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»Ich komm ja schon«, antwortete der große Korse.

»Ich hab nur noch ein paar Worte mit meinen Generälen zu sprechen.« Er nahm Haltung an, seine Gesichtsmuskeln spann­ten sich. »Blücher und Wellington, daran besteht für mich kein Zweifel, werden ihre Armeen vereinigen wollen. Wir müssen einen Keil zwischen sie treiben.«

»Das Essen ist schon wieder eiskalt!« kam aus dem Ne­benzimmer Sarahs Stimme.

»In einer Stunde greifen wir an«, sagte Napoleon ab­schließend.

Von draußen klang das Geräusch schwerer, eiliger Schritte. General Cambron, der Adjutant des Kaisers, nahm immer drei Marmorstufen auf einmal, so eilig hatte er's.

»O nein! Kommt gar nicht in Frage!« Am Treppenabsatz trat ihm Sarah entgegen. »Ziehen Sie zuerst Ihre Stiefel aus! Ich lasse mir von Ihnen nicht das ganze Haus verschmutzen.«

In Strümpfen trat General Cambron zu den anderen be­strumpften Heerführern.

»Wenn ich eine Hilfe im Haushalt hätte, war's etwas ande­res«, erläuterte die Kaiserin ihre Anordnung. »Aber seit ge­stern hab ich keine mehr. Herrn Bonaparte interessiert das natürlich nicht. Den interessiert alles, nur nicht sein eigenes Haus. Jetzt bin ich am Wochenende ohne Mädchen und kann mich wegen eurer dummen Schlacht nicht einmal um einen Ersatz kümmern. Wenn Sie vielleicht von einem anständigen Mädchen hören, lassen Sie mich's bitte wissen. Mit Koch­kenntnissen. Und sie muß auch auf den Buben aufpassen. Aber keine Korsin, bitte. Die reden zuviel.«

»Gewiß, Majestät.« General Cambron salutierte und übergab dem Kaiser ein zusammengefaltetes Papier. Napoleon las es und erbleichte:

»Meine Herren - Fouche ist zum Feind übergegangen. Was tun wir jetzt?« »Jetzt frühstücken wir«, entschied die Kaiserin und ging ins Nebenzimmer voran. Noch einmal trat Napoleon an den Tisch und fixierte mit dem Zeigefinger einen Punkt auf der Karte:

»Hier wird sich das Schicksal Europas entscheiden. Wenn der Gegenangriff von Südwesten kommt, fangen wir ihn an der Flanke auf. Meine Herren -«

»Napoleon!« unterbrach Sarahs Stimme. »Willst du Rühr- oder Spiegeleier?«

»Egal.«

»Rühreier?«

»Ja.«

»Dann sag's doch.«

»Meine Herren - vive la France!« beendete Napoleon den un­terbrochenen Satz.

»Vive la France!« riefen die Marschälle und Generäle.

»Vive l'Empereur!«

»Napoleon!« rief Sarah und steckte den Kopf durch die Türe. »Der Bub will dich sehen!«

»Majestät!« rief Marschall Murat. »Der Feind nähert sich!«

»Ich, lieber Herr«, fuhr die Kaiserin dazwischen, »ich bin es, die den ganzen Tag mit dem weinenden Kind auskommen muß, ich, nicht Sie. Wollen Sie dem Kaiser vielleicht verbie­ten, seinem Sohn einen Abschiedskuß zu geben?«

»Wo ist er?« fragte Napoleon.

»Er macht gerade Pipi.«

Und während der Kaiser sich zum Aiglon begab, stimmte die Kaiserin nochmals ihr Klagelied an.

»Ich hab kein Mädchen. Ich muß alles allein machen. Drei Stockwerke. Wie oft, meine Herren, habe ich Sie schon gebe­ten, keine Asche auf den Teppich zu streuen ?«

Im Hintergrund erschien Napoleon und strebte mit hastigen Schritten dem Ausgang zu.

»Was soll ich sagen, wenn jemand nach dir fragt?« wollte die Kaiserin wissen.

»Sag, daß ich in der Schlacht bei Waterloo bin.«

»Wann kommst du nach Hause?«

»Weiß ich nicht.«

»Hoffentlich rechtzeitig zum Mittagessen. Was möchtest du haben?«

»Egal.«

»Gestopften Gänsehals?«

»Ja.«

»Dann sag's doch. Und vergiß nicht«, rief sie ihm nach, »ich brauch ein Mädchen. Und komm nicht zu spät...«

Der Kaiser hatte sein Pferd bestiegen. An der Spitze seiner Heerführer nahm Napoleon den Weg durch die eng gewunde­ne Schlucht, die in Richtung Waterloo führte.

Sarah nahm Besen und Schaufel, um die Halle vom Stra­ßenschmutz zu säubern, der von den Stiefeln der Militärs zu­rückgeblieben war. Sie mußte alles allein machen, denn sie hatte kein Mädchen.

Durch das offene Fenster konnte man jetzt schon das Mün­dungsfeuer der Geschütze sehen. Blücher und Wellington setz­ten zu ihrem erfolgreichen Umklammerungsmanöver an.

Die Geschichte weiß zu berichten, daß die beiden siegreichen Feldherren ihre Ehefrauen weit, weit hinter sich gelassen hat­ten.  

Jerusalem antwortet nicht

Mit zunehmenden Jahren wird man als Dichter gerne von dem Bedürfnis heimgesucht, sein Leben zu überschauen und eine Art Bestandsaufnahme zu veranstalten. Ich habe geliebt und gelernt, sagt der alternde Poet, ich habe gutes Geld ver­dient und habe es schlecht verwaltet, ich habe die Welt durch­fahren, habe alte Städte und neue Gräber gesehen, habe mich bemüht, weise zu werden, und habe die Vergeblichkeit meiner Bemühungen erkannt. So ist das Leben...

Auf ungefähr diese Weise würde ein durchschnittlicher Dich­tersmann sich ausdrücken.

Sollte jedoch eines Tages an mich die Frage gerichtet wer­den, wie ich mein Leben verbracht habe - ich würde kurz und bündig antworten:

»Ich habe versucht, telefonische Verbindung mit Jerusalem zu bekommen.«

Die Vorwahlziffer von Jerusalem im automatischen Tele­fonverkehr lautet nämlich 02 und ist besetzt. Man wählt gleich nach dem Erwachen 02, und es ist besetzt. Es ist, bevor man's endlich aufgibt, fünf Stunden lang besetzt. Das bedeutet einen Gesamtverlust von 227 Arbeitstagen im Jahr, Schaltjahre aus­genommen. 227 Tage steht man da, den Hörer in der Hand, und wartet darauf, daß Jerusalem frei wird.

»Haben Sie morgen Zeit?«

»Nein, ich muß Jerusalem anrufen!«

Natürlich gilt das nur für die Tagesstunden. Wenn es Mitter­nacht schlägt, läßt das Besetztzeichen nach, und zwischen drei und fünf Uhr am Morgen besteht sogar einige Aussicht, daß man durchkommt. Leider wünschen die Einwohner Jerusalems nicht zwischen drei und fünf angerufen zu werden, sondern bei Tag. Und bei Tag ist 02 besetzt.

Manchmal genügt schon der bloße Gedanke an Jerusalem, um beim Abheben des Hörers das Besetztzeichen hervorzu­locken. Darum ist es ratsam, an Rechovot oder an Haifa zu denken, bevor man wählt, obwohl auch diese beiden in der Regel besetzt sind. Selbst wenn es einem gelingt, sich an der 0 vorbeizuschmuggeln - nach der 2 ertönt unweigerlich Jerusa­lems satanisches Pip-Pip. Sollte es aber auch nach der 2 im Hörer ruhig bleiben, dann darf man mit Sicherheit annehmen, daß eine Störung vorliegt.

Vor ein paar Tagen, als ich gerade mit erquickender und ge­sundheitsfördernder Gartenarbeit beschäftigt war, kam mein Sohn Amir herbeigestürzt:

»Komm schnell!« rief das liebe Kind, zitternd vor Aufre­gung, »Mammi hat Jerusalem!«

Es war eine richtige Sensation. Die beste Ehefrau von allen war über 02 hinausgekommen, hatte durch tiefe, tapfere Atemzüge den drohenden Herzanfall hintenangehalten, hatte die Drehscheibe weiterbetätigt und die Nummer ihrer Tante in Jerusalem gewählt. Kurz darauf war die Verbindung mit dem Wohlfahrtsministerium hergestellt. Unser Jubel kannte keine Grenzen. Wir übergaben der Telefonistin des Ministeriums eine vollständige Liste unserer in Jerusalem wohnhaften Freunde und baten sie, diese anzurufen und sie zu bitten, uns in Tel Aviv anzurufen. Denn von Jerusalem bekommt man Verbindung nach Tel Aviv. Von Tel Aviv nach Jerusalem nicht.

Die israelischen Eisenbahnen machen sich diesen Zustand neuerdings mit Reklameplakaten zunutze: »Sparen Sie Ihre Zeit!« heißt es da. »Wählen Sie nicht 02! Wählen Sie die Zug­verbindung nach Jerusalem!«