»Wenn man nur sicher sein könnte, ob die Ägypter es ehrlich meinen!« warf ich ein.
Cheschwan ließ sich nicht beirren:
»In der Zeitspanne, die ungefähr im Herbst 1936 zu Ende ging, habe ich mich als meisterhafter Erzähler und formstarker Lyriker erwiesen. Aber die Ereignisse führten mich bald zu meiner wahren Berufung: Träger einer prophetischen Botschaft zu sein, die mein schlafendes Volk aufwecken würde. Dazu bin ich ausersehen und dabei bleibt's für den Rest meines Lebens, nicht nur bis zum 25. Oktober, dem Tag, an dem ich ein dreifaches Jubiläum begehe. Denn an diesem Tag wird es genau 35 Jahre her sein, seit meine erste Sammlung von Kurzgeschichten -«
»Um Himmels willen!« unterbrach ich mit einem besorgten Blick auf meine Armbanduhr. »Ich bin ja schon eine halbe Stunde verspätet!« Und ich verließ ihn eilenden Fußes.
Wochen später, als ich die Begegnung längst vergessen hatte, berief mich der Redakteur unserer Literaturseite zu sich und legte mir einen eingeschriebenen Brief des folgenden Inhalts vor:
Sehr geehrter Herr! In der Nummer vom 20. September Ihres geschätzten Blattes sah ich ein Inserat, in dem »ein herrliches Haus« angepriesen wurde. Vielleicht interessiert es Sie, daß diese Wendung schon in der Bibel mehrmals vorkommt (u. a. Jesaia 64,11: »Unser heiliges und herrliches Haus«). Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich am 25. Oktober SS Jahre alt werde. Zufällig ist dieser Tag zugleich das 35jährige Jubiläum des Erscheinens meiner ersten Kurzgeschichtensammlung und das 30jährige Jubiläum meiner fruchtbaren literarischen Tätigkeit, so daß er für mich ein dreifaches Jubiläum bedeutet. »Und so«, um den bekannten Schriftsteller Ephraim Kishon zu zitieren, »hat der einstige Talmudstudent seinen Weg vom Haus des Rabbi zum Gipfel des Ruhms genommen und wird sich am 25. Oktober als poeta laureatus des hebräischen Schrifttums präsentieren.« Ich darf noch hinzufügen, daß der oben erwähnte biblische Ausdruck sich bis heute in unserem täglichen Sprachgebrauch erhalten hat. Es grüßt Sie respektvoll
Ihr ergebener Gideon Cheschwan.
»Was ist das?« fragte mich mit vor Nervosität zitternder Stimme der Literaturredakteur, nachdem ich ihm den Brief zurückgegeben hatte. »Was bedeutet das?«
»Keine blasse Ahnung«, gab ich nicht minder nervös zurück. »Woher soll ich das wissen? Ich bin ja gar nicht hier. Ich existiere überhaupt nicht. Bitte vergessen Sie mich.«
Grußlos rannte ich hinaus, fest entschlossen, mich bis auf weiteres nicht in der Redaktion zu zeigen.
Die Dinge nahmen ihren unvermeidlichen Lauf. Gideon Cheschwans 55. Geburtstag lag immer drückender in der Luft.
Man spürte bei jedem Atemzug, daß zu seinem dreifachen Jubiläum ein großer Empfang stattfinden würde. Je näher der Unglückstag herannahte, desto häufiger sah man Angehörige der Schreiberzunft schreckensbleich nach dem Süden des Landes fliehen. Andere versiegelten ihre Wohnungstüre und schlössen sich ein, wieder andere begaben sich in Spitalspflege. Die von Cheschwan frequentierten Straßen lagen entvölkert, die Kaffeehäuser leerten sich schlagartig, sobald er auftauchte. Aber niemand machte sich ernsthafte Hoffnungen, dem Schicksal entgehen zu können.
»Vor ein paar Tagen«, so informierte mich einer meiner Freunde, der Dichter, L. Grinboter, »erschien Cheschwan plötzlich in meinem Haus in Sichron Jakov und bat mich um Tinte für seine Füllfeder. Angeblich war ihm zu Hause in Tel Aviv die Tinte ausgegangen. Während er seine Feder füllte, äußerte er wie von ungefähr, daß ihm die Tinte hoffentlich bis zum 25. Oktober reichen würde, seinem 55. Geburtstag, der zugleich ein dreifaches Jubiläum und ein Meilenstein in der Geschichte der israelischen Literatur darstelle. Und ich würde doch sicher nicht versäumen, davon gebührend Notiz zu nehmen.
Was soll ich tun? Und warum gerade ich? Du kennst ihn doch viel besser.«
Nach einigem Hin und Her beschlossen wir, das Los entscheiden zu lassen. Ich war dumm genug, »Adler« statt »Kopf« zu wählen, und verlor. Damit war ich verurteilt, einen Jubiläumsartikel über Cheschwan zu schreiben, was ein sorgfältiges Quellenstudium erforderte. Ich lieh mir eines seiner Bücher aus, las es gewissenhaft bis zur Mitte der Seite 6 und konsultierte zur Sicherheit auch noch das »Who's Who in Israel«. Dann, in Erfüllung des Auftrags, der mir von Grinboter und ein paar anderen zugewiesen worden war, fand ich mich bei Gideon Cheschwan ein.
»Ich komme mit einer guten Nachricht, Herr Cheschwan. Eine Gruppe Ihrer Freunde und Bewunderer möchte aus Anlaß Ihres 55. Geburtstags eine kleine, intime Jubiläumsfeier für Sie veranstalten.«
»Für mich?« fragte Cheschwan in fassungslosem Erstaunen. »Eine Feier für mich? Sie müssen verrückt geworden sein, mein Lieber. So etwas brauche ich nicht. Sparen Sie sich die Mühe.«
»Nein, nein«, widersprach ich. «Gideon Cheschwan hat Anspruch darauf, gefeiert zu werden. Bitte stimmen Sie zu! Bitte!«
Cheschwan überlegte eine Weile, dann schüttelte er den Kopf.
»Es geht nicht. Die Zeiten sind zu ernst. Womit hätte ich eine solche Feier verdient? Ich habe getan, was ich tun mußte. Gewiß, ich habe es besser getan als die meisten anderen. Gewiß, die Jugend unseres Landes verehrt mich. Aber das ist mir Lohns genug. Ich bitte Sie, den Plan eines Festempfangs im Mann-Auditorium aufzugeben. Und ich bestehe darauf, daß Sie den Unterrichtsminister, den Parlamentspräsidenten und die führenden Persönlichkeiten unseres öffentlichen Lebens sofort davon verständigen. Am 25. Oktober um 21 Uhr findet im Mann-Auditorium keine Jubiläumsfeier statt, bitte sorgen Sie dafür...«
Es wurde eine wunderschöne Feier im Mann-Auditorium. Nach der Eröffnungsrede des Unterrichtsministers schilderte I. L. Grinboter in schwungvollen Worten den Weg des einstigen Talmudstudenten vom Haus des Rabbi zum Gipfel des Ruhms, wobei er besonders die im Herbst 1936 erfolgte Wandlung des Dichters hervorhob, dem damals seine eigentliche Berufung innegeworden war: als Prophet eines schlafenden Volkes zu wirken.
Gideon Cheschwan saß an der Spitze der Tafel. Tränen strömten über sein Gesicht. Es war der schönste Tag seines Lebens. Man hatte ihn nicht vergessen.
Eine einfache Rechnung
Zalman Weintraub, Inhaber der führenden Spielwarenfabrik Jerusalems, hatte mich beauftragt, eine schwungvolle Dankrede zur Beantwortung der Glückwunschadressen zu verfassen, die seine Angestellten und Bewunderer auf einer anläßlich seines fünfzigjährigen Geschäftsjubiläums stattfindenden Feier an ihn richten würden. Als Honorar für seine spontane Antwort bot mir Herr Weintraub die Summe von 460 Shekel -eine unverhoffte Bereicherung, über die ich im ersten Augenblick hocherfreut war. Mit Hilfe einiger arithmetischer Grundgesetzte entdeckte ich jedoch, daß zur Freude kein Anlaß bestand: Ich müßte mit meinem Wagen zweimal nach Jerusalem fahren, und der Treibstoff allein würde mich mehr kosten, als mir nach Abzug der Einkommenssteuer von meinem Honorar übrigblieb.
»Berate dich mit einem Fachmann«, sagte die beste Ehefrau von allen. »Geh zu Spielberger.«
Spielberger ist der bedeutendste Steuerexperte, den wir haben, ein Mann von ungewöhnlichem Scharfblick, der auch die winzigste Lücke in den Steuergesetzen erspäht. Das glückt ihm um so eher, als er diese Gesetze zur Zeit seiner Tätigkeit im Finanzministerium selbst formuliert hat.
Er hörte mir mit gerunzelten Brauen zu.
»Die Frage«, begann er sodann, »die Frage ist: Verdienen Sie mehr als 220 Shekel im Monat?«