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Die Jerusalemer Telefonzentrale ist allerdings ein wenig ver­altet und arbeitet noch nach dem ottomanischen System, mit Handkurbel, lautem Zuruf und notfalls Boten auf Fahrrädern.

Schon Theodor Herzl soll sich vergebens bemüht haben, eine Verbindung mit dem türkischen Gouverneur in Jerusalem her­zustellen. Nach einer Woche war sein Muskelkrampf im rech­ten Arm so schmerzhaft geworden, daß er aufhören mußte. Damals sprach er die historischen Worte:

»Meine rechte Hand verdorre, wenn ich jemals dein vergäße,

o Jerusalem!«

Unser Minister für öffentliches Verkehrswesen weiß über dieses Problem natürlich Bescheid. Erbitterte Bürger riefen ihn immer wieder an, um ihm zu sagen, was sie von ihm hielten - bis er sich eines Tages entschloß, nach Jerusalem zu übersie­deln. Seither hat er Ruhe.

Er gibt jedoch freimütig zu, daß die Lage nicht eben rosig ist. Die Zahl der Telefonkabel zwischen Tel Aviv und Jerusalem beläuft sich auf 40. Zur klaglosen Aufrechterhaltung des Ver­kehrs wären etwa 40 000 vonnöten. Die Errichtung eines neu­en Schaltwerks auf dem Ölberg ist geplant. Bis zur Inbetrieb­nahme empfiehlt der Minister die gute, alte Autosuggestion. Jeder Teilnehmer soll im Bad oder während der Morgengym­nastik mindestens zehnmal vor sich hinsagen:

»Null-Zwei ist frei, Null-zwei ist frei...« Ich möchte dieses Klagelied nicht vorübergehen lassen, ohne es mit einem kleinen Inserat abzuschließen:

GESUCHT WAHLHELFER FÜR VORWAHL 02

Telefonteilnehmer in Tel Aviv sucht dringend Amateur­masochisten, der bereit ist, zwischen 8 und 13 Uhr Jerusalem anzurufen. Gute Verpflegung garantiert. Arzt im Hause.  

Wer die Durchwahl hat, hat die Qual

Ferngespräche mit dem Ausland waren lange Zeit eines der beliebtesten Geduldspiele in Israel. Man wählte die Nummer 18 und wurde sofort mit einer Stimme verbunden, die sich in mehreren Sprachen der höflichen Mitteilung befliß, daß leider alle Linien besetzt wären, bitte seien Sie nicht ungehalten, wenn Sie noch ein wenig warten müssen, danke. Und nicht selten geschah es, daß man von einer schmerzhaften Finger­lähmung befallen wurde, bevor man endlich Chikago erreicht hatte. Da sich jedoch der Fortschritt der Technik nicht aufhal­ten läßt, können wir seit kurzem nach allen überseeischen Ländern selbst durchwählen. Seither wächst unter den israeli­schen Telefonteilnehmern die Anzahl der Konkurse.

Beim erstenmal ist es ja noch Spaß. In der Abenddämme­rung, wenn die Schafherden heimwärts ziehen und im Fernse­hen arabisch gesprochen wird, überkommt dich das dringende Verlangen, direkt mit Tante Frieda in Los Angeles zu spre­chen. Du begibst dich an die Drehscheibe, drehst so lange, bis du die Nummer 001213957342189 zu Ende gedreht hast, hältst den Hörer ans Ohr und freust dich des summenden Ge­räusches, das ihn erfüllt. Es wird von einem kurzen »Klick« abgelöst, dem ein Klingelsignal folgt - und dann, wahrhaftig, hebt jemand in einer Entfernung von 12 000 km den Hörer ab.

»Tante Frieda?« fragst du atemlos.

»Nein«, antwortet eine männliche Stimme.

»Ist dort 001213957342189?«

»Hier ist sechs Uhr früh, Sie Idiot.«

Immerhin - es war eine direkte Verbindung mit Kalifornien, und das darf man sich getrost die 4,18 Shekel pro Sekunde kosten lassen, die das Tarifbulletin des Verkehrsministeriums angibt. Wie aus dieser lehrreichen Publikation des weiteren hervorgeht, vermerkt das Telefonamt bei internationalen Fern­gesprächen weder Ort noch Zeit des Anrufs. Von einem auto­matischen Zähler registriert, wird die Gebühr ohne nähere Angaben in die Monatsrechnung des Teilnehmers einbezogen.

Der Umstand, daß seine Anonymität gewahrt bleibt, regt den israelischen Telefonbenützer zu einer interessanten Überle­gung an, mit der er sich wie folgt an die beste Ehefrau von allen wendet:

»Ich habe Lust, Kamtschatka anzurufen. Wie war's -und wir besuchen heute abend die Seeligs?«

Der Rest ist ein Kinderspiel. Um 22.30 Uhr - für Kamtschat­kianer eine frühe Nachmittagsstunde - erhebt man sich aus dem Fauteuil in Seeligs gastlichem Wohnzimmer, wirft einen besorgten Blick auf die Armbanduhr und murmelt, sotto, aber doch voce,

»Entschuldigt mich einen Augenblick - ich habe den Kindern versprochen, sie anzurufen...«

»Aber bitte«, sagt Erna Seelig. »Das Telefon steht im Schlaf­zimmer.«

Besser könnte man's gar nicht treffen. Man laßt sich behag­lich auf die weiche Schlafstatt des Hausherrn nieder und hat alsbald die Verbindung mit Lajos Friedländer hergestellt, ei­nem ehemaligen Mitschüler, der jetzt als erfolgreicher Rechts­anwalt in Kamtschatka lebt. Nach einem Viertelstündchen erinnerungsträchtigen Geplauders kehrt man ins Wohnzimmer zurück und verkündet zufrieden, daß zu Hause alles in Ord­nung ist.

So weit, so gut.

Einige Zeit danach bekommt Felix Seelig seine monatliche Telefonrechnung und stellt befremdet fest, daß sie um 1800 % über der vorangegangenen liegt. Bei einer zufälligen Begeg­nung im Stiegenhaus wirft er mir einen stummen, vorwurfs­vollen Blick zu, den ich jedoch ignoriere. Er kann mir ja nichts beweisen, oder?

Tags darauf nimmt die Sachlage eine unerfreuliche Wen­dung. Unsere eigene Telefonrechnung ist auf die er­schreckende Summe von mehr als 4000 Shekel gestiegen, obwohl ich seit dem abortiven Versuch mit Tante Frieda von meinem Telefon kein wie immer geartetes Ferngespräch ge­führt habe. Zweifellos hat da jemand in der schäbigsten Weise unsere Gastfreundschaft mißbraucht. Aber wer?

»Einen Augenblick.« Die beste Ehefrau von allen legt die Stirne in nachdenkliche Falten. »Vorige Woche hatten wir die Picklers zu Besuch. Erinnerst du dich, wie Akiba Pickler mit seiner Schwester telefonieren wollte? Ja? Aber weißt du auch, daß er italienisch gesprochen hat?«

Meiner Meinung nach war es nicht Akiba Pickler. Es war un­ser Nachbar Felix Seelig, der sich an uns gerächt hat. Er kam eines Abends zu uns herüber und bat um die Erlaubnis, unser Telefon zu benützen - seines, so behauptete er, sei gestört.

Zur Liste der Verdächtigen gehört auch der Mann von der Kühlschrankfirma, der zum Zweck einer angeblich fälligen Kontrolle erschien und dann die Zentrale anrief, die sich mög­licherweise in Philadelphia befand.

Diese Beispiele menschlicher Niedertracht erschütterten mich so sehr, daß ich einen Besuch im Hause des Ehepaars Spiegel benützte, um mit meinen in aller Welt verstreuten Familienan­gehörigen Fühlung zu nehmen. Als ich gerade mit einer weit­läufigen Verwandten in Buenos Aires sprach, mußte ich ein plötzliches Absinken der Tonqualität feststellen, woraus ich schloß, daß Frau Spiegel, diese heimtückische Hexe, von ihrer Nebenstelle in der Küche mithörte. Ich wechselte blitzschnell zu Hebräisch, sagte: »Gut, dann werde ich den Wagen morgen abholen« und legte auf, Mir kann man mit so billigen Tricks nicht beikommen.

Jedenfalls ist das israelische Volk seit Einführung des direk­ten Durchwahlsystems mit den Juden der ganzen Welt in inni­gerem Kontakt als je zuvor. Allerdings erfordern diese Gratis­gespräche ein beträchtliches Ausmaß von Erfindungsgeist und Umsicht. Man darf beispielsweise nicht allzu laut sprechen, wenn man einen Babysitter anruft, der in New York wohnt. Auch sollte man Fremdsprachen nach Möglichkeit vermeiden. Im übrigen sind diese Gratisgespräche in Wahrheit gar nicht so gratis, weil man ja auf Umwegen doch wieder für sie bezahlt.

Aber damit die Dinge nicht ausarten, haben wir jetzt an unse­rer Wohnungstür eine kleine Tafel angebracht:

»Gestörtes Telefon. Bissiger Hund. Bitte lassen sie Nachricht zurück. Wir besuchen Sie gerne.«  

Übergewicht

Auslandsreisen gehören schon deshalb zu den Freuden des Bürgers, weil sie ihm immer wieder, immer aufs neue die un­beschreiblichen Wonnen der Heimkehr vermitteln. Dieses großartige Arrangement hat nur den einen Nachteil, daß der Mensch nicht allein reist, sondern mit einem Koffer, auf den sich die Verfolgungswut des gesamten internationalen Boden­personals konzentriert.