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Ihre verhätschelten Töchter, die nie arbeiten mußten und nur über die Belanglosigkeiten der Kastenrituale gut unterrichtet waren, zeigten sich oft verdorben und schwach. Trotzdem wünschte ich Lady Sabina kein Pech. Ich hoffte, daß sie mit Thandar aus Ti eine großartige Gefährtenschaft verleben würde. Sie hatte zwar in der Auswahl ihres Partners nicht mitreden können, freute sich aber nach Etas Worten dennoch über die getroffene Entscheidung. Durch die Gefährtenschaft mit einem Angehörigen der Kriegerkaste stieg sie in der Kastenhierarchie empor, denn die Krie ger Gors zählen zu den höchsten goreanischen Kasten.

Es gibt fünf hohe Kasten auf dieser Welt – die Wissenden, die Schriftgelehrten, die Ärzte, die Hausbauer und die Krieger. In viele n Städten setzte sich der Hohe Rat ausschließlich aus Mitgliedern dieser Kasten zusammen. Die meisten goreanischen Städte werden von einem einzigen Mann regiert, dem Administrator, der sich aber auf den hohen Rat stützen muß. Einige Städte stehen unter der Führung eines Ubar, eines Militärdiktators, der zuweilen in tyrannischer Form regiert und sein Wort zum Gesetz erhebt. Die Macht des Ubar ist vom Gesetz her nur durch seine Fähigkeit beschränkt, jene Kämpfer zu beeinflussen und zu kontrollieren, deren Waffen ihm den Thron erhalten.

Jedenfalls sollte Lady Sabina durch ihre Gefährtenschaft zu einer der wichtigsten Frauen in der Salerischen Konföderation werden, die im Norden immer mächtiger wurde. Von Thandar aus Ti hielten alle nicht viel – das lag wohl daran, daß er ein wenig imponie render Mann war. Wahrscheinlich freute es ihn nicht besonders, mit einer Frau aus niederer Kaste zusammengeführt zu werden; andererseits wußte er sicher um die kommerzielle und politische Bedeutung der Gefährtenschaft und war seiner Stadt bestimmt gern zu Diensten. Vom Standpunkt seines Vaters aus war der Handel sehr von Vorteil, denn Thandar war der jüngste und am wenigsten wichtige von fünf Söhnen; es ging nicht um den ersten oder zweiten Sohn.

In diesem Augenblick griff die weißgekleidete Skla vin in einen Sack auf dem Vorratswagen und nahm eine Larmafrucht heraus. Ich beobachtete sie im Zwie licht. Sie schien nicht zu bemerken, daß hinter ihr die verschleierte Lady Sabina aus dem Zelt gekommen war, begleitet von zwei weiteren Sklavinnen. Einer der Krieger aus dem Lager näherte sich dem Mädchen am Wagen. Es mußte seine Gegenwart spüren, ließ sich aber nichts anmerken. Er stützte die Hände gegen den Wagen, so daß sie zwischen seinen Armen gefangen war. Sie wandte sich um und sah ihn an. Dann hob sie die Larmafrucht und biß hinein. Sie kaute. Er beugte sich vor. Ich sah ihren goldenen Halsreif schimmern.

Plötzlich legten sich ihre Arme um ihn, und er küßte sie. Ich sah ihre Hand mit der angebissenen Larmafrucht auf seiner Schulter.

»Schamlose Sklavin!« rief Lady Sabina, die so etwas offenbar schon vermutet hatte. Die beiden fuhren erschrocken auseinander. Das Mädchen stieß einen erstickten Schrei aus und warf sich ihrer Herrin zu Füßen. Der Mann wich zornig zurück.

»Schamlose Sklavendirne!« zischte Lady Sabina unter ihren Schleiern hervor.

»Was geht hier vor?« fragte ein Mann, der in diesem Augenblick aus dem beflaggten Zelt trat. Er trug ein Schwert über der Schulter, war ansonsten aber nur in Tunika und Soldatenhalbstiefel gekleidet.

»Sieh!« rief Lady Sabina. »Eine mannstolle Sklavin!«

Der Soldat, den ich für den Lagerkommandanten hielt, war nicht erfreut über die Störung.

»Ich bin ihr gefolgt«, sagte Lady Sabina, »und fand sie in den Armen eines Soldaten!«

»Hab Mitleid, Herrin!« flehte das Mädchen.

»Habe ich dir nicht anständiges Benehmen beigebracht, Lehna?« fragte Lady Sabina streng. »Habe ich dir nicht gezeigt, was Würde ist? Und so entlohnst du mein Vertrauen! So zeigst du mir deine Dankbarkeit!«

Das Mädchen wagte nicht zu antworten, sondern starrte zitternd zu Boden.

»Habe ich dich nicht seit deinem zwölften Lebensjahr gut behandelt?«

»O ja, Herrin!«

»Und doch finde ich dich wie eine Tavernendirne in den Armen eines Söldners! Ich habe dich noch nie ausgepeitscht – hältst du mich etwa für schwach?«

»Nein, Herrin!« versicherte das Mädchen. »Du bist freundlich, aber nicht schwach.«

Lady Sabina machte eine Handbewegung. Der Soldatenführer wandte sich an den Mann, in dessen Armen das Mädchen gefunden worden war. »Zieh sie aus und fessele sie!« befahl er.

In unterdrücktem Zorn riß der Mann dem Mädchen das weiße Gewand vom Leib und band sie in knieender Stellung an einem Rad des Vorratswagens fest.

»Du bist ein wertloses Geschöpf«, sagte Lady Sabina zu ihrer Sklavin. »Eigentlich müßtest du in einer Taverna Paga servieren.«

Lady Sabina ließ sich eine Peitsche geben und näherte sich der Gefesselten.

»Ungehorsame, mannstolle Sklavin!« rief sie und schlug heftig zu.

Das Mädchen schrie auf. Ihre Herrin sparte nicht mit Schlägen. Erschöpft warf Lady Sabina die Peitsche schließlich fort, machte kehrt und verschwand, gefolgt von zwei Sklavinnen, in ihrem Zelt.

Das Mädchen blieb gefesselt und blutüberströmt am Wagen zurück.

Mein Herr blickte zu den Monden empor. Von der anderen Seite des Lagers schallte der Ruf des krummschnäbeligen Fliehers herüber, der sich in der Nacht von Wald-Urts ernährt. Der Ruf wurde dreimal wie derholt.

Mein Herr trat hinter mich. Sein Messer fuhr aus der Scheide und legte sich mir an die Kehle.

»Was ist die Pflicht einer Sklavin?« fragte er.

»Absoluter Gehorsam, Herr«, flüsterte ich. Ich wagte mich nicht zu rühren. Im nächsten Augenblick wurde mir der große schwarze Mantel abgenommen, der meine kostbare, helle Kleidung bisher verdeckt hatte.

»Lauf!« sagte mein Herr und deutete auf einen Weg zwischen den Bäumen, der am Lager vorbeiführte. »Und laß dich nicht fangen!«

Er stieß mich von sich. Verwirrt begann ich zu laufen.

Ich hatte kaum zwölf Schritte zurückgelegt, als ich einen der Wächter des Lagers rufen hörte: »Halt! Stehenbleiben! Gib Losung! Stehenbleiben!« Ich gehorchte natürlich nicht, sondern hastete weiter.

»Wer ist denn das?« rief ein Mann. »Eine freie Frau!« wurde geantwortet. »Ist es nicht Lady Sabina?« – »Haltet sie!« – »Ihr nach!«

Ich rannte, so schnell ich konnte.

Die Männer waren vermutlich ebenso verwirrt wie ich. Ich wußte nur, daß ich Angst vor ihnen hatte und laufen mußte, wie es mir mein Herr befohlen hatte. Außerdem hatte er mir aufgetragen, mich nicht fangen zu lassen.

Ich stolperte und stürzte, rappelte mich wieder auf und lief weiter. Ich hörte Männer rufen, von denen mehrere das Lager verließen. Sie kamen durch den Bach gewatet, brachen hinter mir durch das Unterholz. Ich befand mich nun zwischen den Bäumen und war vom Lager aus nicht mehr zu sehen, doch man verfolgte mich. Wie viele Männer mir auf den Fersen waren, wußte ich nicht.

Ich floh voller Entsetzen.

»Lady Sabina!« rief jemand. »Halt! Halt!«

Plötzlich ging mir auf, wie gering die Wahrscheinlichkeit sein mußte, daß eine andere verhüllte freie Frau in der Nähe des Lagers erscheinen würde. Vielleicht war Lady Sabina aus dem Lager geflohen? Vielleicht wollte sie aus irgendeinem Grunde der Gefährtenschaft mit Thandar von Ti aus dem Wege gehen, den sie immerhin noch nie gesehen hatte. Sicher gab es im Lager Männer, die sich auf der Stelle davon hätten überzeugen können, daß sich Lady Sabina noch in ihrem Zelt aufhielt – doch viele andere, die in Sekundenschnelle handeln mußten, konnten sich diese Gewißheit nicht verschaffen. Wenn die Fliehende Lady Sabina war, mußte sie wieder eingefangen werden, denn ihre Flucht hätte die bevorstehende Allianz zwischen der Salerischen Konföderation und der Festung von Saphronicus vereitelt. Außerdem mußte sie schnell wieder ins Lager geschafft werden, denn der Wald war in der Nacht sehr gefährlich. Sie mochte von Sleen angefallen werden oder herumstreichenden Gesetzlosen zum Opfer fallen. Je eher man sie wieder einfing, desto besser. Eine freie Frau rannte durch den nächtlichen Wald – das war ein Rätsel, das schleunigst aufgeklärt werden mußte. Vor wem floh diese Frau? War sie allein?