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Ein authentisches Interview

Schalom, Herr Tola'at Shani. Entschuldigen Sie, mein Name ist Ben. Man hat mich von der Redaktion hergeschickt. Zu Ihnen. Das heißt: für ein Interview.«

»Nehmen Sie Platz, mein Junge. Ich stehe zur Verfügung.«

»Keine schlechte Bude, die Sie da haben. Höchste Klasse. Mein Ehrenwort. Unterkellert?«

»Soviel ich weiß, ja.«

»Und mit Vorgarten. Solche Hütten sind besonders teuer, nicht wahr?«

»Allerdings.«

»Ja, also wie gesagt. Ich soll Sie über den historischen Ro­man interviewen, den Sie geschrieben haben. Sie haben ihn doch geschrieben, wie?«

»Ich habe das Werk soeben fertiggestellt.«

»Großartig. Also Sie sind fertig damit. Wie heißt es?«

»Du bist aus Staub.«

»Warum duzt du mich plötzlich?«

»Es ist der Titel meines neuen Buches.« »Ach so. Wird be­stimmt ein Bombenerfolg. Wie alle Ihre Bücher. Sie schreiben ja lauter Bombenerfolge.«

»Ich tue mein Beste. Ob es mir glückt, haben die Leser zu beurteilen.«

»Goldene Worte. Und warum, Herr Tola'at Shani, haben Sie diesen Staub, also diesen Roman oder was es ist, ich meine, warum haben Sie das Buch geschrieben? Gerade jetzt?«

»Bitte drücken Sie sich etwas präziser aus, mein Junge.«

»Okay. Mir kann's recht sein. Macht keinen Unterschied für mich. Ich meine, was ich wissen wilclass="underline" Wovon handelt das Zeug?«

»Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie die Story meiner jüngsten Schöpfung kennenlernen.«

»Die Story, ganz richtig. Hab ich ja gesagt.«

»Vielleicht sollten Sie sich Notizen machen, lieber Freund.«

»Brauch ich nicht. Ich behält's im Kopf. Alles. Auch die Sto­ry. Was ist die Story?«

»Mein Roman läßt ein Panorama menschlicher Schwächen und Leidenschaften erstehen. Er spielt im Zweiten Weltkrieg. Sein Held ist ein Soldat der Jüdischen Brigade. Die junge, hübsche Tochter des Bürgermeisters einer kleinen süditalieni­schen Stadt verliebt sich in ihn...«

»Weil Sie >Soldat< sagen - da kommen doch bestimmt ein paar erstklassige Keilereien vor, nicht?«

»Wie bitte?«

»Keilereien. Ich meine Kämpfe.«

»Nun ja, ich beschreibe auch einige Kampfhandlungen, aber mehr nebenbei. In der Hauptsache geht es um den inneren Konflikt, den der grausame Krieg in der Seele unseres Solda­ten auslöst.«

»Was heißt das - unseres Soldaten? Wessen Soldat ist er?«

»Der Soldat des Romans.«

»Das sollten Sie deutlich sagen. Also was ist los mit ihm?«

»In der Brust dieses Soldaten tobt ein Kampf zwischen sei­nem glühenden Patriotismus und seinen Haßgefühlen gegen die Unmenschlichkeit des Krieges.«

»Wer gewinnt? Und was ist das für ein Bild?«

»Welches Bild?«

»Das an der Wand dort drüben.«

»Das ist kein Bild, junger Mann. Das ist mein Diplom.«

»Diplom. Sehr gut. Ein Diplom für was? Macht nichts. Also, Ihr Buch über Italien ist eine wahre Geschichte.«

»In gewissem Sinn. Die Szenerie ist authentisch, aber die Story als solche ist eine thematische Variation der >Antigone< von Sophokles.«

»Wovon?«

»Sophokles. Ein griechischer Tragödienschreiber.«

»Kenn ich. Da haben Sie ganz recht. Aber Sie sagten vorhin etwas gegen den Krieg.«

»Antigone war die Tochter von König Oedipus.«

»Natürlich. Oedipus. Das ist der mit der Psychoanalyse. Nicht schlecht. Also das ist Ihre Story, sagen Sie.«

»Die Story selbst hat notwendigerweise lokalen Charakter. Aber ihre Botschaft ist universell. Eine Art Bestandsaufnahme unseres Zeitalters. Sollten Sie nicht noch ein paar Notizen machen, lieber Freund?«

»Wozu? Ich merk mir alles. Machen Sie sich keine Sorgen. Was noch... ja, richtig: Sind Sie außer sich vor Freude?«

»Worüber?«

»Wenn einer etwas fertig geschrieben hat, muß er doch vor Freude außer sich sein. Sind Sie außer sich?«

»Hm. Vielleicht. Ich glaube schon.«

Das Interview, wie es erschien:

»ICH BIN AUSSER MIR VOR FREUDE!« SAGT DER AUTOR DES ROMANS »DER STAUBSAUGER« UNSEREM MITARBEITER IN EINEM EXKLUSIVINTERVIEW

Der bekannte Schriftsteller Tola'at Shani empfing mich in seinem Heim zu einem Exklusivinterview.

Anlaß war das Erscheinen seines neuen Romans, dem der Autor einen Bombenerfolg prophezeit.

Ich sitze dem Dichter in seinem geschmackvoll möblierten Studio gegenüber und betrachte sein scharfgeschnittenes Pro­fil, die hagere Gestalt, die schmalen, nervösen Finger. Durch das Fenster hat man einen guten Blick auf die umliegenden Häuser. Es ist später Nachmittag.

Tola'at Shani: »Wie gefällt Ihnen mein Haus?«

Ich: »Nicht schlecht.«

T.Sh.: (stolz) »Es hat einen eigenen Vorgarten, dreieinhalb Zimmer und fließendes Wasser. Solche Häuser sind sehr, sehr teuer.«

Ich: »Darf ich Sie nach der Story Ihres neuen Romans fra­gen?«

T.Sh.: »Aber gern. Bitte sehr. Also die Story. Da ist dieser Major der Jüdischen Brigade, denn die Geschichte spielt aus­wärts, an einem Sonntag, und es gibt eine Menge von Schieße­reien und sonstigen Zusammenstößen, kurz und gut, ein fürch­terliches Durcheinander, und diese junge Tochter in der italie­nischen Stadt, eine Figur, also klassisch, wie ein Filmstar, und die hat ein Verhältnis mit einem Jungen, einem Schriftsteller, der immer vor sich hinträumt, ein Tagträumer, ein Traumtän­zer...«

Ich: »Einer unserer Soldaten, nicht wahr?«

T.Sh.: »Richtig. Zu Hause geht er noch auf die Universität, der Soldat, und studiert alles mögliche. Aber jetzt, als Soldat, gerät er in einen Konflikt, also in einen Rivalitätskampf um dieses Mädchen. Sie heißt Shula...«

Ich: (unterbrechend) »Einen Augenblick, lieber Freund. Shu­la - das klingt wie eine griechische Tragödie.«

T. Sh.: »Stimmt. Sie haben den Nagel auf den Kopf getrof­fen. Und dieses Mädchen, wie heißt sie gleich, ist gegen den Krieg und ist verrückt nach... nach...«

Ich: »Oedipus?«

T. Sh.: »Genau. Ich habe das so konstruiert, um den Komplex direkt aus der Tragödie von Sypholux herauszuarbeiten. Viel­leicht hätte ich Ihnen sagen sollen, daß unser Soldat ein wenig zur anderen Fakultät tendiert. Sie verstehen mich. Aber er zeigt es nicht. Es ist übrigens eine wahre Geschichte.«

Ich: »Könnte man sagen, daß es sich um eine Bilanz des Atomzeitalters handelt?«

T. Sh.: (überrascht) »Sie glauben?« Ich: »Unbedingt.«

T. Sh.: »Na schön. Ich pflege nicht um den heißen Brei her­umzureden, wissen Sie. Dort drüben an der Wand hängt mein Diplom.«

Ich: »Großartig, Tola'at Shani.«

T. Sh.: »Diplome bekommt man nicht nur so, das wissen Sie ja sicherlich. Sonst noch etwas?«

Ich: »Noch eine letzte Frage: Sind Sie froh, daß Sie mit dem >Staubsauger< fertig geworden sind?«

T. Sh.: »Ich bin außer mir vor Freude.«  

Ein dreifaches Jubiläum

Unversehens rannte ich in Gideon Cheschwan hinein, einen Veteran unter Israels Autoren. Während wir zusammen wei­tergingen, kamen wir auf die gespannte politische Lage zu sprechen.

»Ich bin optimistisch«, sagte Cheschwan. »Vielleicht erleben wir noch, daß die Araber mit uns Frieden schließen.«

»Das hoffe ich auch«, erwiderte ich. »Aber solange sie von Diktatoren beherrscht werden, sehe ich keine großen Chan­cen.«

Cheschwan klopfte mir wohlwollend auf die Schulter: »Sie sind noch jung und haben Zeit. Was mich betrifft, so werde ich am 25. Oktober 55. Das ist übrigens ein dreifaches Jubiläum für mich. Genau vor 35 Jahren erschien an diesem Tag meine erste Sammlung von Kurzgeschichten, und vor 30 Jahren be­gann mein eigentlicher Aufstieg als Schriftsteller. Seither bin ich literarisch so fruchtbar wie kaum ein zweiter.«