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Eines Tages kam mir der geniale Einfall, unsere gemischte Rassehündin Franzi als Brillenjagdhund abzurichten. Ich ließ sie Witterung nehmen, indem ich die Gläser ausführlich an ihrer Nase rieb, dann versteckte ich die Brille im Garten, dann tappte ich nach Franzi, geleitete sie zu meiner Brille und gab ihr ein Stück Zucker als Finderlohn. Nach mehrmaliger Wie­derholung dieses Vorgangs führte ich gestern einen Test durch.

»Franzi!« rief ich. »Such die Augengläser!«

Franzi spitzte die Ohren, schnüffelte in die Luft und zog mich schnurstracks zum Zuckerbehälter. Ich konnte den Zucker verstecken, wo immer ich wollte - Franz kam ihm unfehlbar auf die Spur. Man kann sich auf das Witterungsvermögen von Hunden verlassen. Sie brauchen keine Brillen.

Nach langem Nachdenken habe ich jetzt die endgültige Lö­sung gefunden. Ich nehme meine Brillengläser nicht mehr ab. Ich wasche mich mit ihnen, ich weine mit ihnen, ich schlafe mit ihnen. Und ich träume von ihnen. Ich träume, daß ich sie verloren habe.

Am Morgen wache ich auf - und was muß ich feststellen? Ich habe sie verloren.  

Madeleine

Jüngst im Abenddämmer, als aus den Orangenhainen rings­um das heisere Lachen der Schakale ertönte und der Wind gelbe Wölkchen von Wüstensand herbeiblies, stand plötzlich Schultheiss in meinem Garten. Ich freute mich, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen. Er hatte sich nicht verändert, er war ganz der alte, elegante Schultheiss, jeder Zoll ein Intellek­tueller von Distinktion. Nur in seinen Augen, ich merkte es sofort, lag etwas sonderbar Trauriges.

Ich bot ihm Platz und einen Becher bekömmlichen Jor­danwassers an. Schultheiss nahm schweigsam einige Schluk­ke.

»Ich muß mit Ihnen sprechen«, sagte er dann.

»Tun Sie das getrost. Ich vermute, daß Sie deshalb herge­kommen sind.«

»Es war nicht leicht für mich, diesen Entschluß zu fassen. Aber ich ertrage es nicht länger. Ich muß mich jemandem an­vertrauen. Auch wenn ich ein höherer Regierungsbeamter bin, der seinen guten Ruf zu wahren hat.«

Ich goß ihm noch eine Portion Jordan nach und machte eine aufmunternde Geste.

»Wenn ich nur wüßte, wo ich beginnen soll«, begann er. »Sie kennen mich schon lange. Sie wissen, daß ich ein gesunder, ausgeglichener Mensch bin, der das volle Vertrauen seiner Vorgesetzten genießt.«

»Das sind Sie.«

»So scheint es jedenfalls dem oberflächlichen Betrachter. In Wahrheit jedoch, das dürfen Sie mir glauben, führe ich ein zutiefst einsames Leben. Ich bin Junggeselle, weil ich nie eine passende Gefährtin gefunden habe. Und dabei ging meine ganze Sehnsucht immer nach ein wenig Wärme. Aber ich habe sie nie gefunden - bis zu dem Augenblick, da Madeleine in mein Leben trat.«

Er starrte eine Weile in die Luft, ehe er fortfuhr:

»Der Mensch weiß ja nie, wann das Schicksal an seine Türe pocht. An jenem Tag ließ ich mir nichts davon träumen... Es war der dritte November vorigen Jahres.«

»Die Liaison dauert also schon sechs Monate?«

»Ja. Ich wachte damals mit einem Schüttelfrost auf und rief den Arzt, der eine fiebrige Grippe konstatierte und mir irgend etwas verschrieb. Mein Wohnungsnachbar ging in die Apo­theke, um es zu holen, und kam mit einer Schachtel zurück. Ich öffnete sie und fand einen größeren Gegenstand aus rosa­farbenem Gummi.«

»Eine Wärmflasche?«

»Eine ganz gewöhnliche Wärmflasche. Heimisches Er­zeugnis. Mit Metallverschluß. Nichts Besonderes... mein Gott, wie ich mich schäme!«

»Aber warum?«

»Es fällt mir so schwer, über Angelegenheiten der Intim­sphäre zu sprechen. Haben Sie Geduld mit mir!«

»Hab ich.«

»Ich erinnere mich genau. Als ich die Wärmflasche das erste Mal füllte, regnete es draußen und im Zimmer war's kalt. Ich legte mir die Flasche auf die Brust und... und... ob Sie's glau­ben oder nicht: zum erstenmal im Leben fühlte mein Herz etwas Wärme. Zum erstenmal im Leben war ich nicht allein. Können Sie mich verstehen?«

»Natürlich.«

»Da liegt dieses Ding neben Ihnen, dieses warme, weiche Ding, und seine einzige Aufgabe besteht darin, Ihnen das Le­ben zu erleichtern. Ich war ihr so dankbar, meiner Madeleine.«

»Wie bitte?«

»So nannte ich sie. Madeleine. Gleich von Anfang an. War­um Madeleine? Ich weiß es nicht. Vielleicht habe ich einmal in Paris ein Mädchen namens Madeleine geliebt. Vielleicht wollte ich sie nur lieben. Oder vielleicht wollte ich nur nach Paris fahren. Wie immer dem sei - von jetzt an konnten mir die Stürme des Lebens nichts mehr anhaben. Ich hatte meine Ma­deleine bei mir, unter der Decke. Finden Sie das absurd?«

»In keiner Weise. Sehr viele Menschen verwenden Wärmfla­schen.«

»Sie schätzen das nicht ganz richtig ein. Bedenken Sie doch: Wenn ich kalte Füße habe - Madeleine wärmt sie. Schmerzen in der Hüfte - Madeleine vertreibt sie. Ich kann sie mir auch auf den Bauch legen, wenn ich will. Ihre Möglichkeiten sind unbegrenzt. Und Madeleine bleibt immer bescheiden, immer loyal, immer dienstbereit. Alles, was sie verlangt, ist ein wenig heißes Wasser. Ich wollte es mir lange nicht eingestehen, aber es läßt sich nun einmal nicht leugnen. Ich...«

»Sie haben sich in sie verliebt?«

»Ja, so könnte man's sagen. Ich muß immer an Pygmalion denken. Sie kennen doch die wunderschöne Geschichte von diesem englischen Sprachforscher, der sich in eine Statue der Aphrodite verliebt. So ähnlich liegt mein Fall. Manchmal fra­ge ich mich, wie ist es möglich, daß ein erwachsener, intelli­genter Mensch nach einer nichtssagenden, unscheinbaren Wärmflasche verrückt ist. Es gibt weiß Gott viel schönere und größere. Aber ich will nur meine kleine Madeleine. Ich muß sogar gestehen, daß ich eifersüchtig auf sie bin.«

»Sie betrügt Sie?«

»Sie hat mich schon einmal betrogen.« Schultheiss zündete sich eine Zigarette an und begann nervös zu paffen. »Es war nicht ihre Schuld. Es lag an den Umständen. Vor ein paar Mo­naten war Madeleine undicht geworden. In meiner rasenden Verliebtheit wollte ich sie immer noch wärmer haben und hatte sie mit so heißem Wasser angefüllt, daß sie an der Seite eine Brandwunde erlitt und zu tropfen begann. Ich war ver­zweifelt. Ich ging mit ihr zum berühmtesten Wärmflaschen­spezialisten, den wir haben - und dort geschah das Schreckli­che. Als ich sie am Abend abholen wollte, drückte mir dieser Verbrecher eine vollkommen Fremde in die Hand. Er hatte sie mit einer anderen verwechselt. Ich glaube nicht, daß er es ab­sichtlich getan hat, aber das ist keine Entschuldigung. Ich ließ mir ein Verzeichnis seiner Kundschaften geben und suchte

Madeleine in der ganzen Stadt, straßauf, straßab. Gegen Mit­ternacht fand ich sie endlich, im Bett eines dicken, ächzenden Gemischtwarenhändlers... dort fand ich sie...«

»In flagranti?«

Schultheiss konnte nur wortlos nicken.

»Seither habe ich sie nie mehr aus den Augen gelassen. Oft wache ich in der Nacht schweißgebadet auf, weil mir geträumt hatte, daß sie tropft. Meine Angstzustände wurden so schlimm, daß ich eine Eheberatungsstelle aufsuchte. Man untersuchte mich und fand, daß es für mich nur eine einzige Lösung gäbe: eine neue Wärmflasche zu kaufen, um den zerstörerischen Einfluß, den Madeleine auf mich ausübte, endlich auszuschal­ten.«

»Haben Sie eine gekauft?«

»Ja. Sie liegt ungebraucht in der Schublade. Ich weiß sehr wohl, daß ich nach dem Gesetz berechtigt bin, mir zwei Wärmflaschen zu halten. Aber man kann mich doch nicht zwingen, beide zu verwenden?«

»Gewiß nicht.«

»Madeleine und ich sind fürs Leben verbunden. So ist es nun einmal, und dagegen kann man nichts tun.«

»Lassen Sie sich gratulieren. Es geschieht nur selten, daß ei­ne so tiefe menschliche Beziehung zustande kommt.«