sein Haar war ein wenig schütter geworden und zeigte an den Schläfen die ersten silbrigen Strähnen.
Aus der Ferne wurde Geschützfeuer hörbar: Blüchers Armee marschierte vom Norden her gegen Waterloo. Man glaubte zu spüren, wie die Welt den Atem anhielt.
»Napoleon! Dein Frühstück ist fertig!«
In der Türe erschien Sarah, Napoleons dritte Ehefrau und die beste von allen, ihre Frisur von einem hinten zusammengeknoteten Kopftuch geschützt, in der Hand einen Staublappen.
Der Kaiser hatte sie auf Elba geheiratet. Wie es hieß, entstammte sie einer der besten jüdischen Familien der Insel.
»Das Frühstück wird kalt, Napoleon!« rief die Kaiserin. »Komm zu Tisch! Deine Freunde hier werden nicht weglaufen. Ach Gott, ach Gott...« Und während sie sich mit dem Staublappen an einigen Möbelstücken zu schaffen machte, wandte sie sich an den respektvoll schweigenden Generalstab: »Jeden Tag die gleiche Geschichte. Ich frage ihn: Napoleon, willst du essen oder willst du nicht essen, sag ja oder nein, er sagt ja, ich mach das Essen, und kaum ist es fertig, hat er plötzlich irgend etwas zu tun, stundenlang läßt er mich warten, ich muß das Essen immer von neuem aufwärmen, erst gestern hat uns das Mädchen gekündigt und jetzt steh ich da, ganz allein mit dem Buben... Napoleon! Hörst du nicht? Das Frühstück ist fertig!«
»Einen Augenblick«, murmelte der Kaiser und zeichnete auf dem Schlachtplan eine Linie ein. »Nur einen Augenblick noch.«
Der Kanonendonner wurde lauter. Die Artillerie des Herzogs von Wellington begann sich einzuschießen. Marschall Ney sah besorgt nach der Uhr.
»Ich kann mich kaum auf den Füßen halten«, jammerte Sarah. »Überall in der Wohnung läßt du deine Kleidungsstücke herumliegen, und ich hab das Vergnügen, sie einzusammeln und in den Schrank zu hängen. Wie soll ich das alles bewältigen? Und steck nicht immer die Hand zwischen die zwei oberen Brustknöpfe, hundertmal hab ich dir gesagt, daß der Rock davon einen häßlichen Wulst bekommt, der sich nicht mehr ausbügeln läßt... Wirklich, meine Herren, Sie haben keine Ahnung, wieviel mir die schlechten Gewohnheiten meines Herrn Gemahl zu schaffen machen... Napoleon! Komm endlich frühstücken!«