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Ab und zu suchte Jakob die Buchhandlung an der Straßen­ecke auf:

»Wie geht mein Buch?« fragte er.

»Schlecht«, antwortete der Buchhändler. »Sehr schlecht.

Vielleicht zieht's zu den Feiertagen ein wenig an. Aber vorläu­ fig ist nichts los damit. Absolut nichts.«

»Wie ist das möglich?« beharrte Jakob. »Wo doch in allen Zeitungen so gute Besprechungen erschienen sind?«

Daraufhin zuckte der Buchhändler nur noch die Achseln. Ja­kob Schreibermann war der Verzweiflung nahe. Er erwog, das Verfassen von Büchern überhaupt aufzugeben und sich der Literaturkritik zuzuwenden. Dann entschloß er sich zu einem letzten produktiven Versuch, schrieb einen Roman über einen demobilisierten Soldaten, der die Kassa eines Kibbuz verun­treut hatte, und gab ihm den Titel »Der Moosmacher«, womit er sowohl den landwirtschaftlichen Hintergrund als auch den Charakter des Helden andeuten wollte. Die Kritik sprach von einem Meilenstein bzw. Höhepunkt bzw. Wahrzeichen der neueren israelischen Literatur, und das Buch wurde nicht ge­kauft.

Jakobs Nerven begannen zu versagen. Als er eines Tages im Autobus saß und von einem vollbärtigen Fahrgast aufgefordert wurde, seinen Sitzplatz an eine ältere Dame abzutreten, rea­gierte er äußerst unwirsch. Das fiele ihm gar nicht ein, sagt er, es hätte ja auch niemand seinen Roman »Der Moosmacher« gekauft, und warum sollte er sich den Menschen dafür noch gefällig zeigen. Der Vollbart - der, was Jakob nicht wußte, ein führender israelischer Literaturkritiker und obendrein mit der betreffenden Dame verheiratet war - erwiderte nichts, stieg aus, erwarb ein Exemplar des »Moosmachers« und schrieb eine vernichtende Kritik:

»...Es ist ein erbärmlicher Einfall«, hieß es dort unter ande­rem, »aus einem israelischen Soldaten, einem der heldenhaften Verteidiger unseres Vaterlands, einen Betrüger zu machen. Davon abgesehen, hat Herr Schreibermann keine Ahnung vom Aufbau eines Romans, wie ihm ja überhaupt die Kenntnis aller akzeptierten Regeln und Gepflogenheiten abgeht. Er gehört offenbar zu jener jungen Generation, die nicht einmal soviel Lebensart besitzt, im Autobus älteren Damen Platz zu machen. Und von solchen Leuten müssen wir uns etwas erzählen las­sen!«

Nach der Lektüre dieser Kritik wollte Jakob Schreibermann aus dem Fenster springen. Erst als er auf dem Fensterbrett stand, erkannte er die Zwecklosigkeit seines Vorhabens: Er wohnte ebenerdig. Also setzte er sich hin und schrieb einen 26 Seiten langen Entschuldigungsbrief an den bärtigen Kritiker, flehte ihn an, ihm noch eine letzte Chance zu geben, er würde von jetzt an immer im selben Bus mit ihm fahren und der ver­ehrten Gattin des verehrten Literaturpapstes pausenlos seinen Sitz anbieten, nur möge jener um Himmels willen davon ab­lassen, ihn öffentlich zu zerfleischen.

Auf dem Weg zum Postamt widerfuhr dem von Panik Erfaß­ten ein Wunder. Der Buchhändler an der Ecke teilte ihm mit, daß er bereits vier Exemplare des »Moosmachers« verkauft hätte, und das grenzte nach israelischen Begriffen an einen Bestseller.

Jakob wurde von einem wilden Freudentaumel erfaßt und zerriß den Brief.

Noch in derselben Woche fand er sich einem weiteren An­griff ausgesetzt. Ein anderer führender Kritiker, erbost dar­über, daß er den »Moosmacher« nicht als erster verrissen hat­te, schrieb eine noch bösere Kritik, bezeichnete den Roman als schnödes Machwerk und den Autor als Schandfleck der Nati­on, warnte vor den demoralisierenden Folgen solcher Bücher und gab abschließend der Hoffnung Ausdruck, daß sich für Jakob Schreibermann in Hinkunft kein Verleger finden würde. Diesmal dachte Jakob nicht mehr daran, aus dem Fenster zu springen. Hatte ihn doch der Buchhänder an der Ecke infor­miert, daß der Verkauf des »Moosmachers« um sechs weitere Exemplare angestiegen sei - ein in der Literaturgeschichte Israels einmaliges Ereignis, das eine Wende in der Haltung des lesenden Publikums zu signalisieren schien. Tatsächlich be­antwortete der Verleger, dem er zufällig auf der Straße begeg­nete, Jakobs Gruß mit einem freundlichen »Hallo, wie geht's?«

Der Trend hielt an.

Wenige Wochen später wurde Jakob Schreibermann, der ebenso bekannte wie umstrittene Autor, zu einem Meeting der Organisation »BEJ«, des »Bundes Enttäuschter Jugend«, als Hauptredner eingeladen und nahm die Gelegenheit wahr, sich gründlich mit seinen Kritikern auseinanderzusetzen. Er stehe hinter jedem Wort seines Romans, sagte er, und niemand, auch kein noch so einflußreicher Möchtegern-Fachmann, könne ihn davon abbringen, »daß ein demobilisierter Soldat unter be­stimmten Umständen durchaus fähig wäre, eine Kibbuzkassa zu veruntreuen.«

Diese kühnen Worte riefen in der Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung hervor, prominente Persönlichkeiten wandten sich in Leserbriefen und Protestversammlungen gegen den Roman, und Jakob bekam den ersten Vorschuß seines Lebens.

In einer stillen Stunde machte er sich daran, sein Werk nochmals zu lesen und stieß auf einige schlüpfrige Stellen, die er rot anzeichnete und mit der Randbemerkung »Pornogra­phie!!« versah. Dann schleuderte er das Exemplar durch ein offenes Fenster in die Wohnung des angesehenen Literaturkri­tikers Jehuda Misrachi.

Die gewünschten Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Im Kulturteil einer allgemein respektierten Wochenzeitschrift erschien aus Jehuda Misrachis Feder ein dreispaltiger Artikel, der wohl das Schärfste darstellte, was bisher gegen den »Moosmacher« geschrieben worden war: »Welch ein Abgrund sittlichen Tiefstandes tut sich hier vor uns auf! Da ist, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, von den >bebenden Brüsten einer jungen Mulattin< die Rede, die sich >wie zwei Hügel aus Schokolade unter ihrer durchsichtigen Bluse wölbten< und ähnliches mehr. Mit solchen Mitteln wird auf die niedrigsten Instinkte des Lesers spekuliert. Wer braucht diesen schmie­rigen Absud einer perversen Phantasie? Es ist ein Skandal, daß so etwas bei uns überhaupt gedruckt wird!« Tags darauf bilde­ten sich vor den Buchhandlungen Schlangen von Käufern, die »das Buch mit den Schokoladehügeln« verlangten. Die Aufla­ge war in wenigen Stunden vergriffen, auf dem schwarzen Markt wurden Überpreise für die wenigen noch vorhandenen Exemplare gezahlt, und als Schreibermann den Literaturpro­fessor in einem Interview als »alten impotenten Ziegenbock« bezeichnete, forderte dieser in einem offenen Brief an den Unterrichtsminister das Verbot des Romans, selbstverständlich erfolglos. Es erschien im Gegenteil eine zweite und kurz dar­auf eine dritte Auflage.

Jakob Schreibermanns Popularität wuchs ebenso wie sein Bankkonto. Er wurde zu einem begehrten Gast auf öffentli­chen und privaten Veranstaltungen, zu einem allseits umbuhl­ten Gesellschaftslöwen und zur Hauptfigur auf der Jahresver­sammlung des Schriftstellerverbandes, wo er sich durch höh­nische Zwischenrufe bemerkbar machte und in einer kurzen Wortmeldung behauptete, daß die israelische Literatur im ver­gangenen Geschäftsjahr außer dem »Moosmacher« nichts Nennenswertes hervorgebracht hätte. Ein Teil der Presse wandte sich heftig gegen diese Anmaßung, ein anderer Teil schlug sich auf die Seite des Autors und schien recht zu behal­ten: Schreibermann wurde mit dem begehrten Literaturpreis der Grinbotter-Stiftung ausgezeichnet.

Bald nach der feierlichen Preisverteilung brachte ein vielge­lesenes Boulevardblatt einen von Simons S. Sluchowsky ge­zeichneten Artikel, der in der rüdesten Weise über die Preis­richter und den Autor herfiel und von nicht wiederzugebenden Schmähungen nur so strotzte.

Mittlerweile liegt der »Moosmacher« in einer sechsten Auf­lage vor, und der Kampf der Meinungen wogt immer noch hin und her. Jakob Schreibermann wird, wenn man nicht bald aufhört, ihn zu beschimpfen, über kurz oder lang als der be­deutendste Schriftsteller seiner Generation gelten.